Wostok-Newsletter 3/2004

Eigentumsstruktur der größten russischen Unternehmen: Nach wie vor ein Geheimnis
Russische Banken suchen das Vertrauen der Kunden, die die Krise erwarten
Die russische Linke. Wie weiter nach dem Wahlsieg Putins?
Weniger Unfälle durch neue KFz-Haftpflichtversicherung?
Dokumentation: Wladimir Putin: Jahresbotschaft an die Nation vor der Föderalen Versammlung vom 26. Mai 2004
Meldungen
- Oligarch aus Rußland neuer Wirtschaftsminister Georgiens
- Neue Partei in Kasachstan

Auszüge:

Die russische Linke. Wie weiter nach dem Wahlsieg Putins?
von
Britta Wollenweber, "Wostok", Berlin


Die Dumawahlen im Dezember 2003 und die Präsidentschaftswahl im März 2004 kamen für die Kommunistische Partei der Russischen Föderation einem Desaster gleich. Hatte die KPdRF bei den Dumawahlen 1995 15,4 Millionen Wählerstimmen und bei denen im Jahre 1999 sogar 16,2 Millionen gewinnen können, gaben im Dezember 2003 nur 7,6 Millionen Wahlberechtigte ihre Stimme für die Partei ab. Nunmehr vertreten gerade 52 Abgeordnete die Interessen der kommunistischen Wählerschaft in der 450 Abgeordnete zählenden Legislative. Daß Nikolai Charitonow, der schlußendlich von den Kommunisten aufgestellte Präsidentschaftskandidat, mit 13,7 Prozent einen Achtungserfolg gegen den unschlagbaren Amtsinhaber Wladimir Putin erzielen konnte, ändert am kläglichen Gesamtbild der KPdRF wenig. Die einen suchen die Gründe nun für die Niederlage im autoritären Regime und der Schmutzkampagne gegen die Partei, die anderen klagen über die schlechte Arbeit der Parteigliederungen in den Regionen.

Das eine wie das andere mag zutreffen. Doch sind die Gründe für die erdrutschartigen Verluste mannigfaltiger, und zweifelsfrei sind eine Reihe von ihnen hausgemacht. Kritik an der Unbeweglichkeit der Partei kommt auch aus den eigenen Reihen. Modernisierung und Erneuerung, davon war unter der Führung von Gennadi Sjuganow und seinen Mitstreitern wenig zu spüren. Die ewig gleichen Rezepte und Losungen, die Reminiszenz an die Sowjetunion - vor der Erneuerung schreckte man stets zurück aus Angst, die traditionellen Wählergruppen - die konservative Bevölkerung in den ländlichen Gebieten und die Rentner - zu verlieren. Hinzu kommen die parteiinternen Richtungskämpfe - besser gesagt, die Kämpfe um Macht und Einfluß, die lähmend auf die Partei wirken. Und diese sind so neu nicht. Bereits fast ein Jahr dauern die Auseinandersetzungen zwischen Sjuganow, der für seine national-konservative Politik kritisiert wird, und dem "roten Oligarchen" Gennadi Semigin an. Dabei geht es allerdings weniger um ideologische Führung und programmatische Erneuerung als um Statuserhalt bei dem einen und Machtzuwachs bei dem anderen. Semigin gilt vielen als vom Kreml gesteuert. Nach ihrer Ansicht soll der rote Geschäftsmann die Partei spalten, um sie zu schwächen beziehungsweise um das Wählerpotential an die Macht zu binden. Unter seiner Schirmherrschaft stand der am 20. März stattgefundene "Kongreß der Patriotischen Kräfte", an dem Vertreter von fünfzehn Parteien und sechzig Organisationen teilnahmen. Der linkspatriotische Block, zu dem der Kongreß, gedacht als Ersatz zum von Sjuganow initiierten und von der KPdRF dominierten Volkspatriotischen Bündnis, gedeihen soll, vereinigt Vertreter vom "Werktätigen Rußland" bis hin zum "Bund der Menschen für Bildung und Wissenschaft" (SLON). Während Politiker wie Rogosin oder auch Glasjew ihn wohl nutzen werden, um ihren Einfluß im linken Spektrum zu mehren, wird Semigin unterstellt, er wolle der KPdRF damit im Auftrag des Kreml endgültig den Garaus machen. Die Linke zersplittert und sich selbst zerstörend? Und bekämpft und befehdet sich wirklich das ganze linke Spektrum? Und bedeutete dies das restlose Aus für die Linke in Rußland? Ein Teil der Linken und der KPdRF sind da anderer Meinung. Das Potential der Linken ist groß - und es werde jünger, heißt es. Das Potential derjenigen, die sich als jung, dynamisch und progressiv verstehen, wächst, heißt es. So wie im rechten Spektrum geht es darum, sich neu zu formieren, und sich gemeinsam mit den fortschrittlichen Teilen der Gesellschaft zu formieren.

Am 15. und 16. Mai fand in Golizyno bei Moskau das mittlerweile III. Forum "Zukunft der linken Kräfte" statt, das von der Linken Jugendfront, der Allrussischen Konföderation der Gewerkschaften, dem Institut für Globalisierungsprobleme und dem Neuen Sozialen Institut organisiert wurde. Mit etwa 300 Teilnehmern aus 62 Föderationssubjekten und Beobachtern aus neun Ländern hatte sich der Zuspruch zum Forum gegenüber dem II. Forum verdoppelt. Vertreten waren Parteien, gesellschaftliche und Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften. In der Tat war wichtig, daß sich der Teilnehmerkreis auch politisch deutlich geweitet hat: neben Kommunisten saßen Vertreter diverser linker Parteien, von SLON, des linken JABLoko-Flügels, Globalisierungsgegner, Vertreter von NROs aus dem Sozial- und Umweltschutzbereich sowie der Frauenbewegung und natürlich der Gewerkschaften.

Hatte das I. Forum im Juni 2003 den sogenannten Golizynoer Konsens hervorgebracht und einen ersten Schritt bedeutet, um weg von der Dominanz der Parteiführungen und ihren parteipolitischen und wahltaktischen Spekulationen hin zur offenen Diskussion mit Gleichgesinnten zu gelangen, fand das II. Forum im November 2003 statt und erbrachte die Erkenntnis, daß ein konkretes Aktionsprogramm entwickelt werden müsse. Ein Organisationskomitee wurde gebildet, in dem Vertreter verschiedener politischer Kräfte saßen.

Wo steht die Linke, wie positioniert sie sich, wen nimmt sie mit, an wen wendet sie sich? Vor allem wie erreicht sie die Menschen wieder, in deren Augen Begriffe und Ziele wie Sozialismus, Staatseigentum und Antikapitalismus wohl weniger diskreditiert sind als solche wie Demokratie und Liberalismus. Wie positioniert man sich zugleich gegenüber dem Präsidenten und seiner Dumamehrheit, die für den starken Staat, die starke Macht, die Wiederherstellung des Imperiums (wie auch immer besetzt) eintreten - und damit bei der breiten Masse Punkte machen. Und natürlich auch, wie bringt man linke Bewegungen zusammen, die Sprengsel anderer Parteien, die Gewerkschaften, die NROs, die zum Teil politischen Aktionen eher ablehnend gegenüberstehen.

Das III. Forum wurde von den Organisatoren als erfolgreich bewertet, und konnte wohl auch als solches bewertet werden. Die Themenpalette der Plenarsitzungen und der Arbeitsgruppen waren breit: von der theoretischen Basis der linken Bewegung über die sozialen und wirtschaftlichen Initiativen der neuen Regierung und deren reale Auswirkungen auf das Leben der Bürger sowie die Gefahr des aufkommenden Autoritarismus bis hin zu Fremdenfeindlichkeit und Tschetschenien, zur modernen Kunst linker Orientierung und deren Aufgaben und zu den Wegen, um das von der Macht geschaffene Informationsvakuum zu durchbrechen. Im Mittelpunkt stand die Wechselwirkung verschiedener Oppositionskräfte und ihre Bündelung zur Erreichung gemeinsamer Ziele. Fraglos: ein Ziel eint die Versammelten - der Aufbau einer sozial gerechten Gesellschaft, und dies erschien den Anwesenden nur möglich, wenn sich die Kräfte des linken und linksnahen Spektrums in einem effektiven politischen Kampf vereinen.

Nichts Neues auch das, da man zunächst an die Vereinigungs- und Bündnispolitik von Sjuganow denkt, der sich in unterschiedlichsten Konstellationen als Führungsfigur einer linken Bewegung versuchte. Oder aber jetzt an den Semigin-Kongreß. Sicher ist, daß sich die Situation im Jahre 2004 grundlegend verändert hat. Die Macht beschleunigt die Entwicklung zur Errichtung eines autoritären Regimes weiter und dies zwingt die linken Kräfte und Bewegungen, sich gerade nicht nur mit Sicht auf Wahlchancen zu vereinigen, sondern ihre Kräfte heute und langfristig zu bündeln, um Aktions- und aus diesen heraus Wahlalternativen aufzuzeigen, die den Menschen und die zu errichtende Gesellschaft wieder in den Mittelpunkt rücken. Auf dem III. Forum bewertete man den heutigen Zustand mit einer starken Präsidialmacht, einer verfassungsändernden "präsidialen" Dumamehrheit, der Kontrolle der Gerichte und Medien als eine Krise des politischen Systems, die durch die Schaffung einer neuen politischen Realität überwunden werden soll. Gesellschaft von unten und Aktion aus dieser heraus, um Pseudolegislative und Pseudodemokratie zu entlarven, dabei mit linken - sozialistischen - Zielen, so die Vorstellung vieler Teilnehmer.

Gleichzeitig wertet man die Situation dahingehend, daß unter Putin und seinem Premierminister Michail Fradkow, gestützt auf einen autoritären Staat, eine neoliberale Sozial- und Wirtschaftspolitik verfolgt werden wird, die das Großkapital schützt und die Arbeits- und Lebensbedingungen für die Masse der Bevölkerung weiter verschärfen wird. Viele Pläne der Regierung stehen dafür - das Arbeitsgesetzbuch hat seine Wirksamkeit bereits gezeigt. Nun stehen Reformen in der Wohnungs- und Kommunalpolitik, dem Rentensystem, dem Gesundheits- und Bildungswesen an. Fraglos hat das III. Forum gezeigt, daß man sich bewußt ist, daß die konkrete Arbeit mit der Bevölkerung und entlang sehr konkreter Probleme - und diese sind längst nicht nur wirtschaftlicher Natur - vonnöten ist. Dies mag die Bewegung der linken Kräfte, so fern sie denn schon existiert, unterscheiden von bereits bekannten Bündnissen, Blöcken und Zusammenschlüssen. Ziel- und Ergebnisorientierung bestimmten die Atmosphäre in Golizyno, wenngleich die Diskussionen innerhalb der Linken sowie zwischen Vertretern der KPdRF und anderen gesellschaftlichen und gewerkschaftlichen Strukturen kontrovers geführt wurden. Aber es ging eben nicht um linke Identität, roten Nationalismus und theoretische Fragen, die die ersten beiden Foren stark beherrscht hatten.

Die Ergebnisse der zweitägigen Konferenz lassen sich sehen und berühren viele der angesprochenen konkreten Probleme. Wird nur ein Bruchteil der Kampagnen durchgeführt, könnte dem Präsidenten und der Regierung vielleicht sogar eine turbulente Zeit ins Haus stehen. Eines der wichtigsten Ergebnisse ist die Entscheidung über die Durchführung eines gemeinsamen Russischen Sozialforums in Iwanowo im Herbst 2005, von welchem Impulse für die Bildung einer großen sozialen Bewegung, einer wahren Bürgergesellschaft von unten, ausgehen sollen.

Die linken Kräfte wollen ihre Aktionen auch wieder auf die Straße tragen, um die Bürger zu gewinnen. Denn der Vorhaben der Regierung sind viele. Und sie erfordern Konkretheit in der Aktion. Man wird sehen, welche Möglichkeiten die Linke in der Tat hat, sich in Putin-Rußland zu organisieren. Denn was geschieht im Rußland von heute ohne die Zustimmung der Macht?
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Oligarch aus Rußland neuer Wirtschaftsminister Georgiens


Der russische Oligarch Kacha Bendukidse wird neuer Wirtschaftsminister Georgiens. Bendukidse löst Irakli Rechwiaschwili ab, der in die Staatskanzlei in eine neu aufzubauende Wirtschaftsabteilung wechselt. Bendukidse, der hervorragende Beziehungen zum Kreml unterhalten soll, ist Chef und Großaktionär der "Vereinigten Maschinenwerke" im Ural, einem Unternehmen mit einem Umsatz von mehr als 625 Millionen Euro jährlich. Bei seiner ersten Pressekonferenz auf georgischem Boden sprach er sich für drastische Wirtschaftreformen aus und erklärte: "Ich hoffe, daß wir nach einem Jahrzehnt werden sagen können, daß das Wirtschaftssystem unseres Landes zu den sich am dynamischsten entwickelnden gehört." Zugleich verlieh er der Hoffnung Ausdruck, daß der Prozeß der Heimkehr der Georgier andauern werde: "Ich glaube, daß viele von den 80.0000 Georgiern, die ihre Heimat verlassen haben, zurückkehren werden." Nach Außenministerin Salome Surabischwili, die zuvor als französische Botschafterin in Georgien tätig war, ist Bendukidse die zweite Person, der die doppelte Staatsbürgerschaft verliehen wurde. Nach einer kürzlich vom Parlament abgesegneten Verfassungsänderung ist es dem georgischen Präsidenten gestattet, Personen die Staatsbürgerschaft zu verleihen.

Am 31. Mai hat Präsident Saakaschwili weiteren Georgiern, die in der Emigration leben, die georgische Staatsangehörigkeit verliehen. Zu ihnen zählen zwei Kinder des Präsidenten der ersten unabhängigen Republik Noe Dschordania sowie Ketewan Bagrationi und Dodona Kisiria. Saakaschwili erklärte, daß er bereit sei, allen im Ausland lebenden Georgien, die die Staatsbürgerschaft eines anderen Landes besitzen, die georgische Staatsbürgerschaft zu verleihen. Die wichtigste Voraussetzung dabei sei die Kenntnis der georgischen Sprache.
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Neue Partei in Kasachstan


Am 29. April fand in Astana unter Leitung des Rektors der Kasachstanischen Staatlichen Juristischen Universität und Vorsitzenden der Bürgerbewegung "Für einen Rechtsstaat Kasachstan" Maksut Narikbajew der Gründungskongreß der Demokratischen Partei Kasachstans (DPK) statt. Der Kongreß beschloß den offiziellen Namen und die Symbole der Partei. Hauptziel der Partei sei, die Bürger für den Schutz der Unabhängigkeit des Landes zu mobilisieren, indem die Rechtsstaatlichkeit, die auf den Prinzipien von Demokratie, zwischennationaler Eintracht und politischer Stabilität beruht, gefestigt wird. Die Partei sieht ihr Ziel auch in der Erziehung der Bürger zu mehr Patriotismus, der ein Hauptattribut sei, um die Stabilität in der Gesellschaft und die erfolgreiche Entwicklung des Landes zu sichern. Narikbajew erklärte, die Bürgerbewegung "Für einen Rechtsstaat Kasachstan" zähle in ihren Reihen 300.000 Mitglieder, von denen die meisten der Partei beitreten wollen. Aus diesem Grund werde die DPK schon in den nächsten Wochen die notwendige Mitgliederzahl erreichen, um im Justizministerium registriert zu werden.
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