Wostok-Newsletter 4/2001

"Die Entlassung Juschtschenkos war nur eine Frage der Zeit." - Interview mit dem Vorsitzenden der Sozialistischen Partei (Ukraine) Olexander Moros
Zweckbündnis aus Kommunisten und Oligarchen stürzt Juschtschenko
Der Weg zum Frieden führt über die Nichtweitergabe von Atomwaffen
Die europäische Sicherheit und die NATO
"Petersburger Dialog"
Aserbaidschanisch-armenische Verhandlungen in Key West
Mit den Kommunisten zurück zur Normalität in Moldowa
Rußland - auf dem Weg in die gelenkte Demokratie
"Wir müssen unser Rechtssystem ändern" - Interview mit dem Vorsitzenden des Verfassungsgerichts der Republik Armenien Gagik Haruntunjan
"Georgien braucht echte Wahlen" - Interview mit Surab Schwania von der Labour-Partei
Eindeutige Botschaft der armenischen Nationalversammlung zu den Bedingungen der Karabachlösung

Auszüge:

Zweckbündnis aus Kommunisten und Oligarchen stürzt Regierung Juschtschenko
von
Olexander Boiko, Journalist, Kiew


Hat es Präsident Leonid Kutschma also doch wieder geschafft, möchte man angesichts der politischen Turbulenzen in der Ukraine von Ende April ausrufen. Bündnispartner und Mittel sind dem derzeitigen Staatsoberhaupt dabei relativ egal. Hauptsache sie dienen dazu, seine Macht zu festigen, besser gesagt, seine Macht angesichts der schweren Geschütze, die seitens der Opposition gegen ihn aufgefahren werden, zu schützen.

Der Kassettenskandal hat die eher unerquicklichen Seiten der präsidialen Macht in der Ukraine offen zutage gebracht. Der Präsident sieht sich schweren Vorwürfen ausgesetzt. Nicht nur seine Verstrickung in den Gongadsefall wäre da zu nennen, es geht um Korruption in unermeßlichem Ausmaß, um Bestechung und Bestechlichkeit. Kutschma mußte in der Tat jede Aufregung, die die Öffentlichkeit von seiner eigenen Person ablenkt, recht sein. Und da bot sich die Regierungskrise - sprich das Mißtrauensvotum gegen die Juschtschenko-Regierung - geradezu an. Leonid Kutschma hat zumindest für den Moment einmal mehr bewiesen, wer die Fäden hinter den Kulissen zieht. Und darin zeigt sich der ukrainische Staatschef dann doch weit davon entfernt, in die Defensive gedrängt, schwach oder angeschlagen zu wirken.

In den Staaten der GUS sind Amtszeiten von Premierministern und Ministern anders als die der Staatsoberhäupter in der Regel kurz bemessen. Die Ukraine macht da keine Ausnahme. Und blickt man auf die anderthalb Jahre seit den letzten Präsidentschaftswahlen und der Berufung der neuen Regierung zurück, löst die Entlassung Viktor Juschtschenkos kaum Erstaunen aus. Der forsche, geradezu jugendlich und kompetent wirkende Premierminister war nicht der Wunschkandidat des Präsidenten, eher eine den Bedingungen geschuldete Übergangslösung. Spannend war allenfalls die Frage, wann der Rücktritt beziehungsweise die Entlassung zu erwarten waren. Aber daß der Sturz der Regierung von Seiten des Parlaments initiiert wurde, beweist die Stärke des Präsidenten, nicht aber seine Schwäche.

Betrachtet man die anderthalbjährige Amtszeit der Juschtschenko-Regierung scheint es auf den ersten Blick wenig Anlaß zur Unzufriedenheit zu geben. Für das Jahr 2000 gab es erstmals einen ausgeglichenen Haushalt, auch der vom Parlament bestätigte Haushalt für das Jahr 2001 weist kein Defizit auf. Das Bruttoinlandsprodukt wuchs erstmals sei der Unabhängigkeit, dabei um beachtliche sechs Prozent. Die nationale Währung, der Griwna, konnte stabilisiert werden. Auch handelte Juschtschenko dringend benötigte neue Kredite des Internationalen Währungsfonds aus. Mit Rußland wurde eine Übereinkunft über die Abtragung der immensen Gasschulden erzielt. Es wurde eine positive Außenhandelsbilanz vorgelegt, und die Privatisierung der Großunternehmen eingeleitet. Nicht zuletzt wurden die Renten um vierzig Prozent erhöht, und die Rückstände bei den Rentenzahlungen vollständig abgetragen. Auch die Sozialleistungen konnten erhöht sowie die Rückstände bei den Löhnen und Gehältern der haushaltsabhängig Beschäftigten zumindest teilweise reduziert werden.

Zudem machte Viktor Juschtschenko in der Öffentlichkeit vor allem auch Punkte, weil er als nicht korrupt gilt. Und in einem Land, das zu den korruptesten der Welt gezählt wird, ist das schon sehr viel.

Natürlich sieht vieles besser aus, als es real ist. Die ukrainische Wirtschaft ist weit davon entfernt, sich zu stabilisieren. Wie in Rußland war die positive Außenhandelsbilanz vornehmlich den ausgesprochen günstigen Weltmarktpreisen für die wichtigsten Exportgüter des Landes - Stahl und Nichteisenmetalle - zu verdanken. Die nun eingeleitete "große" Privatisierung läßt nur zögerlich Geld in die Staatskasse fließen. Westliche Investoren halten sich in ihrem Engagement auf dem ukrainischen Markt und bei der Privatisierung weiterhin auffällig zurück. Die Erhöhung der Renten und die Abtragung der Rentenschulden sind eher unter psychologischen Aspekten zu betrachten, denn mit durchschnittlich 55 Griwna, umgerechnet etwa 23 DM, leben die Rentner weit unter dem Existenzminimum, während die endlich beglichenen Rentenschulden von der Inflation mehr oder weniger aufgefressen worden waren.

Sind es also nur Scheinerfolge und ist die Kritik der Opposition an der Regierungstätigkeit berechtigt? War der Sturz der Regierung somit folgerichtig? Schwer einzuschätzen, ob die Kommunistische Partei - eine der treibenden Kräfte bei der Durchsetzung des Mißtrauensvotums - der linken Opposition im Lande damit wirklich einen Dienst erwiesen hat. Vorausgesetzt, daß es wirklich der Präsident war, der den Eklat dringend brauchte, hat sie eher ihm zu einem Punktesieg verholfen.

Die Kommunisten unter ihrem Vorsitzenden Pjotr Simonenko ließen sich willig einbinden, um die Regierung zu stürzen. Eine obskure Mehrheit aus Kommunisten und Oligarchenparteien setzte das Mißtrauensvotum nach tumultartigen Auseinandersetzungen schließlich durch. Ausgerechnet am 15. Jahrestag der Tschernobylhavarie wurde - begleitet von Protesten - über die Regierung abgestimmt. Die Mehrheit, die sich da zusammenfand, besser gesagt künstlich geschaffen wurde, ist wenig mehr als eine kurzfristige Interessenkoalition, ein Zweckbündnis eben. Kritisierten die einen die prowestliche Orientierung der Regierung, so bangten die anderen, die Oligarchen, vornehmlich um ihre Profite aus der Schattenwirtschaft. Mag sein, daß die Kommunisten, die stets als heftige Kritiker der Regierung auftraten, tatsächlich aus politischer Überzeugung handelten. Im Ergebnis aber spielten sie dem Präsidenten in die Hände und müssen sich nun der Vorwürfe ihrer politischen Freunde erwehren, daß sie zum Handlanger der Macht geworden seien.

Im Prinzip hat es niemanden in Kiew verwundert, daß die Sozialisten unter ihrem Vorsitzenden Olexander Moros bei den traditionellen Veranstaltungen zum 1. Mai nicht zusammen mit den Kommunisten marschierten. Also ein Zeichen weiterer Spaltungen im linken Lager. Auch dies stärkt die Macht.

Beendet ist die Geschichte damit nicht. Denn für Leonid Kutschma könnte die Strippenzieherei im Hintergrund zum echten Pyrrhussieg werden. Viktor Juschtschenko wird die politische Bühne wohl kaum sang- und klanglos verlassen. Galionsfigur der liberalen Opposition gegen den Präsidenten wird er wohl in jedem Falle sein. Und wie die Ergebnisse der unmittelbar nach dem Mißtrauensvotum gestarteten Abstimmung über ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten gezeigt haben - die nötige Stimmenzahl wurde nur knapp verfehlt -, mehren sich die Stimmen aus den unterschiedlichsten politischen Lagern, die Kutschma abgesetzt sehen wollen. Da wird es dann fraglos auch wieder zu Zweckbündnissen kommen, die sich in diesem Falle allerdings gegen den Staatschef wenden werden. Es bleibt also spannend im politischen Leben der Ukraine.
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Rußland - auf dem Weg in die gelenkte Demokratie

von
Pjotr Borowoi, Journalist, Moskau


Heftige Emotionen insbesondere im westlichen Ausland bewirkten im April die Auseinandersetzungen um den Fernsehsender NTW. Der Kampf zwischen dem Oligarchen Gussinski und der Gasprom-Media um den Sender wurde hochstilisiert zum Entscheidungskampf um die Freiheit der Medien in Rußland. Tatsächlich ist mit der Machtübernahme durch das staatliche Unternehmen Gasprom der letzte landesweit ausstrahlende, nicht putinnahe Sender aus der Medienlandschaft verschwunden. Aber die Pressefreiheit ist in Rußland schon viel früher untergegangen. Denn auch wenn NTW und die anderen zu Media-Most gehörenden Medien offen über den Krieg in Tschetschenien informiert oder Korruptionsskandale aufgedeckt haben, waren sie doch auch stets - man denke nur an die Wahlkämpfe der letzten Jahre - die Stimmen ihres Herren.

Fakt ist, daß die wirklich unabhängigen Stimmen in der Medienlandschaft schon lange verschwunden oder in die Hände einiger weniger Oligarchen beziehungsweise Unternehmen übergegangen sind. Und so gibt es heute die staatlichen Medien und die Medien, die fest in den Händen von Großkonzernen sind. Verheerend für die Entwicklung einer freien Bürgergesellschaft ist sicherlich, daß es gerade in der Provinz seit Jahren fast überall nur noch gelenkte Medien gibt. Die letzten emotionalen Eruptionen im April stehen also eher am Endpunkt einer Phase der Beschränkung der Pressefreiheit und am Beginn einer Phase, die in einer gelenkten Demokratie, wie sie Präsident Putin und seiner Umgebung vorschwebt, enden wird.

Denn hinter dem Rauch um die Auseinandersetzungen um NTW verschwand der nächste Schritt hin zu einer weiteren Flurbereinigung in der politischen Landschaft im Interesse des Kreml. Unvergessen ist, wie im letzten Dumawahlkampf der Kreml die ernsthaften Konkurrenten um das Amt des Präsidenten - den Moskauer Bürgermeister Luschkow und den früheren Ministerpräsidenten Primakow - mit einer Schmutzkampagne überziehen ließ. Bei der Dumawahl wurde so die putingestützte Partei "Einheit" zur zweitstärksten Partei, während Luschkow eine äußerst empfindlich Niederlage hinnehmen mußte, von der er sich bis heute nicht erholt hat und die jetzt im Zusammenschluß der Parteien der Mitte mündet. Bis Ende des Jahres soll eine neue, starke Putinpartei der Macht etabliert werden.

Seit seinem Machtantritt hat Präsident Putin immer wieder deutlich gemacht, daß er eine Bereinigung der russischen Parteienlandschaft durchsetzen will, auch um das politische Geschehen in Rußland lenkbarer bzw. kalkulierbarer zu machen. Und nun nähert man sich langsam dem von Putin vorgezeichneten Bild einer großen Präsidentenpartei, die rechts und links von zwei "Oppositionsparteien" flankiert wird.

Eine größere linke Oppositionspartei ist mit der nahezu staatstragenden und putinfreundlichen KPdRF vorhanden, und die rechte Opposition bestehend aus JABLoko und dem "Bund der rechten Kräfte" verhandelt schon seit längerer Zeit über einen Zusammenschluß. Was aber fehlte, war die große alle zusammenschließende Staatspartei. Neue Bewegung in diesen Prozeß ist jetzt durch den angekündigten Zusammenschluß mehr oder weniger kremlnaher Parteien gekommen. Am 12. April gaben der Minister für Katastrophenschutz und Vorsitzender der kremltreuen Partei "Einheit" Sergej Schoigu und der Moskauer Bürgermeister und Kovorsitzender der Bewegung "Vaterland - Ganz Rußland" Juri Luschkow bekannt, daß sich die beiden Parteien im Herbst dieses Jahres vereinigen wollen. Vier Tage später verkündeten die Vorsitzenden von vier Fraktionen, daß sich zu dieser neuen "Partei der Mitte" insgesamt vier Dumafraktionen zusammenschließen werden, nämlich neben "Einheit" und "Vaterland - Ganz Rußland" auch die Mitglieder der Fraktionen "Russische Regionen" und "Volksdeputierte". Dieser Zusammenschluß wird dann nicht nur die Kommunisten als größte Fraktion ablösen, sondern in der Duma über die absolute Stimmenmehrheit verfügen.

In Rußland wird es also in diesem Jahr in der Parteienlandschaft tatsächlich noch zu den Umgruppierungen und Zusammenschlüssen kommen, wie sie die Präsidialverwaltung bzw. der Präsident immer wieder angekündigt hatten. Mitte Mai bzw. bis Ende des Jahres sollen auch noch weitere Umstrukturierungen in Regierung und Präsidialverwaltung vorgenommen werden. Der Weg hin zur nächsten Dumawahl und die Zeit danach, mit der entsprechenden Aufbereitung durch die gelenkten Medien, ist also bereits klar vorgezeichnet.
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Eindeutige Botschaft der armenischen Nationalversammlung zu den Bedingungen der Karabachlösung


Es kommt nicht so häufig vor, daß die in der armenischen Nationalversammlung vertretenen Parteien und politischen Bewegungen in wichtigen Fragen eine Übereinkunft erzielen. Um so schwerer wiegt, wenn sie sich nun gewissermaßen auf Vorbedingungen für die Lösung des mittlerweile dreizehn Jahre andauernden Karabachkonflikts verständigt haben. In einer offiziellen Erklärung wurde niedergelegt, daß die armenische Führung jede friedliche Beilegung des Konflikts zurückzuweisen habe, wenn diese die Kontrolle Aserbaidschans über Nagorny Karabach wiederherstellen sollte. Weiter ist festgehalten, daß jede Lösung, die nicht zur Vereinigung Karabachs mit Armenien oder zur internationalen Anerkennung eines unabhängigen Status Nagorny Karabachs führt, unakzeptabel sei. Zudem wurde wieder betont, daß die Karabach-Führung in den Verhandlungsprozeß einbezogen und eine absolute Garantie der Sicherheit der Bewohner Nagorny Karabachs abgegeben werden müsse. Die Vermittler im Verhandlungsprozeß wurden gewarnt, keine übereilten Schritte zu tun oder irgendeine Art von Druck auszuüben, um den Friedensprozeß zu beschleunigen. Wenig überraschend wies die Erklärung auch eine Ablehnung der Einbeziehung der Türkei in die Verhandlungen auf. Wie es heißt, begrüßte Staatspräsident Robert Kotscharian die offizielle Erklärung der Nationalversammlung als klare Botschaft an die internationale Gemeinschaft, was die armenische Position in den anstehenden Verhandlungen betrifft. (gm)
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