Wostok Newsletter 03/2000 (Auszüge)

Olexander Wolkow - Ein Mann und die Macht
Das Aus für Petru Lucinschi?
Staatsoberhaupt auf Lebenszeit?

Olexander Wolkow - Ein Mann und die Macht
von
Alexander Lewschin, Journalist, Kiew


Dieser massig-wuchtige Mann wird "ukrainischer Oligarch" genannt. Er selbst sagt jedoch, daß es in der Ukraine überhaupt keine Personen gibt, die diesem Begriff entsprechen. "Ich kenne Boris Beresowski. Er ist ein sehr distinguierter, gebildeter und talentierter Mann. Er ist die Nummer Eins unter den russischen Oligarchen. Ich denke, niemand bei uns in der Ukraine kann mit Beresowski verglichen werden."

Seinen eigenen Worten nach ist er lediglich ein Selfmademan. 1948 wurde Olexander Wolkow als Kind einer Arbeiterfamilie in Kiew geboren. Er begann seine berufliche Laufbahn mit sechzehn Jahren als Schlosser. Sein russischer Vater war ein überzeugter, treuer Kommunist und "Held der Sowjetunion" (damals die höchste Auszeichnung). Seinen zweijährigen Militärdienst leistete Wolkow in einer militärischen Eliteeinheit ab - als Wache für den berühmten Marschall Georgi Schukow.

Wolkow machte zwei Institutsabschlüsse - als Ökonom und als Anwalt - sowie einen Lehramtsabschluß in Politikwissenschaften. Er schrieb ein Buch "Politische Ideologie".

Einige Jahre arbeitete Wolkow im Landwirtschaftssektor und ist Fachmann in der Agrar-ökonomie. Er verfügt über ein immenses Organisationstalent und langjährige Managementerfahrungen.

1989 machte Wolkow sich selbständig und baute sein erstes Unternehmen auf, das vornehmlich Agrarbetriebe mit Benzin versorgte. Dann, im Jahre 1991, gründete er eine ganze Reihe von Gemeinschaftsunternehmen mit westlichen Partnern. 1992 baute er den ersten "unabhängigen" privaten Fernseh- und Rundfunksender der Ukraine - Gravis - auf. Im Präsidentschaftswahlkampf 1995 unterstützte er Leonid Kutschma. Mehr noch, sein Medienunternehmen spielte letztlich eine entscheidende Rolle beim Sieg Kutschmas. Es war also durchaus kein Wunder, daß der Präsident ihn danach als Berater zu sich holte.

Seit dieser Zeit gehört der erfolgreiche Geschäftsmann zu den einflußreichsten Akteuren auf der innenpolitischen Bühne der Ukraine. 1998 wurde Wolkow als Abgeordneter in die Werchowna Rada gewählt. In einem "roten" Wahlkreis konnte er 79,12 Prozent der Stimmen auf sich vereinen. Wolkow ist Führer der Parlamentsfraktion "Wiedergeburt der Regionen", und den ukrainischen Regionen schenkt er in der Tat ein hohes Maß an Aufmerksamkeit.

Vor etwa einem Jahr gründete Wolkow die Demokratische Union - eine zentristische Partei aus "gesunden Pragmatikern". Diese Partei wird als eine der zukünftig einflußreichsten Parteien in der Ukraine gehandelt. "Wir haben die Werchowna Rada gezwungen, effektiver zu arbeiten", sagte er, der zu denjenigen zählte, die den linken Vorsitzenden der Werchowna Rada Olexander Tkatschenko abwählten und heute die Mehrheit im Parlament stellen. Für die Linke, die in Kleinstparteien zersplittert ist, sieht er in der Ukraine keine Zukunft.

Wolkow glaubt an die Demokratische Union und ihr politisches Potential. Er, auf dessen Initiative in hohem Maße die Bildung der Parlamentsmehrheit zurückzuführen ist, wertet die derzeitige Situation im Parlament nicht als ideal. "Die Mehrheit wird nur durch die Situation diktiert." Aus diesem Grunde denkt er bereits heute über die Zukunft nach. Er sagt von sich, daß er ein realistisch denkender Politiker sei, und als solcher schließt er keinen Wahlbündnis mit irgendeiner Partei aus. Es gibt eine Übereinkunft zwischen Demokratischer Union und Sozialdemokraten (Vereinigte), daß man mit den Liberalen und der Demokratischen Partei als politischer Block an den nächsten Parlamentswahlen teilnehmen und gegen die Kommunisten und andere linke Kräfte kämpfen wird.

Olexander Wolkow taucht jedes Mal in der Liste der Zehn einflußreichsten Personen in der Ukraine auf und belegt dort den fünften Platz.

Die einheimische Presse vermutet, daß er den ukrainischen Energiemarkt kontrolliert. Seine politischen Gegner haben ihm das Etikett "Geschäftsführender Direktor der Werchowna Rada" angeheftet und ihn den "wahren" Vater und Initiator des Referendums im April, das auf die Ausweitung der Vollmachten des Präsidenten zielte, und heftig umstritten war, genannt. Unter anderem haben die Medien ihm das Etikett einer "gesamtukrainischen Topmanager-Ressource" angeheftet und ihn als "Inkarnation des oligarchischen Systems der Ukraine" ausgemacht. Einige Jahre wurde Wolkow als "Graue Eminenz" von Präsident Leonid Kutschma betrachtet. Mittlerweile aber steht er mehr und mehr in der Öffentlichkeit. Er unterstützte Kutschma auch im Oktober 1999 bei den Präsidentschaftswahlen und investierte Geld, Zeit und Kraft als Leiter des Kutschmaschen Wahlkampfstabes. An dessen Sieg hatte er nie irgendeinen Zweifel. Nach der Wiederwahl Kutschmas konzentrierte er sich auf die Stärkung der Demokratischen Union und die Ausweitung ihrer Aktivitäten.

Für seine Wohltaten wurde er mit einem der höchsten Auszeichnungen der orthodoxen Kirche, dem Heiligen Wladimir-Orden, geehrt. Und Kutschma dekorierte ihn mit dem Verdienstorden des Präsidenten der Ukraine dritten Grades. Dies ist die eine Seite.

Und die andere? Die westlichen Medien, insbesondere die britische "Financial Times" und die "New York Times", haben wiederholt gemeldet, daß Wolkow auf einer ganz besonderen Liste steht. Nämlich auf der amerikanischen Liste der am wenigsten erwünschten Personen in Präsident Kutschmas engstem Umfeld. Diese "Verbrecherliste" führt den Namen dieses Mannes neben etwa einem Dutzend anderen als "persona non grata" für die amerikanische Demokratie. Die amerikanische Führung hat Leonid Kutschma offen und kategorisch bedeutet, daß er sich von diesem Manne und anderen distanzieren solle, wenn er sich weiter amerikanischer Hilfe und Unterstützung erfreuen wolle.

Wie berichtet wurde, haben die belgischen Behörden zur gleichen Zeit das mehrere Millionen Dollar Guthaben aufweisende Konto Wolkows mit der Begründung eines anhängigen Strafverfahrens eingefroren. Die Anklage lautet: Geldwäsche. Einige der "respektabelsten" Länder haben ihre Einreisevisa für diesen Ukrainer annulliert.

Nun ist er also Berufspolitiker, und als solcher glaubt er, daß die Politik das schmutzigste Geschäft in der Welt ist, in dem nichts garantiert und absolut nichts vorhersehbar ist.

Wolkow ist vollkommen davon überzeugt, daß die Ukraine nun - unter Kutschma - eine gewisse politische Stabilität erreichen kann, die wichtig für ausländische Investitionen und die einheimische Geschäftstätigkeit ist. Er ist sich sicher, daß die Ukraine in einigen Jahren politische und wirtschaftliche Prosperität erreicht haben wird. "Wenn es wenigstens für fünf Jahre politische Stabilität gibt, können die Menschen sich ihres Arbeitsplatzes und ihrer Sparguthaben sicher sein."

Wolkow steht für die Verschmelzung von Leuten aus dem "großen Geschäft" mit den staatlichen Machtstrukturen. Er denkt, daß es ganz natürlich ist, daß Geschäftsleute wie er in die große Politik gehen, um ihre Geschäftsinteressen und die nationalen Interessen des Landes zu schützen. Er hält es für unnormal, daß ein Geschäftsmann hundert Prozent Steuern zahlen und arm wie eine Kirchenmaus sein soll. Das ist zwar absurd, aber nichtsdestotrotz ukrainische Realität.

Wolkow steht für zivilisierte, legale Geschäfte und er ist ein Gegner der Schattenwirtschaft, da sie zu viele Risiken für eine solide Geschäftstätigkeit birgt. Er steht aber auch für eine die einheimischen Unternehmen und Betriebe schützende staatliche Politik. "Der Staat muß die Geschäftsleute schützen, und die Geschäftsleute sollten den Staat unterstützen." Um dies in die Realität umzusetzen, sollten die ukrainischen Gesetzgeber ein neues, progressiveres Steuergesetzbuch annehmen, daß beidseitig - für den Staat und für die Wirtschaft - Vorteile bringt.

Wolkow setzt sich aber auch für die umfassende Legalisierung der ukrainischen Schattenwirtschaft und des Kapitals ein, das derzeit im Ausland zum Wohle der westlichen Wirtschaft arbeitet.

Er ist sicher, daß jeder Bürger heute mehr Möglichkeiten hat, sich selbst zu verwirklichen als in der Sowjetzeit. Aber die größten Probleme sieht er in der geringen Disziplin der Menschen und deren Weigerung, Verantwortung zu übernehmen.
zum Seitenanfang


Das Aus für Petru Lucinschi?

von
Maria Constantinescu, Journalistin, Chisinau


So schlecht hätte es den Umfragen nach für Petru Lucinschi bei den im Herbst anstehenden Präsidentschaftswahlen nicht einmal ausgesehen. Vielleicht nicht mit "überwältigender" Mehrheit, aber mit klarem Vorsprung vor seinen Konkurrenten wäre er aller Wahrscheinlichkeit nach für eine zweite Amtszeit wiedergewählt worden - wie fast alle seine Kollegen in den GUS-Staaten auch. Trotz Energiekrise und Schulden, trotz Verarmung und Transnistrien, trotz der andauernden Auseinandersetzungen zwischen Präsident und Legislative, trotz Regierungskrisen und wechselnden Regierungen (es gab insgesamt vier Regierungen seit Lucinschis Amtsantritt 1996) scheinen die Bürger Moldowas ihrem gewählten Präsidenten doch zu vertrauen. Bis zum 5. Juli konnte Petru Lucinschi den Wahlen im Prinzip gelassen entgegen sehen.

Dann stimmte das Parlament der Republik Moldowa über drei Entwürfe zu Änderungen an der Verfassung ab. Die Initiative für einen Entwurf war von 38 Abgeordneten unter Federführung der Christdemokraten ins Parlament eingebracht worden. Mit in der Tat überwältigender Mehrheit wurde angenommen, daß der Präsident des Landes künftig nicht mehr direkt von den Bürgern, sondern von deren Vertretern, sprich den 101 Parlamentariern, gewählt werden soll. Und damit ist das Aus für eine zweite Amtszeit Lucinschis faktisch vorausbestimmt, wenn das Verfassungsgericht der Vorgabe der Legislative folgt. Denn nach den Auseinandersetzungen zwischen Legislative und Staatsoberhaupt in den vier Jahren der Amtszeit Lucinschis - nicht zuletzt wegen der Ausweitung der präsidialen Vollmachten, die der Präsident seit einem Jahr versucht durchzusetzen -, ist es mehr als unwahrscheinlich, daß er eine Mehrheit der Parlamentarier für sich gewinnen kann.

Ist dies nur gegen Petru Lucinschi persönlich gerichtet? Schließlich hört sich einiges erst einmal gut an: Nicht das Amt des Präsidenten werde beschnitten, sondern lediglich das Wahlverfahren. Das neue Wahlverfahren spare erhebliche Gelder, die ansonsten in die Finanzierung des Wahlkampfes und die Organisation der Wahlen gesteckt werden müßten, was angesichts der desolaten sozialen und finanziellen Lage des Landes nicht zumutbar wäre. Zudem hätte man so die Chance, dem Staatsoberhaupt die Vollmachten anzubieten, die es in "Ehren" erfüllen werde, und könne die sich abzeichnenden autoritären Tendenzen eliminieren und künftig den Werten des Rechtsstaates und der Bürgergesellschaft folgen. Das neue Wahlverfahren sei einem Klima der Kooperation von Exekutive, Legislative und Präsident dienlich und man könne so einen "schmutzigen" Wahlkampf, der das Land weiter destabilisieren werde, vermeiden.

Aber wird die politische Situation durch ein solches Recht des Parlaments tatsächlich stabilisiert? Betrachtet man die Schwierigkeiten, die die Gesetzesgeber hatten, die Braghis-Regierung zu bestätigen, betrachtet man die miteinander verfeindeten Fraktionen, erscheint es unwahrscheinlich, daß das Parlament überhaupt die Mehrheiten finden wird, den Präsidenten des Landes zu bestimmen. Drei Fünftel der anwesenden Abgeordneten müßten sich nämlich auf einen Kandidaten verständigen.

Die beiden anderen Entwürfe für Verfassungsänderungen wurden ebenfalls angenommen. Beide wurden von der Regierung eingebracht. Der erste Entwurf soll die Exekutive mit mehr Rechten ausstatten. Insbesondere soll sie das Recht haben, nach der Verabschiedung eines Notstandgesetzes durch das Parlament, den Notstand ausrufen zu können. Die Abgeordneten nahmen diese Änderung unter der Bedingung an, daß ihnen bis zum Beginn der Sitzungspause ein Gesetzentwurf vorliegt. Die zweite Änderung bezieht sich auf die Generalstaatsanwaltschaft und den Status der Staatsanwälte. Sie sollen künftig der Exekutive zugeordnet werden und nicht mehr dem Parlament, sondern dem Justizministerium untergeordnet sein. Zudem soll die Generalstaatsanwaltschaft künftig nur noch vier Funktionen erfüllen: Schutz der öffentlichen Ordnung, Schutz der Bürgerrechte und -freiheiten, die Untersuchung und Verfolgung von Straffällen sowie die Unterstützung der Anklage vor Gericht. Ihrer Funktion als allgemeine Aufsichtsinstanz wird sie enthoben.
zum Seitenanfang


Staatsoberhaupt auf Lebenszeit?

von
Gulmira Astanowa, Journalistin, Almaty


Das kasachische Parlament hat auf einer Sitzung beider Kammern in zweiter Lesung einen Entwurf über den Status des amtierenden (und ersten) Präsidenten des Landes angenommen. Das Gesetz wurde an das Staatsoberhaupt zur Unterzeichnung und damit Inkraftsetzung weitergeleitet. Nach dem Gesetz wird Nursultan Nasarbajew mit folgenden Rechten ausgestattet: sich mit Initiativen, die Schlüsselaspekte der gesellschaftlichen Entwicklung betreffen, an die Nation, staatliche Institutionen und Behörden zu wenden; die Versammlung der Völker Kasachstans zu leiten; Mitglied des Sicherheitsrates zu sein; Friedens- und Fortschrittspreise zu verleihen; dem neuen Präsidenten Vorschläge für die Personalpolitik zu unterbreiten, den Notstand und das Kriegsrecht auszurufen und den Einsatz der Armee zu befehlen. Des weiteren werden Präsident Nasarbajew und seiner Familie nach Ablauf seiner Amtszeit im Jahre 2006 soziale Absicherungen garantiert.

Nasarbajew sagte, daß er nicht vorhabe, Staatsoberhaupt auf Lebenszeit zu bleiben. "Ich glaube nicht, daß dies gut für mich ist", und er fügte hinzu, daß alle Wahlen, darunter die Präsidentschaftswahlen, in Übereinstimmung mit der Verfassung abgehalten werden. Dann fuhr er allerdings fort, daß die Abgeordneten das Recht auf eine Gesetzesinitiative haben, und wenn das Parlament entscheidet, daß der Entwurf der Verfassung entspricht, habe er als Präsident nicht das Recht, ein Veto dagegen einzulegen.

Fünfzehn Parteien, politische und gesellschaftliche Organisationen, darunter die Kommunistische Partei, der Volkskongreß, die Republikanische Volkspartei und die Bewegung "Orla" lehnten den Entwurf ab. Die Widersacher argumentierten, daß der Entwurf gegen die Verfassung verstoße und die Etablierung einer Monarchie bedeute. "Mit dem Entwurf wird es zwei Präsidenten geben - einen echten und einen formalen", so die Opposition. Verfassung und Gesetz erlauben soziale und politische Garantien für "Expräsidenten" und so gebe es keine Veranlassung, ein Gesetz zu verabschieden, daß zu künftigen politischen Krise führen könne.
zum Seitenanfang


Bestellen Sie den kompletten "Wostok Newsletter" online!