Auszüge:
Gewerkschaften zur Steuerreform in Rußland
von
Alexander Kusnezow,
Stellvertretender Vorsitzender der Bergbau- und Metallurgiegewerkschaft Rußlands
Rußland hat jetzt eine neue Macht, genauer aber einen erneuerten Teil der Macht. Wie immer nach einer Wahl erwarten die Menschen von einer neuen Macht auch Neues in ihrem Leben. Die Behörden wollen sich entsprechend irgendwie hervortun und präsentieren sich als Reformer. Die Kernfrage ist, ob die Erwartungen der Bürger mit den Inhalten der Entscheidungen der neuen Macht und deren Umsetzung übereinstimmen. Ehrlich gesagt, würde ich lieber einen Beitrag über positive Reformen und die neuen Interessen der Mehrheit der Bevölkerung Rußlands schreiben, doch gibt es hierfür faktisch keinen Anlaß.
Jede neue Reformermannschaft beginnt ihre "Großtaten" in der Regel mit allgemeinen Neuerungen im Sozialbereich. Diese "Sünde" begingen auch die Berater des neuen Präsidenten und die meisten Abgeordneten der Staatsduma. Das Wesen dieses Experiments ist simpel: Man verkündet eine Steuerreform im Lande.
Die Phantasie, die Kräfte und der politische Wille reichten für eine wirklich solide Steuerreform offensichtlich nicht aus. Im Prinzip läßt sich die Reform auf die Verabschiedung des niedrigsten Einkommenssteuersatz der Welt von dreizehn Prozent reduzieren. Diese dreizehn Prozent gelten für alle Bürger, unabhängig von deren individuellen Einkommen. Die Argumentation lautet: Dann werden auch die Reichen freiwillig Steuern zahlen und das Kapital aus der "Schattenwirtschaft" in die legale Wirtschaft überführen. Im Ergebnis werden sich die Haushaltseinnahmen und somit die Finanzmittel zur Bekämpfung des Elends erhöhen. Man möchte es glauben. Die Zeit wird zeigen, ob diese Steuerermäßigung den reichen Herren in Rußland reicht, damit sie an die Armen und den Staat insgesamt denken.
Genauso aufschlußreich ist der nächste Schritt der Macht, der ebenfalls ernsthafte Folgen nach sich ziehen kann. Es handelt sich um die Reform des Sozialversicherungssystems, das in Rußland erst im Entstehen begriffen ist und nur wenige Elemente eines Marktsystems aufweist. In Rußland wurden in den letzten Jahren mehrere föderale Gesetze verabschiedet, die die Beziehungen innerhalb des Sozialversicherungssystem regeln, wenn auch nicht vollständig.
Anstatt Maßnahmen zur Entwicklung der Sozialfürsorge für Beschäftigte, Kinder und Rentner zu ergreifen, hat man sich vornehmlich für den Abbau beziehungsweise eine merkliche Begrenzung der Sozialfürsorge und den Verzicht auf soziale Garantien entschieden. Natürlich dürfen die Gewerkschaften dem Geschehen nicht als Außenstehende zusehen. Die russischen Gewerkschaften können sich bislang zwar nicht mit den Gewerkschaften in marktwirtschaftlich organisierten Gesellschaften, die die Interessen der Beschäftigten und deren Familienmitglieder solidarisch vertreten, vergleichen, doch reagierten sie auf die Maßnahmen der Regierung mit Protestaktionen. Vor der Abstimmung über dieses Gesetz in der Staatsduma organisierten sie unter dem Dach der Föderation der unabhängigen Gewerkschaften Rußlands einen Streikposten am Dumagebäude im Zentrum Moskaus. Dann bestreikten die Gewerkschaften der wichtigsten Industriebranchen den Sitz der Regierung - das Weiße Haus - und erreichten aufgrund ihrer nachdrücklichen Forderungen, daß der stellvertretende Premierminister, der für soziale Fragen zuständig ist, mit ihnen sprach. Die Gewerkschaften stellten auf einer Sitzung der dreiseitigen Kommission zur Regelung der Sozial- und Arbeitsbeziehungen mit aller Schärfe fest, daß jegliche Experimente im Sozialbereich für die Bevölkerung unzumutbar sind.
Es gibt bislang leider nur ein Ergebnis. Im Prinzip agiert die Macht nach eigenem Belieben. Der Standpunkt der Beschäftigten wird im Kern ignoriert, obwohl in der Staatsduma Hunderte Eingaben und Protesttelegramme eingingen. Mißachtet wird auch die zwischen den Gewerkschaften und der Regierung erzielte Übereinkunft, daß keine die Beschäftigten schädigenden Entscheidungen getroffen werden sollen.
Die Proteste der Gewerkschaften richten sich vor allem gegen den Versuch, die Abgaben an den Rentenfonds, den Beschäftigtenfonds, den Krankenversicherungsfonds und den Sozialversicherungsfonds durch eine einheitliche Sozialsteuer zu ersetzen. Im Ergebnis werden Arbeitgeber und Gewerkschaften nämlich von der Mitverwaltung und Kontrolle über die Finanzmittel der haushaltsfremden Sozialfonds ausgeschlossen, obwohl die Sozialversicherungsabgaben im Kern ein "Entgelt der Lohnarbeiter" sind. Die Mittel sind wirtschaftlich betrachtet Gemeinschaftseigentum aller versicherten Beschäftigten. In einem anderen Land in Europa wäre ein solches Vorgehen unvorstellbar.
Die Ideologen dieser "Reform" haben alles zynisch, aber richtig vorausberechnet. Die russischen Bürger haben die Wohltat der Sozialversicherung noch nicht in vollem Maße zu spüren bekommen, während die negativen Folgen dieses Experiments nicht unmittelbar zum Tragen kommen. Die Eliminierung sozialer Garantien wird sich erst in ein bis zwei Jahren schmerzhaft auswirken. Die Bürger können also gar nicht wirklich verstehen, was in diesem Bereich passiert. Sie werden langsam daran gewöhnt, ohne soziale Garantien auszukommen.
Daß es nicht zu massenhaften Protestaktionen kommt, erklärt sich unter anderem auch dadurch, daß das Ergebnis noch weit entfernt ist. Aufschlußreich ist unserer Meinung nach die Erfahrung einiger postsowjetischer Länder: Nach der Einführung einer allgemeinen Sozialsteuer hörten die haushaltsfremden Sozialfonds innerhalb von zwei bis drei Jahren auf, eine wichtige Rolle in der Gesellschaft zu spielen.
Wie läßt sich der Angriff der Behörden auf die sozialen Garantien erklären?
Nun, der Grund ist natürlich das Geld. In den haushaltsfremden Sozialfonds sind recht große Finanzmittel konzentriert. Die Regierungen haben auch zuvor regelmäßig in die Taschen der Bürger gegriffen. Das Geld, das sich der Staat aus den Sozialfonds "ausgeliehen" hat, wurde bis heute nicht vollständig zurückgezahlt. Die neuen Reformideologen haben nun beschlossen, noch näher an dieses Geld heranzukommen, um frei und nach alleinigem Gutdünken darüber zu verfügen. Die Gewerkschaften fordern, die Mittel der Beschäftigten, die für die Gesundheitsversorgung, für die Arbeitslosen und die Rentner bestimmt sind, auch gemäß ihrer Zweckbestimmung zu verwenden. Zudem dürfen die immensen Summen nicht einfach nur in den Fonds liegen, sondern müssen für die Menschen arbeiten. Man muß mehr "Transparenz" für diese sozialen Finanzströme schaffen.
Zudem entsteht der Eindruck, daß die neuen Reformer ihren Gegenstand nicht ganz beherrschen. Oder lassen sie sich bewußt täuschen? Bei der Erörterung dieser Frage in der Staatsduma sagte der Erste stellvertretende Finanzminister, daß die Arbeitgeber im Westen bestenfalls vierzehn bis sechzehn Prozent aus dem Lohnfonds in die Sozialversicherung abführen. Die Tatsachen belegen etwas anderes. In vielen europäischen Ländern liegt dieser Wert bei über dreißig Prozent. Die Gesamtabführungen des Arbeitnehmers, des Arbeitgebers und mitunter auch des Staates an die Sozialversicherung übersteigen vierzig beziehungsweise fünfzig Prozent.
Der soziale Frieden beruht in der Gemeinschaft der europäischen Staaten gerade auf den Prinzipien der Sozialversicherung und der Sozialpartnerschaft.
Der demokratische funktionale Charakter der Sozialversicherung gestattet, höchstmögliche Transparenz zu schaffen und eine zielgebundene Nutzung der Finanzressourcen zu sichern, die sozialen Garantien komplett und umfassend zu bedienen und "abzustimmen", die Interessen der Versicherten, der Versicherer und der Rückversicherer zu harmonisieren. Im Ergebnis werden dadurch die persönliche Verantwortung der Versicherten einerseits und die Solidarität der Arbeitgeber und Arbeitnehmer andererseits gefestigt, Bedingungen für soziales Einvernehmen in der Gesellschaft geschaffen und Konfliktsituationen verhindert. Laut deutschen Fachleuten "handelt der Staat" im Bereich der Sozialpolitik "richtig, wenn er seine Bemühungen auf die Aufgaben konzentriert, die er niemandem anvertrauen kann. Alle anderen Aufgaben sollten aus dem Zuständigkeitsbereich des Staates herausgelöst werden. Dies bewahrt den Staat vor Überbeanspruchung und erleichtert den Konsens."
Die russische Macht bevorzugt natürlich, das Geld zu nehmen, statt sozialen Frieden und Stabilität zu sichern. Hoffentlich gibt die neue russische Macht diese Täuschung auf und berücksichtigt die Erfahrungen der sozial gut entwickelten Länder. In dieser Zeit müssen die Gewerkschaften bei ihren Forderungen hart bleiben. Die Gewerkschaft als Institution der Zivilgesellschaft ist in Rußland bislang noch nicht sehr angesehen und wenig einflußreich. Aber eben in so zugespitzten Situationen bietet sich die Möglichkeit, die eigenen Positionen zu festigen.
Die nächsten Pläne der besonders gut arbeitenden Gewerkschaften Rußlands sehen vor, den Kampf um die sozialen Garantien der Arbeitnehmer fortzusetzen. Es gibt eine Chance, das Gesetz zur Eliminierung des Sozialversicherungssystems im Föderationsrat zu stoppen. Der Erfolg hängt dabei vom politischen Willen der Senatoren und der Stärke der Gewerkschaften ab.
Und zum Abschluß - die Beamten und Abgeordneten sollten schneller in Urlaub gehen. Mögen sie sich auf Kosten der Steuerzahler erholen - je länger, desto besser. Das wird die Bürger insgesamt weniger kosten als deren "Sozialreformen".
Finanzspritzen in die Wirtschaft Moldowas
(mc)
Im ersten Quartal des Jahres 2000 wurden umgerechnet 7,9 Millionen Dollar in die Wirtschaft der Republik Moldowa investiert. Nach Angaben der Analyseabteilung der Nationalen Agentur für die Anwerbung von Investitionen hatten Direktinvestitionen einen Anteil von 6,6 Millionen Dollar und Portefeuilleinvestitionen von 1,3 Millionen Dollar. Mit etwa drei Millionen Dollar gingen die meisten Investitionen in den Transport- und Kommunikationsbereich des Landes. Ausländische Investitionen summierten sich auf insgesamt 2,7 Millionen Dollar. Die verarbeitende Industrie belegte in bezug auf Investitionen den zweiten Platz. 2,234 Millionen Dollar wurden in der Zeit von Januar bis März in diesen Wirtschaftssektor investiert. Investitionen von gerade einmal 32000 Dollar brachte die einheimische Wirtschaft in die verarbeitende Industrie ein. Den dritten Platz schließlich belegten der Groß- und der Einzelhandel. Insgesamt wurden in diesem Wirtschaftsbereich Investitionen in Höhe von 1,172 Millionen Dollar im ersten Quartal verzeichnet. Anzumerken ist, daß Investitionen in Höhe von vierzig Millionen Dollar, die im ersten Quartal vom spanischen Unternehmen Fenosa an die Nationalbank der Republik Moldowa transferiert wurden, noch nicht in die Gesamtinvestitionssumme aufgenommen wurden. Der Registrierungsprozeß für drei neue Unternehmen, die sich zu hundert Prozent in ausländischem Besitz befinden, wurde nämlich erst Ende April abgeschlossen, so daß diese Investitionen noch nicht in die Quartalsanalyse einflossen. Die Gesamtinvestitionen von vollständig in ausländischem Besitz befindlichen Firmen in die moldawische Wirtschaft belaufen sich auf 386,18 Millionen Dollar. Die meisten Investitionen flossen in den Energie- und den Transportsektor, den Maschinenbau und den Handel.
Zerbricht die Aserbaidschanische Volksfront?
(bw)
Die Aserbaidschanische Volksfront droht an innerparteilichen Auseinandersetzungen im Zuge der Diskussionen um die Parlamentswahlen am 5. November und dem offenen Kampf um Einfluß zu zerbrechen. Tatsächlich zeigte sich der Riß durch die Partei zwischen dem konservativen Flügel um den ehemaligen Präsidenten Abulfaz Eltschibej und den "jungen Reformern" um den Ersten stellvertretenden Parteivorsitzenden Ali Kerimow bereits seit einem Jahr. Die Auseinandersetzungen eskalierten nun, als die Partei eine Kandidatenliste für die Parlamentswahlen aufstellte. Unter den ersten fünf Kandidaten der Liste fanden sich Kerimow selbst, drei seiner Anhänger und ein "Neutraler". Eltschibej erklärte daraufhin die Kandidatenliste für nicht repräsentativ und ließ sich vom Obersten Rat der Partei das Vertrauen aussprechen. Bei einer zweiten Abstimmung über die dreißig Kandidaten auf der Parteiliste fanden sich neben Kerimow wieder zwei seiner ausgewiesenen Unterstützer. Eltschibej griff in die Auseinandersetzungen ein und erklärte, er sei bereit, eine gemeinsame Liste von Volksfront und Musawat beziehungsweise eine Liste aller zehn Parteien, die sich im Demokratischen Kongreß zusammengeschlossen haben, zu führen. Dieser Vorstoß war mit der Partei Musawat nicht abgestimmt. Schlußendlich wurde beschlossen, eine gemeinsame Liste von Volksfront und Musawat aufzustellen. Wer diese Liste anführen soll, ist offen.
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