Wostok-Newsletter 3/2002

Die Beziehungen der Republik Belarus zur EU - Interview mit dem belarussischen Außenminister Michail Chwostow
Zu Fragen der Außenpolitik und der Außenwirtschaftspolitik - Erklärung des belarussischen Präsidenten Lukaschenko vor dem Parlament
Kaspi-Gipfel ohne Ergebnis
Föderale schlägt regionale Elite - Präsidentschaftswahl in Inguschetien
Das neue Arbeitsgesetzbuch - ein Kompromiß ist erreicht
Medien in Armenien - kein Ende der Auseinandersetzungen
War die Wahl in der Ukraine demokratisch, frei und fair?
Kyrgysstan: Der Staat richtet sich gegen seine Bürger
Der Sieger heißt Woronin - zur politischen Konfrontation in Moldowa
Meldungen
- Russischer Außenhandel mit sinkenden Exporten
- Gesetz über Zivildienst angenommen
Kurzmeldungen

Auszüge:

Gipfel über die Aufteilung des Kaspisches Meeres ohne Ergebnis
von
Pjotr Borowoi, Journalist, Moskau


Ohne eine reale Annäherung endete am 25. April in der turkmenischen Hauptstadt Aschchabat ein Gipfeltreffen der fünf Anrainerstaaten des Kaspischen Meeres. Die Positionen der Präsidenten Rußlands, Kasachstans, Turkmenistans, Aserbaidschans und des Iran lagen nach zweitägigen Verhandlungen derart weit auseinander, daß zum Abschluß der Beratung nicht einmal die geplante gemeinsame Erklärung unterzeichnet wurde. In dieser Deklaration sollte nach Aussage des russischen Präsidenten Wladimir Putin im Vorfeld des Treffens das gemeinsame Herangehen an aktuelle internationale Fragen festgehalten werden.

Unter dem Kaspischen Meer werden mindestens zwanzig Milliarden Tonnen Erdöl und Erdgas vermutet, der weltweit drittgrößte Vorrat nach den Lagerstätten im Persischen Golf und in Westsibirien. Die Hoheit über das Meer muß nach dem Zerfall der Sowjetunion Ende 1991 zwischen den Anrainern neu geregelt werden. Der Rechtsstatus des Kaspischen Meeres wurde durch sowjetisch-iranische Verträge in den Jahren 1921 beziehungsweise 1940 geregelt, die die gemeinsame Nutzung des Meeresgrundes und der Wasserfläche durch beide Staaten vorsahen. Die Festlegung eines Status des Kaspischen Meeres ist nur auf der Grundlage eines Konsenses aller fünf Kaspi-Anrainerstaaten möglich, deren Positionen in dieser Frage allerdings immer noch gravierende Unterschiede aufweisen.

Rußlands Präsident Putin hatte vor dem Treffen erklärt, daß er für eine Aufteilung des Meeresgrundes sei und daß das Wasser gemeinsam genutzt werden solle. In dieser Haltung wird Rußland von Kasachstan und Aserbaidschan unterstützt. Der Iran besteht dagegen auf der Position des gemeinsamen Besitzes des Meeresgrundes. Alternativ fordert er eine Aufteilung des Meeresbodens in fünf gleich große Teile. Turkmenistan tritt für eine Aufteilung des Meeresbodens ein, aber nicht in gleiche Teile, sondern ausgehend von den existierenden Staatsgrenzen. Die vier ehemaligen Sowjetrepubliken befürworten dabei eine Aufteilung des weltgrößten Binnensees entlang einer gedachten Mittellinie. Eine derartige Lösung würde aber den Iran als Land mit der kürzesten Küste benachteiligen.

Rußland drängt derzeit darauf, dringende Fragen wie den Schutz der Störbestände zu regeln, ohne eine Lösung der Statusfrage abzuwarten. Die Störbestände im Kaspischen Meer sind durch Wilderei und Umweltverschmutzung höchst gefährdet.

Allerdings zeichnete sich nach dem Scheitern des Gipfels ab, daß jetzt verstärkt nach bilateralen Lösungen gesucht wird. Turkmenistan und Aserbaidschan planen, die Regelung umstrittener Fragen bei einigen Erdöl- und Erdgasvorkommen in Angriff zu nehmen. Wie der Präsident Turkmenistans Saparmurat Nijasow in einer Ansprache im nationalen Fernsehen erklärte, "haben wir noch einige geringe Streitpunkte mit Aserbaidschan hinsichtlich der Vorkommen Osman und Omar" (Tschirag und Aseri in Aserbaidschan). Nach Angaben Nijasows wurde bei seinem Treffen mit seinem aserbaidschanischen Amtskollegen Alijew am Rande des Gipfels eine Vereinbarung über die Fortsetzung der Verhandlungen erzielt. "Wir werden Delegationen ernennen, die eine Gruppe bilden werden, die die Verhandlungen durchführen und die Frage der Vorkommen lösen wird", sagte Nijasow. "Wenn wir nicht übereinkommen, so werden wir uns an internationale Organisationen wenden und diese bitten, Schiedsrichter in dieser Frage zu sein und die Abgrenzung vorzunehmen." In Turkmenistan geht man davon aus, daß es eine reale Möglichkeit gibt, den seit zehn Jahren bestehenden Konflikt zwischen den beiden Staaten beizulegen. Der Präsident Turkmenistans verwies darauf, daß bereits 1992 turkmenische Vorschläge an das Parlament Aserbaidschans gerichtet worden waren, die bislang allerdings ohne Antwort geblieben sind.

Am 26. April erklärte zudem der russische Vizepremier Viktor Christenko nach Verhandlungen mit seinem kasachstanischen Amtskollegen Karim Massimow in Moskau, daß Rußland und Kasachstan die Aufteilung von drei Ölfeldern im nördlichen Teil des Kaspischen Meeres vereinbart hätten. Nach seinen Angaben wurde beschlossen, daß das Ölfeld Kurmangasy in die Jurisdiktion Kasachstans und die Vorkommen Chwalynskoje und Zentralnoje in die Jurisdiktion Rußlands fallen. Zudem stimmten beide Seiten alle Koordinaten einer gedachten Mittellinie am gesamten Abschnitt der gemeinsamen Erschließung ab.
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Föderale gegen regionale Elite - Skizze zur Präsidentschaftswahl in Inguschetien

von
Alexej Wassiljew, Experte im Russischen Institut für Wahlrecht, Moskau


Ende April ging der viermonatige Wahlkampfmarathon in Inguschetien zu Ende. Es waren die ersten alternativen Wahlen des Oberhauptes eines Föderationssubjekts, das direkt an die aufständische Republik Tschetschenien grenzt. Anders als die Präsidenten der Nachbarrepubliken Nordossetien und Kabardino-Balkarien, wo ebenfalls vor kurzem gewählt wurde, hatte sich der bisherige Präsident der Republik Inguschetien Ruslan Auschew nicht zur Wiederwahl gestellt. Auschew war Ende 2001 von seinem Amt zurückgetreten. Viele sind der Meinung, daß dies auf Druck des Kreml geschah. Moskau hatte sein unmittelbares Interesse an einem Austausch der regionalen Führungselite erkennen lassen. Die Macht in Inguschetien lag in der Hand von Mikail Guzerijew, ehemaliger stellvertretender Dumavorsitzender der Russischen Föderation und mittlerweile entlassener Vorstandsvorsitzender des Erdölkonzerns "Slawneft". Moskau agierte von Anfang an durchgreifend, nahezu militärisch. Nicht von ungefähr bezeichnete jemand diese Präsidentschaftswahl als "Sondereinsatz". Die Durchführung des Einsatzes oblagen dem bevollmächtigten Vertreter des russischen Präsidenten im Südlichen Föderalen Distrikt Viktor Kasanzew sowie dem in Tschetschenien und Inguschetien als Geschäftsmann wohlbekannten Mussa Keligow, derzeit föderaler Inspektor.

Dem Rücktritt Auschews war eine Spaltung der regionalen Führungselite gefolgt. Die herrschende Gruppierung stellte Chamsat Guzerijew, den Bruder Mikails Guzerijews, als ihren Präsidentschaftskandidaten auf, der zur Zeit der Registrierung Innenminister der Republik war. Parallel dazu hatte die Guzerijew-Gruppe, die über, wie es heißt, unbegrenzte finanzielle Ressourcen verfügt, elf (!) weitere Kandidaten aufgestellt, von denen der wichtigste zweifellos der Staatsdumaabgeordnete Alichan Amirchanow war.

Trotz unbegrenzter Unterstützung durch politische und Geschäftskreise, hatte Amirchanow die Wahl zum Dumaabgeordneten allerdings erst im zweiten Anlauf geschafft. In der ersten Wahlrunde war er von einem Konkurrenten geschlagen worden. Die Wahlen mußten aber abgebrochen werden, da alle Bezirkswahlkommissionen in der Nacht vor der Abstimmung ihre Ämter niederlegten. Es heißt, die Schlüsselrolle beim Abbruch der Wahl habe der inguschetische Premierminister Achmed Malsagow gespielt, der die Wahlkommissionen in eben jener Nacht persönlich besucht habe.

Nach dem Rücktritt Ruslan Auschews hatte Malsagow entsprechend der Gesetzgebung die Funktion des amtierenden Präsidenten übernommen. Er mischte sich in den Präsidentschaftswahlkampf ein, wobei er die Anweisung Auschews, Guzerijew zu unterstützen, mißachtete. In den Augen vieler Inguschen wurde Malsagow damit zum Verräter an seinem Schutzherrn. Außerdem beteiligte sich eine ganze Reihe Geschäftsleute und ehemalige Staatsbedienstete, die auf eine Rückkehr an die Macht hofften, am Wahlkampf.

Der Kreml gab zu verstehen, daß er die Wahl äußerst ernst nahm. Man schickte Murad Sjasikow, einen "Mann aus den Staatsorganen", ins Rennen. Nur zwei Tage vor seiner Registrierung zum Präsidentschaftskandidaten war Sjasikow, gleichsam um ihn "reinzuwaschen", zum Stellvertreter Kasanzew ernannt worden.

So entbrannte der eigentliche Kampf also zwischen der regionalen Machtelite und dem föderalen Zentrum. Guzerijew hatte mit dem Geld und vor allem der Unterstützung durch den beliebten General Auschew wichtige Trümpfe in der Hand. Sjasikow aber konnte auf die Sicherheitsbehörden und die offene Unterstützung des russischen Präsidenten Wladimir Putin rechnen.

Die Atmosphäre heizte sich immer weiter auf. Den Reportagen des landesweiten Fernsehens über die Treffen Sjasikows mit Putin setzte Guzerijew Popkonzerte mit ihn unterstützenden Popstars entgegen. Alle anderen Kandidaten bedienten sich traditioneller Agitationsformen, wobei natürlich alles von ihren finanziellen Möglichkeiten abhing. Alle jedoch leisteten sich viele und vielköpfige Wahlkampfteams. In Inguschetien gibt es insgesamt 120.000 Wähler. Die Arbeitslosenquote liegt bei etwa achtzig Prozent. Wahlen bieten also viele Möglichkeiten, Geld zu verdienen. Als normal galt, wenn ein Kandidat etwa fünfzig Wahlkampfteams unterhielt. Und das bei nur vierzig Städten und Siedlungen im Land, sämtliche abgelegenen Bergdörfer eingerechnet!

Der Wahlkampf lieferte den Anlaß, eine juristische Orgie zu feiern, die sich gegen die Strohmänner Guzerijews richtete. Sieben "Strohkandidaten" nutzten nämlich die gesamte ihnen gesetzlich zustehende Sendezeit im Rundfunk und Fernsehen sowie den ihnen zur Verfügung stehenden Raum in den Printmedien, um unverhohlen für Chamsat Guzerijew zu agitieren. Es kam zu Klagen. Die Zentrale Wahlkommission Inguschetiens und die lokalen Gerichte waren völlig verunsichert. Moskau aber verlor keine Zeit. Chamsat Guzerijew wurde als Innenminister entlassen, dann wurde seine Kandidatur per Gerichtsurteil gestrichen. Das war nicht ganz einfach. Das inguschetische Gericht zog den Prozeß in die Länge. Der Kläger, ein einheimischer Journalist, wurde vor dem Gerichtsgebäude von einer wütenden Menschenmenge mit dem Tode bedroht. Zum Schluß wurde die ganze Angelegenheit einfach aus dem inguschetischen Gerichtssaal an das Oberste Gericht der Russischen Föderation weitergeleitet. Die höchste Gerichtsinstanz Rußlands brauchte nur drei Stunden, um zu einer Entscheidung zu gelangen: Einen Tag vor der Stimmabgabe wurde Chamsat Guzerijew von der Kandidatenliste gestrichen. Zuvor waren alle seine "Strohmänner" - außer Alichan Amirchanow - als Kandidaten gestrichen worden. Anzumerken ist, daß diese Vorgänge aus rechtlicher Sicht fragwürdig waren. Wie auch immer, zum Schluß standen nur noch acht Kandidaten auf der Wahlliste.

Am Wahltag übertrafen die riesigen Menschenmengen vor den Wahllokalen die kühnsten Erwartungen. Die beunruhigenden Prognosen, daß man versuchen würde, einen Wahlabbruch zu erzwingen, indem man Unruhe stiftete, bestätigten sich jedoch nicht. Eher lösten die Mitarbeiter der Miliz selbst Chaos aus, da sie versuchten, die Menschen im Inneren der Wahllokale nach ihren Vorstellungen aufzuteilen.

Bei der Wahl gab es zahlreiche Unregelmäßigkeiten. Es gab Fälle, daß die Wahl auf Wunsch der Wähler fortgesetzt wurde, obwohl die offiziell angesetzte Zeit für die Stimmabgabe bereits abgelaufen und die Wahllokale somit eigentlich schon geschlossen waren. In vielen Wahlkreisen reichten zudem die Stimmzettel nicht, weil Menschen mehrmals zu den Wahlurnen gingen. Dann gab es ein Durcheinander mit den Flüchtlingen, von denen nur ein Teil stimmberechtigt war. Doch ungeachtet all dieser Unregelmäßigkeiten - das schlimmste war die Wählerbestechung. Nach inoffiziellen Angaben wurden am Wahltag insgesamt zwei Millionen Dollar Bargeld verteilt!

Amirchanow erhielt im ersten Wahlgang etwa 33 Prozent der Stimmen. Murad Sjasikow kam mit 19,5 Prozent abgeschlagen auf Platz 2. Die beiden zogen also in die Stichwahl. Bei dieser Verteilung der Wählersympathien durfte man das sichere Gefühl haben, daß das ausschlaggebende Kriterium gerade der Geldregen war. Und das in Inguschetien, wo man besonders stolz ist auf den Respekt vor den Traditionen und der Meinung der Ältesten! Putins Unterstützung für Sjasikow allein reichte nicht aus, um den materiellen Wohltaten im ersten Wahlgang etwas entgegenzusetzen.

Die Konfrontation zwischen der regionalen Elite und der Zentralmacht spitzte sich in der zweiten Runde weiter zu. Am Tag nach der ersten Abstimmung inszenierten die Sicherheitsbehörden demonstrative Durchsuchungen der Wahlkampfbüros des Wahlsiegers Amirchanow. Natürlich wurde zwischen den Siegern und Verlierern der ersten Runde darüber verhandelt, wer seine Anhänger aufrufen würde, wen zu unterstützen. Und niemand wagte eine Vorhersage, wer den Sieg einfahren würde. Es war allerdings leicht zu begreifen, daß beide Seiten bis zum Äußersten gehen würde. Moskau wäre im Falle einer Niederlage sicherlich bereit gewesen, das Wahlergebnis für ungültig erklären zu lassen.

Doch Sjasikow siegte mit 54 Prozent der Stimmen. Amirchanow lag fast zehn Prozentpunkte hinter ihm. Dies bedeutet aber nicht, daß der Kampf damit nun endgültig entschieden ist, denn möglicherweise wird das Ergebnis angefochten werden.

Nachdem Amirchanow in der ersten Runde gesiegt hatte, verlor sein Unterstützer Guzerijew blitzartig seine Position im staatlichen Unternehmen "Slawneft". Doch er hat noch mehr zu verlieren. So die Holding "BIN", die eine Vielzahl von Unternehmen in Moskau und Inguschetien kontrolliert. Guzerijew bleibt aber eine einflußreiche Persönlichkeit und mächtige politische Kraft. Zu viele Fäden, die seine verzweigten Geschäfte lenken, führen nach Dajmochk - in das "Land der Väter". Und für Sjasikow wird es kaum ausreichen, der Wahlsieger zu sein. Er wird wohl Truppen aufmarschieren lassen müssen, um im wirtschaftlichen Kernland der Guzerijews die Umsetzung durchgreifender Maßnahmen zu erzwingen. Moskau wird sich niemals damit abfinden, daß die Guzerijew-Herrschaft fortbesteht. Und so hat bislang noch niemand wirklich gesiegt. Alles beginnt erst.

Komplizierter wird es noch, weil nicht Sjasikow Motor bei der anstehenden wirtschaftlichen Umgestaltung der Republik sein wird, sondern Mussa Keligow, der ein Vermögen mit kaukasischem Öl gemacht hat, von Guzerijew jedoch von der Gewinnabschöpfung verdrängt worden war. Auch die politische Führung wird nicht in der Hand Sjasikows liegen, sondern in der des Präsidentenbevollmächtigten Kasanzews, der in Tschetschenien eine Niederlage erlitten hat und nun in Inguschetien auf Revanche hofft.
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Der kirgisische Staat richtet sich gegen seine Bürger - wer ist schuld?

von
Gülnara Hamidowa, Journalistin, Bischkek


Am 17. und 18. März kam es zu einer Tragödie, als die Polizei das Feuer auf Demonstranten im Kreis Aksy, im Gebiet Dschalal Abad, Kyrgysstan eröffnete. Es gab sechs Tote und viele Verletzte.

Waren die Demonstrationen, Hungerstreiks und Streikposten zur Unterstützung des oppositionellen Abgeordneten Asimbek Beknasarow bis dahin friedlich verlaufen, wurden Bevölkerung und politisches Establishment nun aufgerüttelt. Aber will wirklich jemand die Verantwortung übernehmen?

Das Parlament - besser gesagt ein Teil des Parlaments - schürte das Feuer. In einem von 55 Abgeordneten unterzeichneten Appell heißt es, daß "die Massenunruhen in den Augen der zivilisierten Gemeinschaft einen unrühmlichen Fleck auf unserem Vaterland" darstellen, daß sie einmal mehr "an die absolute Wahrheit erinnern, daß Demokratie nicht Freizügigkeit bedeutet", und daß diese, "wenn sie nicht von Verfassungsprinzipien und Gesetzen gestützt wird, jederzeit in Anarchie umschlagen und die Gesellschaft demoralisieren kann." Die Ursache der Tragödie sieht man in den illegalen Aktivitäten einiger unverantwortlicher Politiker, die die Bevölkerung aufstacheln, um ihre eigene Ziele zu verfolgen.

Fraglos ein brisanter Appell, der ohne Diskussion im Unterhaus veröffentlicht wurde. Ein Appell, der vermeintliche Erklärungen bietet, ohne daß einer der Untersuchungsausschüsse (es gibt drei - den staatlichen, den parlamentarischen und den unabhängigen) seine Arbeit abgeschlossen hätte. Wenn aber die Politik nicht für das Blutvergießen, sondern für das Versäumnis schuldig gesprochen wird, nicht rechtzeitig Maßnahmen zur Prävention der "Unruhen" - tatsächlich geht es um politische Demonstrationen - eingeleitet zu haben, ist zu fragen, wer wen unterstützt. Und ist es vorstellbar, daß Polizeioffiziere ohne offizielle Anweisung das Feuer eröffnen?

Die Opposition klagt die politische Führung an. Das Töten sei geplant gewesen. Die zur Demonstration strömenden Menschen seien gefilmt und Ärzte zuvor aufgefordert worden, an ihren Arbeitsplätzen zu erscheinen. Ein Videofilm beweise, daß sich die Ärzte vor Ort nur um die Polizisten gesorgt hätten und daß die Demonstranten unbewaffnet waren. Auch die unabhängige Kommission erhebt gewichtige Vorwürfe gegen die regionale und die zentrale Macht.

Die Parlamentskommission hat sich bereits ein Urteil gebildet, das am 5. April veröffentlicht wurde. Verantwortlich für die Tragödie seien die lokalen Behörden, die die Polizei angewiesen hätten, mit allen Mitteln zu verhindern, daß sich Demonstranten aus Aksy den Streikposten in Kerben anschließen. Es hätte keine Verhandlungen der Behörden mit den Einwohnern gegeben, wie die langanhaltenden Proteste beendet werden könnten. Feststehe, daß Oppositionellen nicht in die Organisation der Proteste involviert waren.

In Teilen also durchaus klare Worte. Das Parlament entschied am 9. April, den Präsidenten zu bitten, die Untersuchung der Ereignisse durch die staatliche Kommission seiner persönlichen Kontrolle zu unterstellen. Die Regierung wurde aufgefordert, ein Sonderprogramm zur Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Situation in Aksy zu erarbeiten und Kompensationsmaßnahmen für die Bewohner zu ergreifen. Anzumerken ist, daß nur 36 der sechzig Abgeordneten bei dieser Abstimmung anwesend waren. Die oppositionelle "Kyrgysstan-Gruppe" und die Kommunistische Fraktion hatten die Sitzung aus Protest verlassen.

Auf Unverständnis in der Bevölkerung stieß der Kurzbesuch von Präsident Akajew in Aksy drei Wochen nach den blutigen Ereignissen. Per Erlaß wurde der Provinzgouverneur Sultan Urmanbajew entlassen. Auch der Generalstaatsanwalt des Gebiets und der Leiter der Gebietspolizei mußten gehen. Akajew sieht die Ursachen für die Ereignisse in der katastrophalen Wirtschaftslage des Gebiets - und spendete 100.000 Som (2.100 Dollar) aus dem Präsidentenfonds, brachte auch 200 Tonnen Lebensmittel und 50 Tonnen Zucker mit, bot armen Familien zudem Land in der nördlichen Tschui-Provinz an. Mit Angehörigen der Opfer und mit einfachen Bürgern traf sich der Präsident allerdings nicht.

Die Staatliche Kommission, die aufgrund des öffentlichen Drucks mehrfach neu zusammengesetzt wurde, wird nun vom Ersten stellvertretenden Premierminister Nikolai Tanajew geleitet. Er erklärte, daß man die Untersuchung breit anlegen und dabei den wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Hintergrund der Proteste untersuchen, zudem die legalen Ursachen für die Inhaftnahme Beknasarows und die Weigerung ihn vor dem Prozeß wieder auf freien Fuß zu setzen prüfen wolle. Außerdem sollen die Aktivitäten der staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen und deren Kooperation im Zusammenhang mit den Protesten studiert werden. Um Fakten zu sammeln, reiste man Mitte April nach Dschalal Abad. Unter Zeitdruck ließ man sich nicht setzen. Bis Anfang Mai konnte die Kommission ihren Bericht nicht vorlegen. Man streitet weiter darüber, ob nur die lokalen Behörden die Verantwortung zu übernehmen haben, wie es die regierungsfreundlichen Kommissionsmitglieder fordern, oder ob sich auch die höchsten Repräsentanten des Staates, die nach Meinung unabhängiger und oppositioneller Mitglieder den Schießbefehl gaben, zu verantworten haben?

In der Zwischenzeit berief die Opposition für den 17. und 18. April einen Volkskongreß ein, zu dem 500 Delegierte aus allen Teilen des Landes entsandt wurden. Zu den verabschiedeten Forderungen zählen die Rücktritte des Präsidenten, des Premiers, des Innenministers und des Generalstaatsanwaltes, die Durchführung vorgezogener Wahlen, ein Referendum über Grenzangelegenheiten sowie die Einstellung der Gerichtsverfahren gegen Beknasarow und den ehemaligen Premier Felix Kulow (der wurde übrigens just darauf zu zehn Jahren Haft verurteilt).

Die Situation kocht weiter hoch. Der Parlamentsabgeordnete Asimbek Beknasarow hat mit der Sammlung von Unterschriften für die Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens gegen Präsident Akajew begonnen. Im Zentrum seiner Anklage gegen Akajew steht weiterhin, daß Akajew mit der Abtretung urkirgisischer Gebiete an China wie auch mit der Tatsache, daß er sich nach 1991 und 1995 im Jahre 2000 zum dritten Mal zum Präsidenten hat wählen lassen die Verfassung verletzt habe. Zudem sei er verantwortlich für die Eröffnung des Feuers auf die Demonstranten am 17. April in Aksy.

Während die Macht, die Ursachen in der Armut aufgrund der wirtschaftlich angespannten Lage im Süden des Landes ausmacht und den Demonstranten jede politische Motivation abspricht, dabei aber signalisiert, daß man eine objektive Auswertung der Ereignisse anstrebe, versammeln sich weiter protestierende Menschen auf den Straßen. Und zweifellos werden sie sich nicht mit der einen oder anderen Lebensmittellieferung ruhig stellen lassen.
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Russischer Außenhandel mit sinkenden Exporten

Rußlands Exporte sind im ersten Quartal 2002 zurückgegangen. Gegenüber den ersten drei Monaten 2001 sanken die Ausfuhren um 14,9 Prozent auf 21,7 Milliarden Dollar, teilte das Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Handel mit. Die Exporte in Länder außerhalb der früheren Sowjetunion gingen um 15,9 Prozent auf 18,4 Milliarden Dollar und in die GUS-Staaten um 8,8 Prozent auf 3,3 Milliarden Dollar zurück. Dagegen stiegen die Einfuhren um 8,2 Prozent auf 12,2 Milliarden Dollar. Davon entfielen 2,7 Milliarden Dollar (ein Minus von 14 Prozent) auf die GUS und 9,5 Milliarden Dollar (ein Plus von 17 Prozent) auf Länder außerhalb der früheren Sowjetunion. Die positive Außenhandelsbilanz sank damit von 14,2 Milliarden Dollar im ersten Quartal 2001 auf 9,5 Milliarden Dollar im ersten Quartal dieses Jahres.
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Gesetz über Zivildienst angenommen

Die russische Duma hat am 17. April in erster Lesung das Gesetz über den Zivildienst angenommen. 245 Abgeordnete stimmten für den von der Regierung eingebrachten Entwurf. Den Abgeordneten hatten drei Entwürfe zur Abstimmung vorgelegen. Der Regierungsentwurf sieht einen vierjährigen Zivildienst vor, die Gegenvorschläge eine Zivildienstzeit von nur zwei Jahren. Nach dem nun beschlossenen Regierungsentwurf brauchen allerdings jüngere Männer mit höherer Schulbildung nur zwei Jahre ableisten. Der russische Verteidigungsminister Sergej Iwanow sprach sich sogar für einen Zivildienst von sechs statt vier Jahren aus. Wehrpflichtige müssen in Rußland einen Militärdienst von zwei Jahren ableisten.
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