Auszüge:
Zwei Jahre - ein Resümee der Amtszeit von Präsident Putin
von
Grigori Melamedow, Politologe, Moskau
Wladimir Putin übt das Amt des Staatschefs bereits seit zwei Jahren aus, wird jedoch von vielen immer noch als “neuer” Präsident gesehen. In jedem Falle aber, als ein Staatschef, der Rußland noch lange wird regieren müssen. Dieses Phänomen erklärt sich aus zahlreichen Faktoren, wobei der entscheidende allem Anschein nach ist, daß es Putin geschafft hat, das Gefühl der Labilität, der Unfertigkeit und des “provisorischen Charakters” des existierenden politischen Systems aufzulösen. Der “provisorische Charakter” prägte die russische Gesellschaft während der gesamten Jelzinära. In den ersten Jahren von 1991 bis 1995 erklärte sich das Provisorium dadurch, daß die postkommunistische Gesellschaftsordnung zu jung war und sich revanchistische Kräfte lauthals zu Wort meldeten. In den Jahren 1995 bis 1999 wurde dann das Gefühl der Labilität durch die Arbeitsunfähigkeit des alternden und kranken Präsidenten, seiner Veranlagung zu unberechenbaren politischen “Experimenten” und der vollkommen ungewissen Zukunft gespeist. Niemand wußte, was nach Jelzin kommen würde. Würden die Militärs, die Kommunisten oder eine oligarchische “Junta” die Macht übernehmen, wurde gefragt? Daher ist es nur wenig verwunderlich, daß die russische Gesellschaft gleichsam in einem fiebrigen Zustand verharrte.
Bis Präsident Putin an die Macht kam und Schluß mit der Unbestimmtheit machte. Putin gelangte vor allem mit der Unterstützung der beiden einflußreichsten politischen Gruppen an die Macht - den sogenannten Kraftstrukturen und den Großunternehmern.
Die Armee unterstützte Putin, weil er sich für ein hartes Vorgehen im Tschetschenienkonflikt ausgesprochen hatte. Die Geheimdienste begrüßten ihn natürlich als ehemaligen Geheimdienstler. Die Jelzin-Familie, die in Korruptionsskandale verwickelt war, sah ihn als Garanten ihrer Unantastbarkeit.
Alle potentiellen Gegner Putins im Kampf um das Präsidentenamt wurden schon wäh-rend des Parlamentswahlkampfes im Herbst 1999 zielgerichtet “neutralisiert”. Konkurrenten waren vor allem Jewgeni Primakow und Juri Luschkow. Die Kommunistische Partei wurde dadurch geschwächt, daß Putin den wichtigsten Trumpf der Kommunisten - nämlich die Idee des patriotischen Wiederaufbaus Rußlands - in sein eigenes ideologisches Konzept integriert hatte. Vor dem Hintergrund des Tschetschenienkrieges präsentierte sich Putin als Politiker, bei dem Wort und Tat eins sind - die Kommunistische Partei dagegen konnte außer verbalen Aufrufen nur wenig anbieten. So traf die KPdRF der Verlust der Mehrheit in der Staatsduma hart. Als Schlußakkord setzte Putin sein schonungsloses Vorgehen gegen die in der Bevölkerung besonders verhaßten oligarchischen Klans um Wladimir Gussinski und Boris Beresowski. Und mit all diesen Schritten zog Putin einen wesentlichen Teil der traditionell “linken” Wählerschaft auf seine Seite.
Was Teilen der linken Wäh-lerschaft imponierte, kostete den neuen Präsidenten jedoch viel Unterstützung seitens der zehn bis fünfzehn Prozent der Bevölkerung, die den europäischen demokratischen Werte verpflichtet sind. Die Idealisierung des Westens in diesem Teil der Bevölkerung wurde dann abgelöst durch gemäßigt patriotische Stimmungen. Diesem Stimmungsumschwung förderlich waren der NATO-Krieg gegen Jugoslawien, der in Rußland als rechtswidriger Krieg gewertet wurde, sowie der Unwille des Westens, die Handlungen der russischen Armee in Tschetschenien verstehen und gutheißen zu wollen. Putin nutzte gerade diese Umstände überaus geschickt, um die Aussöhnung mit den “Demokraten” zu suchen. Und er machte noch weitere Schritte in diese Richtung. Erstens verstand Putin ausgezeichnet, daß die russischen Liberalen und Demokraten vor allem die Restauration des Kommunismus beziehungsweise der Sowjetunion befürchteten. Der Präsident reagierte auf diese Ängste und verwies die Kommunistische Partei in den Hinterhof der politischen Bühne. So erreichte er, daß die Demokraten ihm alle “Sünden” vergaben, die er in den ersten Monaten seiner Präsidentschaft begangen hatte. Zweitens betonte der neue Staatschef stets seine Treue zu Marktreformen und zum Prinzip des Privateigentums. Was Jelzin in seiner zehnjährigen Amtszeit nicht geschafft hatte, gelang Putin innerhalb relativ kurzer Zeit: er drückte den Entwurf des Bodengesetzbuches in der Duma durch. Drittens solidarisierte sich der russische Präsident nach den Terrorakten vom 11. September 2001 in den USA ohne zu zögern mit der westlichen Gemeinschaft und leistete einen wichtigen Beitrag zum Sturz des Talibanregimes in Afghanistan. Die russischen “Westler” begrüßten dies selbstverständlich. Nicht zuletzt spielte aber auch das Image Putins eine Rolle: Er ist ein “typischer” Europäer und beherrscht einige europäische Sprachen, zudem hat er lange in Deutschland gelebt und in vielerlei Hinsicht die deutsche Kultur übernommen. Ein solches Image eines russischen Präsidenten gefiel den Anhängern des westlichen Entwicklungsweges und dem russischen Mittelstand insgesamt gut.
Viele Faktoren also, die da zusammenkamen. Der wichtigste Grund für die hohe Akzeptanz des russischen Präsidenten liegt jedoch vermutlich darin, daß die Weltanschauung Putins insgesamt mit den Ansichten der Mehrheit der russischen Gesellschaft übereinstimmt, die sich weder den Liberalen noch den Kommunisten zugehörig fühlt. Dabei weist diese Weltanschauung alles in allem Widersprüche auf: Es verbindet sich das Streben nach der Wiedergeburt Rußlands als Supermacht mit dem Bestreben, eine offene Gesellschaft zu bleiben. Man fühlt sich ein wenig beleidigt in den Beziehungen zu den ehemaligen Unionsrepubliken (“Sollen sie doch gehen!”) und ist zugleich bestrebt, diese in den militärisch-wirtschaftliche “Kosmos” Rußlands wieder einzubeziehen. Man verfolgt den Traum von einem Rechtsstaat und nimmt zugleich die zumeist nicht immer legalen Methoden gegenüber den Migranten aus dem Kaukasus billigend in Kauf. Diese sehr widersprüchliche Gefühlspalette, die dem durchschnittlichen Russen wesenseigen ist, findet ihre Entsprechung in der Geisteshaltung des Präsidenten (in jedem Falle scheint es so).
Aber natürlich ist keine ideologische Übereinstimmung imstande, die drängendsten Wirtschaftsprobleme zu lösen. Und hier zeigt sich interessanterweise, daß niemand in der russischen Gesellschaft von Putin ein Wirtschaftswunder erwartet. In den letzten Jahren hat sich in der russischen Bevölkerung die Haltung durchgesetzt, daß ein Wirtschaftsaufschwung und eine Verbesserung des Lebensstandards frühestens in fünfzehn bis zwanzig Jahren zu erwarten sind. Zudem wird Putin als Mensch gesehen, der in keinem Bezug zu denjenigen steht, die “das Land und die Wirtschaft ruiniert haben”. Ein immens großer Vorteil.
Somit sind praktisch alle politisch-ideologischen Faktoren der Popularität Putins förderlich. Daraus erklären sich seine hohe Beliebtheit und auch die Tatsache, daß er keine nennenswerten Konkurrenten im Machtkampf hat.
Das immense Vertrauen der Öffentlichkeit und das Fehlen einer ernstzunehmenden Opposition gestatteten Wladimir Putin, praktisch alle von ihm geplanten institutionellen und personellen Veränderungen - wie es scheint ohne großen Widerstand - umzusetzen. Er steuerte vor allem den Kurs auf einen zentralisierten Staat - die föderalistische Rhetorik, die in der Jelzinzeit die Regel war, ist vollständig verschwunden. Natürlich trieb er es nicht so weit, daß er die Gouverneure direkt ernannte. Die Präsidialadministration übte jedoch auf jede Regionalwahl einen so starken Einfluß aus, daß die Ergebnisse eigentlich stets im voraus klar waren. Alle Gouverneure, die dem Kreml nicht genehm waren, haben ihre Ämter mittlerweile verloren. In den Beziehungen zu so namhaften Politikern wie dem Moskauer Bürgermeister Juri Luschkow oder dem Präsidenten der Republik Tatarstan Mintimer Schaimijew nutzt Putin sehr geschickt die Unbestimmtheiten in den Gesetzen aus, ob ein Führer eines Föderationssubjekt für eine dritte Amtszeit kandidieren darf? Der Kreml jongliert mit juristischen Feinheiten - und gewährt das Recht im Austausch für umfassende Loyalität.
Der wichtigste Schritt aber zur “Zähmung” der “ausgelassenen Gouverneure” war das neue Prinzip der Bildung des Föderationsrates: Wurden früher die Leiter der exekutiven und legislativen Machtorgane der Föderationssubjekte automatisch Mitglieder des Oberhauses des Parlaments, so gibt es heute ein kompliziertes Verfahren bei der Wahl der Senatoren. Dies gibt dem Präsidenten die Möglichkeit, die Zusammensetzung der Kammer massiv zu beeinflussen. Nun trat an die Stelle des ehemaligen Föderationsvorsitzenden Jegor Strojew der Putin nahestehende Sergej Mironow - das Oberhaus wird also fraglos noch “gehorsamer” sein. Der neugeschaffene Staatsrat gestattet Putin zudem, die Gouverneure in “Nahestehende” und “Kandidaten für Nahestehende” zu teilen.
Die politische Bedeutung der Staatsduma ist deutlich gesunken. Nichtsdestoweniger unternahm Präsident Putin weitere Schritte, um die Kontrolle über das Parlament zu “vervollkommnen”. In der jetzigen Duma wurde die präsidententreue Mehrheit durch die Vereinigung der Fraktionen “Einheit” und “Vaterland” gestärkt. Die nächste Staatsduma wird mit hoher Wahrscheinlichkeit nach dem neuen Parteiengesetz gewählt - und dies könnte bedeuten, daß das politische System auf zwei bis drei Parteien basieren wird.
Putin hat das Personal in seiner Administration und der Regierung faktisch nicht ausgewechselt. Der Leiter der Präsidialverwaltung Alexander Woloschin und Ministerpräsident Michail Kassjanow haben sich in der Vergangenheit stark in Verruf gebracht. Die ständige Drohung, daß “alte Dossier” geöffnet werden könnten, läßt ihnen keine Möglichkeit, politische Spiele zu betreiben oder ihre eigenen politischen Ziele zu verfolgen. Die Leiter des Sicherheitsrates und der Kraftstrukturen hingegen wechselte Putin aus. Entscheidend war die Berufung des FSB-Mannes Sergej Iwanow zum Verteidigungsminister. Diese Personalentscheidung schließt die geringste Entfaltung von Illoyalität innerhalb der Generalität aus. Der stark politisch engagierte und durch den Tschetschenienkrieg populär gewordene General Schamanow erlangte mit Unterstützung des Kremls sogar einen ehrenvollen Sieg bei den Gouverneurswahlen im Gebiet Uljanowsk, das traditionell in kommunistischer Hand war.
Von Stabilität in bezug auf das heutige Rußland kann man verständlicherweise nur mit Vorbehalten wie “relative”, “in gewissem Maße” sprechen. Zu unsicher sind die gesellschaftlichen Prozesse, zu groß ist das Land, zu jung das politische System und zu stark die Wirtschaft verfallen. Trotzdem waren die beiden ersten Präsidentschaftsjahre Putins unbestreitbar eine Zeit, in der die Stabilität vorbereitet wurde, die sich heute abzeichnet. Dieser Prozeß entwickelt sich an der Grenze zu Verstößen gegen demokratische Normen (wie beispielsweise in der Frage der Medienfreiheit), überschreitet diese jedoch in der Regel nicht. Die Gesellschaft versteht das, und entsprechend konnte Wladimir Putin auch seine persönliche Macht festigen. Entscheidend wird sein, wie der junge und ambitionierte Präsident seine Macht in Zukunft nutzen wird.
Wenig Vertrauen in die politische Führung und die Parteien in Armenien
Ergebnisse einer Umfrage
Im November führte die Armenische Soziologische Assoziation unter 1000 Bewohnern Jerewans und drei weiterer armenischer Städte eine Umfrage zur Einschätzung der politischen Situation durch. Eine große Unzufriedenheit mit Präsident Robert Kotscharian und seiner Politik einerseits, eine gewisse Alternativlosigkeit andererseits waren die wohl wichtigsten Ergebnisse dieser Umfrage.
Auf die Frage, wen sie heute zum Präsidenten wählen würden, äußerten 26 Prozent ihre Unterstützung für den amtierenden Präsidenten. 10,5 Prozent wollten dem Vorsitzenden der Partei der nationalen Einheit Artasches Gegamanian ihre Stimme geben, 4,2 sprachen sich für den Vorsitzenden der Volkspartei Stepan Demirtschian aus, und Artur Bagdasarian, der Vorsitzende der Rechtsstaatspartei, kam auch auf 4,2 Prozent.
Gefragt, wie sie die Politik des 1998 gewählten Präsidenten einschätzen, antworteten 38,6 Prozent mit “befriedigend”, 19,3 Prozent mit “schlecht” und 28,3 Prozent mit “sehr schlecht”.
Aussagekräftig sind die Antworten auf die Frage, wer der einflußreichste Politiker des Landes ist. 31,2 Prozent der Befragten meinten, daß es in Armenien überhaupt keinen “einflußreichsten” Politiker gibt. 24,5 gaben an, Präsident Kotscharian ist der einflußreichste Politiker, und 13,9 Prozent erklärten Verteidigungsminister Serge Sarkissian zum einflußreichsten Politiker. Kein anderer Politiker kam auf mehr als fünf Prozent in dieser Frage.
Diese Ergebnisse stehen in einem gewissen Widerspruch zu den Antworten auf die Frage, wer wohl die meisten Chancen hätte, zum nächsten Präsidenten gewählt zu werden. 42,3 Prozent sehen Kotscharians Wiederwahl nicht gefährdet. Die aussichtsreichsten Herausforderer, wenn auch weit abgeschlagen, sind Artasches Gegamanian mit 9,3 Prozent, Serge Sarkissian mit 6,7 Prozent und der ehemalige Premierminister Aram Sarkissian mit ebenfalls 6,7 Prozent.
So schlechte Noten die Politiker bekommen, so schlecht sind auch die für die Legislative und politischen Parteien. Mehr als ein Drittel der Befragten jedenfalls hat insgesamt wenig Vertrauen in die Parteien. 13,2 Prozent erklärten, sie wollten sich definitiv nicht an der nächsten Parlamentswahl beteiligen, 22,9 Prozent gaben an, sie würden für keine der Parteien votieren. 14,9 Prozent waren noch unentschlossen, ob sie zu den Wahlurnen gehen wollten.
Die beliebteste Partei in Armenien ist weiterhin die Kommunistische Partei, die auf 14,5 Prozent Zustimmung kommt. Eigenartig ist allerdings, daß der Vorsitzende der Partei Wladimir Darpinian bei Präsidentschaftswahlen nur auf 1,4 Prozent der Stimmen kommen würde. Die Volkspartei würden 7,8 Prozent wählen und die Armenische Revolutionäre Föderation - Daschnaktsutiun käme auf 7,1 Prozent. (it)
Lohnschulden in Belarus
Im November ist im dritten Monat in Folge die Zahl der Beschäftigten, die ihren Lohn nicht pünktlich ausgezahlt bekamen, gestiegen. Nach Angaben des Unabhängigen Gewerkschaftsbundes summierten sich die Lohnschulden bis zum 30. November auf 51,29 Milliarden Belarussische Rubel (etwa 34 Millionen Dollar). Das sind 11,8 Prozent der Löhne aller Beschäftigten. Die höchsten Lohnschulden werden in Gomel verzeichnet. Es folgen Mogiljow und Minsk. Die Gewerkschaften melden, daß die Lohnschulden allein im November im Vergleich zum Oktober um 10 Milliarden Belarussische Rubel gestiegen sind. Wirtschaftsfachleute hatten einen Anstieg der Lohnschulden nach der Präsidentschaftswahl am 9. September vorausgesagt.
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