Auszüge:
Nach dem Anschlag auf Achmed Kadyrow. Wie weiter in Tschetschenien?
von
Ina Tkatsch, Journalistin, Moskau
Am 9. Mai, bei den Feierlichkeiten zum Tag des Sieges über den Faschismus, der in Rußland weiterhin als einer der wichtigsten, wenn nicht der wichtigste Feiertag angesehen wird, wurde der Präsident der russischen Teilrepublik Tschetschenien Achmed Kadyrow im Dynamo-Stadion in Grosny bei einem Anschlag getötet. Mit ihm starben der Vorsitzende des Staatsrates Tschetscheniens sowie eine Reihe Zivilisten. Live konnten die Fernsehzuschauer das Attentat auf ihren Bildschirmen verfolgen.
Bedeutet der Mord an Achmed Kadyrow nun das Scheitern der Tschetschenienpolitik Wladimir Putins, so fern man von Politik überhaupt sprechen kann? Für viele in Rußland - Politiker, Beobachter und auch Bürger - erschien Kadyrow alternativlos. Es war ein Bild geschaffen worden, von einem mutigen und starken Menschen, der hohes Ansehen genoß, von einem unversöhnlichen Gegner des islamistischen Extremismus, der gegen die Anführer des tschetschenischen Widerstandes - Maschadow, Bassajew, Udugow - auftrat. Danach war es Kadyrow, der den breitangelegten Wiederaufbau der am Boden liegenden Wirtschaft einleitete, der sich um die Gas- und Elektrizitätsversorgung im Lande kümmerte, der die Versöhnung suchte, indem er Widerstandskämpfern die Rückkehr ins zivile Leben und auch in seine Verwaltung ermöglichte. Das war immer das vom Kreml lancierte Bild, ein freundliches Bild, das vermitteln sollte, Tschetschenien ist auf dem Weg zurück in die Normalität.
Es existierte allerdings auch ein anderes Bild. Danach war Kadyrow Führer eines Klans, der sich mit den Russen gemein gemacht hatte, um die von der Föderation bereitgestellten Wiederaufbauhilfen in die eigenen Taschen zu stecken. Danach unterdrückte sein Sohn Ramzan mit seiner Privatarmee, die auf 5.000 bis 8.000 Personen geschätzt wird, die tschetschenische Bevölkerung, drangsalierte und terrorisierte sie. Er blieb danach der Präsident von Kremls Gnaden - an der Unrechtmäßigkeit der Präsidentschaftswahl im Oktober 2003 hatte wohl kaum jemand in Tschetschenien Zweifel -, auch wenn er nun gegen den Kreml auftrat, die Kontrolle über Politik und Wirtschaft von Moskau zurückforderte - sowie für die Neuverteilung der Gewinne aus dem Erdölgeschäft eintrat.
Wie wird es weitergehen, nachdem die Vertrauensperson des Kreml, die das Leben in der nordkaukasischen Teilrepublik nach dem für beendet erklärten Krieg "normalisieren und stabilisieren" sollte, von wem auch immer in die Luft gesprengt wurde?
Ersichtlich bot der Statthalter des Kreml ein durchaus widersprüchliches Bild. Wie Hohn mußte jedoch der unter dem Krieg, dem Terror, den Razzien und Säuberungen leidenden Bevölkerung, für die der Krieg gegen das eigene Volk, der nicht nur von der russischen Armee, sondern gerade auch von den Kadyrow-Privattruppen geführt wird, keineswegs zu Ende ist, der Aufruf des tschetschenischen Staatsrates in den Ohren klingen. In diesem war vom nicht wieder gutzumachenden Verlust die Rede, den das tschetschenische Volk durch den Mord an seinem "anerkannten" Führer erlitten hatte. Wie Hohn auch der Aufruf, sich noch enger gegen die Terroristen zusammenzuschließen. Denn was für den einen ein internationaler Terrorist ist, ist für den anderen ein legitimer Widerstandskämpfer. Und ein Kampf, den Moskau als Kampf gegen den internationalen Terrorismus deklariert, bleibt für andere der Befreiungskampf des tschetschenischen Volkes gegen die russische Unterdrückung. Die Ankündigung, daß der von Kadyrow unter der Kontrolle des Kreml eingeschlagene Kurs mit ungebrochener Härte fortgesetzt werde, wird der Mehrheit der Bevölkerung nichts Gutes verheißen. Auch die lobenden Worte, mit denen Präsident Putin Kadyrow das letzte Geleit gab, sowie die Übergabe des Stern des Helden der Russischen Föderation an seine Angehörigen wird kaum auf die Zustimmung der Mehrheit gestoßen sein. Denn schließlich gilt Kadyrow, der zunächst dem Widerstand angehörte, sich jedoch zu Beginn des zweiten Tschetschenienkrieges im November 1999 an die Seite des damaligen Ministerpräsidenten Putin stellte, vielen als Verräter an der Sache des eigenen Volkes.
Eine der ersten Reaktionen des russischen Präsidenten - das schon rituell gewordene "Vergeltung ist unvermeidlich" - verhieß zunächst nur die Intensivierung der Kriegshandlungen. Doch diesmal gab es in der politischen Führung auch andere Vorschläge, die einem Eingeständnis des politischen Scheiterns gleichkamen. So forderte die erste stellvertretende Dumavorsitzende Ljubow Sliska, daß der russische Präsident Tschetschenien und auch die angrenzenden Teilrepubliken Inguschetien und Dagestan unter seine direkte Kontrolle stellen solle. Politiker wie Dmitri Rogosin forderten den Ausnahmezustand und die Präsidialverwaltung. Der Kreml entschied sich jedoch für die Ansetzung von Neuwahlen im Rahmen der in der tschetschenischen Verfassung vorgesehenen Frist (frühestens neunzig Tage und spätestens 120 Tage nach dem Tod des Amtsinhabers). Die Präsidentschaftswahl wurde dann auf den 29. August festgelegt. Begründet wurde dieser Termin damit, daß sich achtzig Prozent der Wahllokale in Schulen befinden und ein Großteil der Wahlkommissionsmitglieder Lehrkräfte sei, durch einen späteren Wahltermin werde der Beginn des Schuljahres, das auch in Tschetschenien am 1. September beginnt, gestört. So kann man auch das Bild von Normalität heraufbeschwören. Unabhängigen Journalisten ist der Zugang zu Tschetschenien weiterhin versperrt, den Mitgliedern des Europarates werden ausgewählte Vorzeigeprojekte präsentiert, doch Menschenrechtsorganisationen zeichnen ein anderes Bild als das der Normalisierung.
Der tschetschenische Regierungschef Sergej Abramow, gerade 32 Jahre jung, wurde als Interimspräsident benannt. Für viele ein Zeichen, daß er, der politisch unerfahren ist, in der Tat nur für die Übergangszeit gedacht ist und unter der Kontrolle des Kadyrow-Sohnes stehen wird. Ramzan Kadyrow wurde zum ersten stellvertretenden Regierungschef ernannt. Das Amt des beim Attentat umgekommenen Leiters des Staatsrates wurde zunächst dessen Stellvertreter Abu Alijew übertragen, dann wählte der Staatsrat Taus Dschabrailow zum Vorsitzenden.
Über die möglichen Wahlen wird viel spekuliert. Vollkommen klar ist, daß die Polittechnologen des Kreml den Nachfolger Kadyrows sorgsam auswählen werden. Der zukünftige Präsident muß zwei Kriterien erfüllen, die sich gleichsam ausschließen: Er muß Tschetschene sein, in Tschetschenien leben und hohes Ansehen genießen, um den Respekt der republikanischen und lokalen Strukturen zu gewinnen. Und gleichzeitig muß er das vollständige Vertrauen der Kremlführung genießen und notwendigerweise entschiedener Gegner des tschetschenischen Widerstandes sein, den der Kreml um den 1997 in von Moskau und der internationalen Gemeinschaft anerkannten Wahlen zum Präsidenten gewählten Aslan Maschadow ortet.
Die Namen möglicher Kandidaten zirkulieren, sie reichen von mächtigen Geschäftsleuten wie Malik Sajdullajew und Hussein Dschabrailow über den Bürgermeister Grosnys Bislan Gantemirow bis hin zum Berater des russischen Präsidenten Aslambek Aslachanow. Auch Ruslan Chasbulatow, der ehemalige Vorsitzende des Obersten Sowjets, wird genannt. Bis Mitte Juni haben sieben Personen, von denen keine den genannten Kriterien entspricht, ihren Willen erklärt, sich zur Wahl zu stellen. Von den hoch gehandelten findet sich noch keiner. Immer wieder wird auch der logische Nachfolger des alten Kadyrow - sein Sohn Ramzan - genannt, von dem es heißt, daß er real die Situation in der Republik kontrolliere. Die Übergabe der Macht an ihn würde (nach außen) den offiziellen Kremlkurs des Normalisierungs- und Stabilisierungsprozesses fortsetzen. Ramzan Kadyrow hat aber bereits erklärt, daß er eine Ausnahme von der in der tschetschenischen Verfassung vorgesehenen Bestimmung, die ein Mindestalter von dreißig Jahren für den Präsidenten vorsieht, nicht für richtig halte. Was ihn von der Wahl ausschließt.
Die Möglichkeit der Verkündung des Ausnahmezustandes und der direkten Präsidialverwaltung ist zweifellos noch nicht vom Tisch. Allen Verlautbarungen nach, wächst der Widerstand, und schon einmal gelang es Grosny zurückzuerobern. Das war im Jahre 1996 und führte schließlich zu Verhandlungen zwischen Tschetschenien und Rußland und der Beendigung des ersten Tschetschenienkrieges. Der Vertrag wurde damals vom Generalstabschef der tschetschenischen Armee Aslan Maschadow und dem russischen Sicherheitsberater General Alexander Lebed unterzeichnet.
Ob die Wahl stattfindet, mit der ein neuer Statthalter des Kreml installiert werden soll, ist nicht die Frage. Nicht wenige Kommentatoren sind überzeugt, daß, wer auch immer "gewählt" wird, sicher sein kann, das gleiche Schicksal zu erleiden wie der letzte Statthalter Moskaus.
Die Verantwortung bleibt beim russischen Präsidenten. Er muß Frieden schaffen in einer Republik, die seinem Verständnis nach Teil seiner Heimat ist. Er selbst hat sie mit dem zweiten Krieg überzogen. In der Republik wächst eine bildungsentfremdete Generation auf, die Infrastruktur ist zu achtzig Prozent zerstört, Ärzte werden zweiseitig verfolgt, weil sie den tschetschenischen Zivilisten und Widerstandskämpfern wie den russischen Soldaten Hilfe geleistet haben. Zurückverbracht wurde eine Legion von Flüchtlingen, ohne daß die elementarsten Bedingungen für eine menschenwürdige Unterbringung und ein Auskommen geschaffen sind. Gleichzeitig verbleiben Hunderttausende Flüchtlinge außerhalb des Landes. Auch die vermeintlichen Erfolgsmeldungen, daß die letzten Flüchtlingslager in Inguschetien aufgelöst sind, sollten niemandem die Illusion geben, daß das Flüchtlingsproblem damit tatsächlich gelöst ist. Zehntausende Flüchtlinge leben in Inguschetien in Familien, auch in anderen Teilen Rußlands gibt es Flüchtlinge. Zehntausende sind ins Ausland geflüchtet. Rund 57.000 nach Tschetschenien verbrachte Flüchtlinge wandern schutz- und rechtlos durch die am Boden liegende Gebirgsrepublik.
Die russische Seite muß verstehen, daß keine Armee diesen Krieg gegen ein Volk gewinnen kann. Niemand wird die Tschetschenen zu Bürgern eines Staates machen können, der sie als Volk ausrottet.
Ein Ende des Krieges, vollständiger Abzug der russischen Truppen, Waffenabgabe der Widerstandskämpfer und der Privatarmeen sowie Installierung einer unter Ägide der Vereinten Nationen stehenden Übergangsverwaltung, Wiederaufbau des Landes, Sorge um die Bildung der Kinder - dann wird man irgendwann über Wahlen reden können, bei denen die Bürger Tschetscheniens frei ihren eigenen Präsidenten bestimmen können, mit dem sie Hoffnung für sich und ihre Zukunft verbinden. Sie haben schon einmal unter Beweis gestellt, daß sie wahlfähig und mündig sind. Zu ihrem Nachbarn Rußland werden sich dann logische und natürliche Beziehungen entwickeln, in denen es um Zollfragen, den gemeinsamen Grenzschutz, auch um Wirtschaftskooperation geht.
Aber alles, was unter einer wie auch immer gestalteten Form von Eigenständigkeit liegt, wird den Konflikt auf Dauer nicht lösen.
Organisation der Zentralasiatischen Zusammenarbeit -
die Ergebnisse
Am 28. Mai fand in der kasachstanischen Hauptstadt Astana die Sitzung der Staatsoberhäupter der Mitgliedsstaaten der Organisation der Zentralasiatischen Zusammenarbeit statt. Als Beobachter nahmen Vertreter Rußlands, Georgiens, der Ukraine und der Türkei teil. Hauptthema des Gipfels waren Fragen der Sicherheit und Stabilität der Region.
Zu den wichtigsten Ergebnissen des Treffens zählt die Aufnahme der Russischen Föderation, die bislang Beobachterstatus hatte, als Vollmitglied in die Organisation für Zentralasiatische Zusammenarbeit. Der russische Sicherheitssekretär Igor Iwanow betonte, Rußland wolle an der Tätigkeit der Organisation allseitig teilnehmen.
Unter anderem wurde die Notwendigkeit betont, die Bemühungen zur Früherkennung und Vorbeugung der Gefahr durch extremistische Kräfte zu intensivieren. Diesbezüglich soll die Arbeit an der Geschäftsordnung der Tätigkeit der Konferenz der Leiter der Sicherheitsdienste, der Justizorgane und der Grenzschutzbehörden beschleunigt abgeschlossen werden.
Besondere Aufmerksamkeit wurde dem Wiederaufbau Afghanistans und dem Kampf gegen den Drogenschmuggel geschenkt. Der Rat der Außenminister der Mitgliedsstaaten wurde beauftragt, auf seiner nächsten Sitzung Möglichkeiten der Einbeziehung Afghanistans in die zentralasiatischen Integrationsprozesse zu erörtern.
Im Wirtschaftsbereich wurde der Beschluß gefaßt, einen gemeinsamen zentralasiatischen Markt zu schaffen, der auf die effiziente Nutzung der Natur-, Wasser-, Energie- und Rohstoffressourcen, die Anwerbung ausländischer Investitionen und die Sicherung einer stabilen Entwicklung aller Teilnehmerstaaten gerichtet ist. Das Potential des grenzüberschreitenden Handels müsse realisiert werden, was zur Vertiefung der Integrationsprozesse in der Region beitrage. Die Regierungen der Teilnehmerstaaten wurden beauftragt bis zum dritten Quartal dieses Jahres den Entwurf eines Abkommens "Über die Entwicklung des grenzüberschreitenden Handels" vorzubereiten. Die für die Außenhandelsbeziehungen zuständigen stellvertretenden Minister sollen die grundlegenden Richtungen der diesbezüglichen Zusammenarbeit bestimmen.
Insbesondere wurden die Regierungen Kasachstans und Usbekistans beauftragt, Vorschläge zur Erhöhung des Handelsvolumens und zur Beseitigung von Handelshindernissen vorzubereiten.
Die Präsidenten der Mitgliedsstaaten der Organisation würdigten die zwischenparlamentarischen Kontakte. Auf dem II. Treffen der Parlamentarier der Mitgliedsstaaten war beschlossen worden, Repräsentantengruppen in jedem Parlament der Mitgliedsstaaten zu bilden.
Unterzeichnet wurde zudem ein Abkommen über die gegenseitige Ausstrahlung von Fernseh- und Rundfunkprogrammen.
Zudem wurde die gemeinsame Erklärung der Staatsoberhäupter unterzeichnet. Neben der Aufnahme Rußlands in die Organisation wurde die Bildung des Internationalen Wasser- und Energiekonsortiums im Rahmen der Organisation für Zentralasiatische Zusammenarbeit beschlossen.
Pipeline von Iran nach Armenien wird gebaut
In Jerewan wurde das Regierungsabkommen über den Bau der 141 Kilometer langen Gaspipeline Iran-Armenien unterzeichnet. Die Pipeline, über die bereits mehr als zehn Jahre diskutiert wird und die die Energieunabhängigkeit Armeniens sichern soll, war bislang am Widerstand der Russischen Föderation und der USA gescheitert. Während Moskau kein Interesse an alternativen Pipelinerouten hat, tat Washington alles, um den Iran aus der Energieversorgung im Südkaukasus herauszuhalten. Die Kosten der Pipeline werden auf 200 Millionen Dollar veranschlagt. Unklar ist, ob die Pipeline Richtung Europa weitergeführt werden soll.
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