Wostok Newsletter 04/2000 (Auszüge)

Streiflicht zur neuen russischen Regierung
Der Kampf der Mediengiganten
Wer verweigert, muß ins Gefängnis
Jakowlew wiedergewählt!?

Streiflicht zur neuen russischen Regierung
von
Jelisaweta Sergejewa, Journalistin, Moskau


Die neue russische Regierung wurde schnell und ohne Sensationen gebildet. Als dieser Artikel entstand, waren im Kabinett noch einige Positionen unbesetzt, inklusive der eines Vizepremiers. Überraschungen, die zu kleinen Korrekturen der folgenden Einschätzungen führen könnten, sind also noch vorstellbar.

Bisher konnte man bei Struktur und Personalien keine größeren Veränderungen feststellen. Die herrschende Gruppierung, die sich unter Boris Jelzin herausgebildet hat und der in der Öffentlichkeit die Bezeichnung "Familie" gegeben wurde, hat ihren Einfluß bewahrt. Das ist das Gesamtbild. In Einzelheiten sind allerdings gewisse Wandlungen und beachtenswerte Umstände sichtbar.

Die Neuerungen in der Regierungsstruktur sind vornehmlich quantitativ. Anstatt sieben stellvertretenden Ministerpräsidenten gibt es nur noch fünf. Die Position des Ersten stellvertretenden Ministerpräsidenten wurde gänzlich gestrichen. Die Zahl der dreißig Föderationsministerien wurde auf 24 reduziert und die der anderen föderalen Ämter der Exekutive von 39 auf 33.

Hinter den nackten Zahlen verbirgt sich natürlich auch ein Inhalt. Das neue Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Handel, das durch die Fusion der beiden entsprechenden Ministerien und der Neuverteilung ihrer Aufgaben gebildet wurde, scheint beispielsweise speziell für German Gref geschaffen worden zu sein. Gref leitet das strategische Entwicklungszentrum, das Wladimir Putin schon im Herbst beauftragt hatte, ein globales Entwicklungsprogramm für Rußland zu erarbeiten. Es wurde davon ausgegangen, daß dies ein Präsidenten- und Regierungsprogramm zugleich sein würde. Gref gehört jedoch nicht zum Beresowski-Woloschin-Klan. Daher hatte sein Programm, aber auch seine Laufbahn in letzter Zeit alles andere als glänzende Aussichten. Ministerpräsident Michail Kassjanow drückte sich bei seiner Bestätigung in der Staatsduma über das Grefsche Programm etwa wie folgt aus: "Der Berg hat eine Maus geboren. Gut, daß es keine Küchenschabe ist." Trotzdem wurde German Gref an die Spitze des Ministeriums berufen, das programmatische Leitsätze entwickeln und umsetzen soll.

Die Ernennung von Michail Kassjanow selbst ist in zweifacher Hinsicht bemerkenswert. Erstens erhielt er in der Duma eine einmalig hohe Unterstützung: 325 Abgeordnete stimmten für ihn, 55 gegen ihn und 15 enthielten sich der Stimme. Dabei geht es allerdings gar nicht um die Person des Premiers selbst. Vielmehr belegt die Bestätigung die Fähigkeit des Präsidenten, für seine Vorschläge nicht nur einfache, sondern Zweidrittelmehrheiten im Unterhaus zu bekommen. Dies signalisiert bereits, daß Putin praktisch uneingeschränkte Möglichkeiten hat, seine Gesetzentwürfe im Parlament durchzusetzen. Denn die Duma kann mittels einer Zweidrittelmehrheit Gesetze auch gegen das Veto des Föderationsrates verabschieden.

Zweitens ist der Name Michail Kassjanow eng mit der Gruppe der Herren Beresowski, Abramowitsch, Mamut und Woloschin verbunden, die sich als herrschende Gruppe noch unter dem früheren Präsidenten herausgebildet und Wladimir Putin als Thronfolger in den Vordergrund gerückt hat. Die Tatsache, daß diese Gruppe an der Macht geblieben ist, belegen auch andere Ernennungen, genauer aber der Verbleib von Innenminister Wladimir Ruschailo, Atomenergieminister Jewgeni Adamow und Verkehrsminister Nikolai Axjonenko in ihren Ämtern. Zum Leiter des Regierungsapparates im Range eines Ministers wurde nicht der Putinsche Dmitri Kosak, sondern der Kassjanowsche Igor Schuwalow ernannt. Hinzu kommt, daß Wladimir Ustinow, ein Vertreter der gleichen Gruppe, in das Amt des Generalstaatsanwalts berufen wurde. Alexander Woloschin wurde zwar bis heute noch nicht wieder als Leiter der Präsidialverwaltung bestätigt, hat allerdings sehr große Chancen, dieses Amt zu behalten (oder ein anderes "gewinnbringendes" Amt zu bekommen).

Andererseits gibt es aber auch Anzeichen dafür, daß Präsident Putin eine gewisse Eigenständigkeit an den Tag legt. Ein Hinweis darauf sind seine Absichten (wenn er diese dann auch nicht durchgesetzt hat), seinen Mann Dmitri Kosak zum Generalstaatsanwalt zu ernennen, den berüchtigten Nikolai Axjonenko in ein niedrigeres Amt zu versetzen, und die Weigerung, den ebenso berüchtigten Brennstoff- und Energieminister Viktor Kaljuschny im Amt zu belassen. Wichtig ist jedoch vor allem der Umstand, daß den Verwaltungs- und Regierungsleitern Gegengewichte in Gestalt ihrer Stellvertreter an die Seite gestellt worden sind.

Unter den stellvertretenden Premierministern (drei davon - Valentina Matwijenko, Ilja Klebanow und Viktor Christenko - kommen aus der alten Regierung) wird als Gegengewicht der neue Vizepremier und Finanzminister Alexej Kudrin gehandelt, der aus Petersburg stammt und ein Mann der Rechtsliberalen ist. Ihm werden sich auch German Gref und eine ganze Reihe anderer Akteure im Wirtschaftssektor der Regierung anschließen, insbesondere jene, für deren Ministerien nicht Kassjanow persönlich, sondern eben Kudrin zuständig ist.

Im "Wirtschaftsflügel" der föderalen Macht gibt es überhaupt mehr Wandlungen und Intrigen als im "Kraftflügel". Praktisch alle "Kraftmänner" bleiben in der neuen Regierung in ihren bisherigen Funktionen und Ämtern. Ersetzt wurden lediglich die Chefs des Auslandsgeheimdienstes und des Föderalen Sicherheitsdienstes. Dieser Wechsel läßt sich vor allem dadurch erklären, daß sich in diesem Bereich schon eine bestimmte konzeptionelle Klarheit (demnach auch die Abgrenzung der Einflußbereiche) herausgebildet hat: Wladimir Putin hat das nationale Sicherheitskonzept und die Militärdoktrin bereits Anfang des Jahres bestätigt.

Im Bereich der Wirtschaft bestehen ganz andere Verhältnisse. Dort haben sich bisher weder Taktik noch Strategie herausgebildet. Der rechtsliberale Flügel der Regierung ist zwar offensichtlich gestärkt worden. Dies hat bisher allerdings noch keine praktischen Ergebnisse gebracht. So wurde die Veröffentlichung des Wirtschaftsprogramms der Regierung, die laut den Versprechungen vor der Präsidentschaftswahl zur Amtseinführung, dann zur neuen Besetzung der Regierung erfolgen sollte, erneut verschoben - diesmal bis Juni. Weder die Regierung noch die Präsidialverwaltung haben bisher in den Schlüsselfragen wie in der breit diskutierten Steuerreform eindeutige Entscheidungen getroffen.

Wer also - die Präsidialverwaltung oder die Regierung - wird künftig in der russischen Politik die entscheidenden Beschlüsse fassen? Aus meiner Sicht ist es heute noch zu früh, darüber zu spekulieren. Natürlich kann man den zahlreichen Einschätzungen des neuen Ministerpräsidenten als "Laufbahnbeamten" und "technischen Premier" zustimmen. Diese Aussagen sind allerdings mit gewissen Einschränkungen auf alle russischen Premiers der letzten Jahre anwendbar. Zudem kann das Amt des Ministerpräsidenten in einer Präsidialrepublik wohl auch gar nicht anders ausgefüllt werden. Es ist allerdings etwas anderes, daß Michail Kassjanow von den meisten Beobachtern ausschließlich als Pragmatiker gesehen wird, der nicht zum Theoretisieren neigt und der sich in seiner Arbeit auf das "garantierte Ergebnis zum von der Führung festgelegten Termin" ausrichtet. Außerdem stehen jene, die Kassjanow behüten, nicht mit der Regierung in engem Zusammenhang, sondern mit der Präsidialverwaltung und dem Präsidenten selbst.

Andererseits scheint der Präsident die Wirtschaftspolitik in der Regierung konzentrieren zu wollen. Er betrachtet seine Verwaltung anscheinend vor allem als politisches Machtzentrum. Eben die Verwaltung wird sich wahrscheinlich mit der Reform des Staatsaufbaus, den Wahlen zu den regionalen Machtorganen und der regionalen Entwicklung insgesamt befassen. Das war auch schon früher der Fall, aber jetzt wird sich der Arbeitsumfang vervielfachen. Die Reform ist schon sehr intensiv angelaufen. Auf dem Plan stehen noch mehrere Dutzend Regionalwahlen - allein in diesem Jahr müssen 43 Gouverneure und 37 gesetzgebende Versammlungen gewählt werden. Somit ist die Präsidialverwaltung mit den regionalen Sorgen voll ausgelastet.

Die ideologischen Aufgaben - wie die Schaffung einer ideologischen Basis sowie die Propaganda für die Aktivitäten des Präsidenten und der Regierung - bleiben vermutlich ebenfalls im Zuständigkeitsbereich der Präsidialxverwaltung. Der Sicherheitsrat, durch den die "Kraftminister" dem Präsidenten direkt untergeordnet sind, bleibt ebenfalls unter ihrer Kontrolle. Und was mit der Wirtschaft geschehen wird, werden wir später sehen.

Wir werden auch sehen, wie weit sich Wladimir Putin von der berüchtigten "Familie" entfernen wird. Gegenwärtig ist dieser Abstand verschwindend gering, obwohl es allem Anschein nach auch ein gewisses "Abgrenzungspotential" gibt.
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Der Kampf der Mediengiganten

von
Grigori Melamedow, Politologe, Moskau


Im Sommer 1999 brach in der russischen Geschäftswelt ein Krieg zwischen dem skandalumwitterten Magnaten Boris Beresowski und dem Eigentümer des Konzerns Most Wladimir Gussinski aus. Beresowski stützte sich dabei auf seinen alten Geschäftspartner Alexander Woloschin, damals Chef der Präsidialverwaltung. Unversehens gerieten damit Most und die Most-eigenen Massenmedien, darunter der größte private Fernsehsender NTW (ohne sein Satellitenprogramm hat der Sender eine Reichweite von siebzig Prozent), in Opposition zum Kreml. Öl ins Feuer gossen Enthüllungen von NTW-Journalisten, daß Woloschin und Beresowski in Verbindung zu sogenannten Finanzpyramiden stehen, die Millionen Kleinkunden von Banken und Aktiengesellschaften praktisch bestohlen haben.

Die Konfrontation dauerte den ganzen Herbst und Winter und wurde bei den Wahlen besonders deutlich. Als der Woloschin nahestehende Michail Lessin zum Presse- und Informationsminister ernannt wurde, wurde zudem klar, daß der Kreml eine Umverteilung des TV-Marktes und TV-Werbemarktes wünschte. Der Kreml, das heißt Woloschin und die mit ihm verbundene Oligarchengruppe, griff unter Einsatz von finanziellem und ideologischem Druck den unter der Kontrolle des Moskauer Bürgermeisters Luschkow stehenden Sender TV-Zentr und andere Fernsehgesellschaften an.

Es wäre allerdings ein Fehler, Woloschin als grundsätzlichen Feind der Pressefreiheit darzustellen. Er wird eher von persönlichen pragmatischen Überlegungen und Emotionen angetrieben, die ihn gegen das Medienimperium von Gussinski vorgehen ließen. Die Woloschin unterstützenden Oligarchen um Beresowski setzen sich ebenfalls nicht das Ziel, die Pressefreiheit als solche zu erwürgen, sondern wollen vor allem den Markt monopolisieren. Da allerdings Most und NTW die einzige kleine Insel einer alternativen politischen Haltung sind, entwickelte sich dieser Zusammenstoß objektiv zu einem grundsätzlichen Kampf um die Rechte der freien Presse. Andererseits - das ist sehr wichtig! - nutzen die politischen Kreise, die längst ein autoritäres Regime herbeiwünschen, diesen Kampf aus.

Nach dem Rücktritt Jelzins wurde die Lage von Woloschin schwierig. Er mußte sich mit dringlichen Sachen befassen und daher die Kampfhandlungen aussetzen. Zudem zeichnete sich ein neues Sujet ab, denn Woloschin äußerte den Wunsch, den Posten des Vorstandsvorsitzenden des russischen Erdgasmonopols zu übernehmen. Schon jetzt werden die Handlungen von Gasprom in vieler Hinsicht durch seine Anweisungen bestimmt. Gasprom ist aber einer der wichtigsten Partner von Most: Gläubiger und zugleich Besitzer eines größeren Aktienpakets. Die Lage spitzte sich wieder zu, und für jeden Tag wurde ein Ausbruch erwartet.

Er kam am 11. Mai, als Mitarbeiter der Geheimdienste in schwarzen Masken mit Maschinenpistolen in die Moskauer Büros von Most eindrangen. Die russischen Politiker reagierten in ihrer großen Mehrheit - von den rechtsliberalen Parteien bis zu den Kommunisten - und auch der Journalistenverband eindeutig und bezeichneten diese Aktion als grobe Erpressung und mutwillige Bedrohung der Pressefreiheit.

Die diese Aktion durchführenden Geheimdienste vertraten offiziell den Standpunkt, daß der Konzern Most mit seinem riesigen hochqualifizierten Sicherheitsdienst seit Jahren bekannte Politiker, Geschäftsleute, Journalisten bespitzle und Informationen über die Konkurrenten sammle, die zu dem von der Geschäftsführung gewünschten Zeitpunkt in den Most-eigenen Massenmedien veröffentlicht würden. General Alexander Sdanowitsch, Vertreter des Föderalen Sicherheitsdienstes, erklärte folgendes: Die Geheimdienste wollen in diesem Fall die gesetzwidrige Tätigkeit unterbinden, in deren Rahmen Daten über das Privatleben von Bürgern gesammelt werden. Es sei reiner Zufall, daß eben ein Unternehmen, das sich auf journalistische Tätigkeit und nicht auf etwas anderes spezialisiert habe, schuldig sei. Somit stehe dieses Ereignis in überhaupt keinem Zusammenhang zur Pressefreiheit.

Hat Sdanowitsch Recht? Man muß eingestehen, daß einige Strukturen des Konzerns tatsächlich die Machenschaften sowie die komplizierten Wechselbeziehungen in den höchsten russischen Geschäftskreisen und der korrumpierten politischen Spitze untersuchen. Dieses Material wird verständlicherweise ausgewertet. Ähnliche Tätigkeiten betreiben - dies ist ein offenes Geheimnis - aber praktisch alle großen Kommerzstrukturen in Rußland.

Kann man also behaupten, daß es sich in diesem Fall um eine Gesetzwidrigkeit handelt? Eine eindeutige Antwort gibt es darauf nicht. Und zwar deshalb nicht, weil Rußland - streng genommen - kein Rechtsstaat ist, wie er in den demokratisch entwickelten Ländern verstanden wird.

Zum ersten ist die russische Gesetzgebung bezogen auf diese Tätigkeit extrem widersprüchlich. Praktisch jeder, der Mißbrauch in Regierung, Armee oder Geheimdiensten untersucht, kann einer Straftat beschuldigt werden. Wie jeder beliebige Journalist, der den Krieg in Tschetschenien beleuchtet. Wenn die Machthaber es wünschen, dann können sie ihn beschuldigen; wenn sie es nicht wollen, dann können sie davon absehen. Diese Sachlage schafft einen günstigen Nährboden für dienstlichen Mißbrauch und Erpressung gegen ungenehme Bürger.

Zum zweiten schaffen die Sicherheitsbehörden selbst eine Atmosphäre der Mißachtung der Gesetze. Laufend gibt es Skandale im Zusammenhang mit dem gesetzwidrigen Abhören von Telefonen und mit vertraulichen medizinischen Informationen, die für politische Erpressungszwecke verwendet werden. Allerorts werden die Sicherheitsorgane praktisch als Söldner der einen Kommerzgruppe gegen eine andere eingesetzt. Unter diesen Verhältnissen kann natürlich kein einziges Medienunternehmen überleben, wenn es sich nicht verteidigt und auch am Rande der zulässigen Grenzen handelt.

Aufschlußreich ist jedoch, daß die Handlungen der Geheimdienste am 11. Mai verdeutlicht haben, daß das ganze Gerede vom Buchstaben des Gesetzes in diesem Fall einfach nur Heuchelei ist. Es gibt nämlich eine Menge an Verletzungen und Fragen. Warum gaben sich die Mitarbeiter des FSB als Steuerpolizei aus? Wenn es Vorwürfe gegen den Sicherheitsdienst des Konzerns gab, warum hat man dann das ganze Dienstpersonal - größtenteils Frauen - wie gefährliche Verbrecher festgesetzt? Warum durften sie nachher das Gebäude stundenlang nicht verlassen? Warum wurde ihnen verboten, die Nächsten zuhause anzurufen und zu beruhigen? Warum wurden auch andere Büros des Konzerns durchsucht, die in überhaupt keinem Zusammenhang zum Sicherheitsdienst stehen? Warum wurden entgegen allen Prozeßnormen unverzüglich Papiere im Fernsehen präsentiert, die angeblich bei der Durchsuchung beschlagnahmt wurden, ohne die Schlußfolgerungen der Untersuchung abzuwarten? Und schließlich das Wichtigste. Die Möglichkeit, daß bei Most eine Durchsuchung vorgenommen werden könnte, wurde schon im Sommer 1999 diskutiert. Das war sowohl der Geschäftsführung als auch den einfachen Mitarbeitern des Unternehmens bekannt. Daher gab es in diesen Büros schon lange kein Material mehr - falls es dieses überhaupt je gegeben hat -, das für den FSB von Interesse gewesen wäre. Es fragt sich: Waren die erfahrenen Profis von der Lubjanka nicht imstande, die Aktion durchzuführen, ohne dabei einen Auftrieb in ganz Moskau zu verursachen?

Es entsteht also der Eindruck, daß dieser Angriff ganz andere Ziele verfolgt. Es handelt sich allerdings kaum um Einschüchterung: Denn die Geschäftsführer von Most und die NTW-Journalisten sind geriebene Kerle und lassen sich durch theatralische Aufführungen nicht einschüchtern, selbst wenn Soldaten mit Maschinenpistolen eingesetzt werden. Man hat kaum damit gerechnet, daß Fernsehen und Zeitungen von Gussinski nach dieser Aktion keine Korruptionsberichte mehr veröffentlichen oder ihre Haltung zum Tschetschenienkrieg verändern werden. Diese Haltung enthält übrigens gar nichts Außergewöhnliches. NTW kommentierte zwar einzelne Momente anders als andere Sender, unterstützte aber insgesamt die Handlungen der föderalen Truppen. Diese Aktion erinnert jedoch zunehmend an eine Warnung seitens Woloschins - an eine Art schwarze Marke der Piraten: Wir werden nicht eher Ruhe geben, bis wir den widerspenstigen Konkurrenten übernehmen, der unserem Monopol im Wege steht.
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Wer verweigert, muß ins Gefängnis

von
Marco Serbanescu, Journalist, St. Petersburg


Nicht erst seit dem Beginn des zweiten Tschetschenienkrieges, dessen Ende immer noch nicht abzusehen ist, wird in Rußland über eine Modernisierung der Wehrpflicht gestritten. Und je länger der Krieg dauert, umso größer wird die Zahl derer, die ihm skeptisch, ja, ablehnend gegenüberstehen. Auf Transparenten bei Kundgebungen gegen den Krieg im Kaukasus taucht ein Name immer wieder auf: Dmitri Newerowski. Der 26jährige Kriegsdienstverweigerer, ein Mathematikstudent, wurde im November des vergangenen Jahres vom Gericht in Obninsk wegen Verweigerung des Wehrdienstes gemäß Paragraph 328, Absatz 1 des russischen Strafgesetzbuches zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Das Paradoxon: in der russischen Verfassung ist das Recht auf alternativen Zivildienst aus Gewissens- oder religiösen Gründen zwar festgeschrieben (Artikel 59, Absatz 3), praktisch wurde der Verfassungsartikel bisher aber noch nicht umgesetzt. Ein entsprechendes Gesetz sollte 1998 verabschiedet werden, wartet aber bislang in der Staatsduma auf die Annahme. Dies wurde Newerowski, der seit 1997 für sein Recht auf einen alternativen Zivildienst kämpft, zum Verhängnis. Seit seiner Verurteilung sitzt er nun in Kaluga, südlich von Moskau, im Gefängnis, obwohl seine Anwälte Protest wegen der Verletzung von Menschen- und Bürgerrechten einlegten und zumindest erreichten, daß das Urteil vom Gebietsgericht zur Neuverhandlung - allerdings wieder an das gleiche Gericht - zurückverwiesen wurde. Aber spätestens mit dem Fall Newerowski ist klar geworden, daß die bestehende Gesetzesgrundlage zur Wehrpflicht in Rußland dringend einer Überarbeitung bedarf. Wie das Gericht bei der Neuverhandlung entscheidet, bleibt abzuwarten. Gewiß ist aber, daß ein Nachgeben im Fall Newerowski eine ungeheure Signalwirkung für das ganze Land hätte und zweifelsohne eine Welle von Verweigerungsanträgen folgen würde. Ob das Gericht dies riskieren wird, ist fraglich, denn aus seiner Sicht kommt für den inhaftierten Mathematikstudenten erschwerend hinzu, daß er selbst aus dem Gefängnis noch zum Boykott der Wehrpflicht aufgerufen hat. Allerdings gibt es einen Lichtblick: der Europarat wurde bereits auf den Fall aufmerksam und erklärte, daß er sich zur Lösung des Problems mit den entsprechenden russischen Behörden in Verbindung setzen wolle.
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Jakowlew wiedergewählt!?


In der zweitgrößten russischen Stadt St. Petersburg gewann nach den vorläufigen Angaben Amtsinhaber Wladimir Jakowlew die Bürgermeisterwahl am 14. Mai. Jakowlew erhielt 72,7 Prozent der Stimmen. Sein größter Widersacher, der gemeinsame Kandidat des Bundes der Rechten Kräfte und von JABLoko Igor Artemjew, erhielt nur 17 Prozent. Der liberale Politiker Juri Boldyrew und der Unternehmer Artjom Tarassow erhielten jeweils 3,5 Prozent der Stimmen. Da die Wahl wohl vor allem von jüngeren Wählern aus Protest gegen Jakowlew boykottiert wurde, lag die Wahlbeteiligung bei nur 45,7 Prozent. Damit wäre die Wahl eigentlich ungültig gewesen. Aber noch am Wahltag hatte die Petersburger Wahlkommission ihre ersten Angaben über eine notwendige Mindestbeteiligung von fünfzig Prozent berichtigt, da diese wegen der Anwendung des örtlichen Wahlgesetzes für die Gültigkeit der Abstimmung nicht vorgeschrieben sei.
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