Auszüge:
Der Präsident bestimmt! - Mißtrauensvotum gegen russische Regierung gescheitert
von
Pjotr Borowoi, Journalist, Moskau
Das Mißtrauensvotum gegen die Regierung Kassjanow ist am 14. März in der Staatsduma eher kläglich
gescheitert. Nur 127 Abgeordnete der Duma stimmten für den Antrag der Fraktion der Kommunistischen
Partei, 226 Stimmen wären notwendig gewesen. Der Antrag war von der KPdRF im Februar eingebracht worden,
vor allem mit dem Verweis auf die Wirtschaftspolitik der Regierung. So hatte der KP-Vorsitzende Gennadi
Sjuganow in der Debatte erklärt: "Ein ganzes Jahrzehnt wurde stümperhaft für die Durchführung der
Reformen vergeudet. Bisher hatten wir Glück: Über dem Land ergoß sich der goldene Regen der Erdöldollars.
In den Haushalt flossen zusätzlich 250 Milliarden Rubel. Die Regierung stellte aber keine zusätzlichen
Mittel für die Unterstützung der Regionen, der Armee, Industrie und Landwirtschaft bereit. Fortgesetzt
wird der Kurs, der das Land bereits in die Wirtschaftskrise 1998 geführt hat."
Kritik an der Regierung übten aber nicht nur die KPdRF, sondern auch andere Dumafraktionen. So bezeichnete
Boris Nemzow vom Bund der Rechten Kräfte die Regierung als "dahin dümpelnden Dampfer". Sie sei noch nicht
einmal in der Lage, Strom und Wärme im Land zu verteilen. Sergej Iwanenko von der liberalen
JABloko-Fraktion sprach sogar von "kolossaler Instabilität im Kreml".
Mit Blick auf die Wähler kam die Forderung nach einer neuen Regierung oder sogar nach der Auflösung
des Parlaments zur falschen Zeit, denn derzeit ist die Mehrheit der Bevölkerung mit der Politik von
Präsident und Regierung relativ zufrieden. So sind beispielsweise im letzten halben Jahr die Renten
dreimal erhöht worden, was auch von fast der Hälfte der Bevölkerung als Haupterfolg Putins gewertet
wird. Die Kommunisten haben ihren Mißtrauensantrag trotzdem eingebracht und nicht nur die Regierung,
sondern auch den Präsidenten herausgefordert, der sich ungebrochener Beliebtheit erfreut. Sollte die
KPdRF aber tatsächlich nur einer völligen Fehleinschätzung gefolgt sein? Oder wollte sie sich einfach
nur angesichts der diversen Planspiele im Kreml der Wählerschaft als eigenständiger Akteur präsentieren?
So war zwar am Tage der Abstimmung das Scheitern des Antrags keine Überraschung mehr, aber bis einen
Tag vorher hatte es so ausgesehen, als ob der Mißtrauensantrag erfolgreich sein könnte. Dafür hatten
die taktischen Wendungen der Fraktion "Einheit" gesorgt.
Der Vorsitzende der zweitgrößten Dumafraktion
Boris Gryslow hatte den Mißtrauensantrag zunächst als "dumm" bezeichnet, um dann später zu erklären,
daß die Fraktion ihm zustimmen wolle. Dies kam für viele überraschend, denn die "Einheit" gilt als
präsidenten- und regierungstreu und hat seit ihrem Einzug in die Duma Ende 1999 stets im Sinne des
Präsidenten und der Regierung gehandelt und abgestimmt. Gryslow argumentierte, daß die Zustimmung
der "Einheit" zum Mißtrauensvotum dem Präsidenten die Möglichkeit eröffnen solle, das Parlament aufzulösen
und Neuwahlen anzusetzen. Denn nach der Verfassung kann der Präsident nach einem erfolgreichen
Mißtrauensvotum gegen die Regierung diese entlassen oder den Beschluß des Parlaments zurückweisen.
Sollte das Parlament der Regierung innerhalb von drei Monaten erneut das Mißtrauen aussprechen, kann
der Präsident die Regierung entlassen oder eben die Duma auflösen. Bei einer Neuwahl, so die Argumentation
von Gryslow, würde die "Einheit" die Kommunisten als stärkste politische Kraft ablösen und um die vierzig
Prozent der Stimmen erhalten.
Woraus sich allerdings die Prozentzahlvision Gryslows speiste ist unklar. Es dürften zumindest keine
Umfrageergebnisse gewesen sein. Bei den meisten Umfragen liegt die "Einheit" nämlich bei etwa fünfzehn
Prozent und damit nicht nur weit entfernt von den genannten vierzig Prozent, sondern auch von den 25
Prozent der KPdRF.
Allerdings gibt es schon seit geraumer Zeit in der Präsidialverwaltung Planspiele rund um Neuwahlen und
auch um eine Regierungsumbildung. Bereits seit Herbst letzten Jahres wird über eine Ablösung der Regierung
spekuliert und es ist ein offenes Geheimnis, daß in der Präsidialverwaltung insbesondere das Agieren der
Regierung im Zusammenhang mit der Schuldentilgung beim Pariser Klub mit Mißfallen beobachtet wurde.
Ein erfolgreicher Mißtrauensantrag hätte dann die Möglichkeiten eröffnet, sowohl die Regierung abzulösen
als auch Neuwahlen anzusetzen. Zumal in der Präsidialverwaltung auch darüber nachgedacht wird, wie man die
hohe Zustimmung zu Putin in Stimmen beziehungsweise Parlamentssitze für putintreue Parteien verwandeln kann.
Denn es ist fraglich, ob die Zustimmung zum Präsidenten weiterhin so hoch bleiben wird, wenn die Reformen
in der Wirtschaft und der Sozialpolitik greifen und es zu ernsthaften Einschnitten kommt. Es ist nicht
ausgeschlossen, daß zum eigentlichen Wahltermin im Jahr 2003 die Wirtschaftslage schwieriger und die
Unzufriedenheit mit dem Präsidenten größer sein könnte.
Diesen Überlegungen stand allerdings entgegen, daß die gegenwärtige Duma im Sinne des Präsidenten durchaus
konstruktiv handelt, mit der Regierung zusammenarbeitet und in ihrer Mehrheit praktisch immer die
Gesetzentwürfe des Präsidenten unterstützt. Und die Drohung mit Neuwahlen konnte auch die Kommunisten
wenig einschüchtern. Denn nicht nur, daß sich die KP auf ein stabiles Wählerpotential stützen kann, hatte
ihr sicherlich auch der Sieg der moldawischen Kommunisten Rückenwind gegeben.
Die Variante der Neuwahlen fand in der Präsidentenumgebung ersichtlich weniger Anhänger als Gegner. Was
aber ausschlaggebend war: der Präsident weigerte sich kategorisch, das Unterhaus aufzulösen. Das Ergebnis
der Abstimmung zeigte dann einmal mehr, daß die Politik in Rußland der Präsident bestimmt und nicht der
Regierungschef und schon gar nicht ein Parteiführer.
Im Ergebnis dieser ganzen Intrige geriet die Fraktionsführung der "Einheit" in eine mißliche Lage, denn
sie war gezwungen, sich plumpe Argumente zur Rechtfertigung ihrer Handlungen auszudenken.
Einen Tag vor der Abstimmung erklärte Boris Gryslow, daß die Fraktion "Einheit" in ihrer Sitzung
beschlossen habe, die Abstimmung über den Mißtrauensantrag gegen die Regierung zu boykottieren. Sie rufe
alle Abgeordneten der Staatsduma auf, sich ihr anzuschließen. "Uns ist es gelungen, eine Konsolidierung
der Mehrheit rund um den Kurs des Präsidenten kurz vor seiner Botschaft an die Nation zu erreichen. Das
ist eine prinzipielle politische Leistung", betonte er. Und in der Erklärung der Fraktion mit dem Aufruf
an die Abgeordneten, an der Abstimmung über den Mißtrauensantrag gegen die Regierung nicht teilzunehmen,
hieß es: "Wir sind der Ansicht, daß die politische Unterstützung, die die meisten Fraktionen in der
Staatsduma der Regierung erweisen werden, ihr ermöglichen wird, im Rahmen des Programms der Strukturreformen
noch entschlossener zu handeln."
Damit war aber klar, daß das Mißtrauensvotum scheitern würde, da die KP und ihre Verbündeten nicht über
eine entsprechende Mehrheit im Parlament verfügen und absehbar war, daß sich die Mehrheit der
zentristischen und rechten Fraktionen dem Boykott anschließen würden. Auch wenn Boris Nemzow den
Abstimmungsboykott der "Einheit" kritisierte: "Eine Regierungsfraktion hat kein Recht, in dieser Frage
keine Meinung zu haben."
Der Vorschlag der Kommunisten erhielt dann nur 127 Stimmen, also weniger als die linken Fraktionen in
der Staatsduma Mitglieder haben. Trotzdem zeigten sich die Initiatoren des Mißtrauensantrags wenig betrübt
über das Ergebnis. Sie erklärten nach der Abstimmung, daß sie ihre ursprünglich gestellte Aufgabe erfüllt,
das heißt gezeigt hätten, daß sie sich für die Interessen der Bevölkerung einsetzen.
Die KPdRF bleibt nach dieser Auseinandersetzung - jedenfalls in den Augen ihrer Mitglieder und ihrer
Wähler - eine legitime parlamentarische Alternative zu dem Kurs, der der Mehrheit der Bevölkerung viele
Unbequemlichkeiten bereitet. "Was die ,Einheit' betrifft, so hat sich die ,Partei Putins' im Bereich des
russischen Parlamentarismus durch nichts Besonderes hervorgetan. Sie hat sich in den Augen der
Öffentlichkeit hingegen von dem populären Präsidenten distanziert. Im Falle von Neuwahlen werden viele
Wähler nicht mehr für diese Partei stimmen", meint die Moskowski Komsomolez.
Während des Mißtrauensvotums befand sich Präsident Putin beim Skilaufen. Es war das erste Mal, daß ein
Präsident bei einer derartigen Abstimmung nicht in Moskau weilte. Man kann dies als ein Zeichen von großer
Gelassenheit und Siegesgewißheit interpretieren, vielleicht aber auch eher als Indiz dafür, daß nach Putins
Ansicht für die reale Politik Entscheidungen der Duma nicht relevant sind. In jedem Fall hat der Präsident
weiterhin das Heft des Handelns in der Hand und er allein wird darüber entscheiden, ob und wann die
Regierung Kassjanow entlassen wird.
Zum Status des Kaspischen Meeres. Deutet Verschiebung des Gipfels ein Scheitern der Verhandlungen an?
von
Gulmira Adabekowa, Journalistin, Moskau/Aschchabat
Der für den 8. und 9. März angesetzte Gipfel der Anrainerstaaten des Kaspischen Meeres im turkmenischen
Turkmenbaschi, der sich abschließend mit der Frage des Status des Kaspischen Meeres befassen sollte,
wurde, wie in der turkmenischen Hauptstadt Aschchabat verlautete, auf Wunsch des Irans und mit Zustimmung
Rußlands auf Anfang April verschoben. Ist dies nun Anzeichen unüberwindbarer Diskrepanzen zwischen den
fünf Anrainerstaaten Aserbaidschan, Iran, Kasachstan, Rußland und Usbekistan oder ist es bloß
zeitgewinnendes Taktieren seitens des Irans?
Nach dem Zerfall der Sowjetunion hatte der Iran - bis dahin einziger Vertragspartner der UdSSR -
vorgeschlagen, die sogenannte Kaspische Konferenz zu schaffen, die nach pragmatischen und wirtschaftlichen
(insbesondere Erdöl und Fischerei) Aspekten ein Abkommen über den Status des Meeres vorbereiten sollte.
In den letzten Jahren blieben die Beratungen aber ohne Ergebnis. Auch das kürzliche Treffen in Teheran
brachte die fünf Länder in der Frage des Status des Meeres keinen Schritt weiter. Während Moskau, Baku und
Astana eine vollständige Aufteilung des Meeres anstrebten, war Aschchabat in dieser Frage unentschlossen,
und der Iran sprach sich für die gemeinsame Nutzung aller Anrainerstaaten, also ganz im Sinne der
Iran-UdSSR-Abkommen von 1921 und 1940 aus. In Teheran näherte sich jedoch die turkmenische Delegation
der Position der drei ehemaligen sowjetischen Bruderstaaten sichtlich an. Werden die Verhandlungen nun
also an diesem Punkt scheitern?
Eigentlich hat man schon viel erreicht. Man ist sich einig, daß das Kaspische Meer eine Friedenszone
werden soll, in der jegliche militärische und politische Aktivitäten verboten sein sollen. Man ist sich
auch einig, daß das ökologische Gleichgewicht des Meeres eines besonderen Schutzes bedarf. Denn nicht
nur die biologische Balance des Wassers, sondern auch der Fisch- und Robbenbestand sind durch die
wachsende Erdöl- und Erdgasförderung in den nationalen Sektoren Aserbaidschans, Kasachstans und
Turkmenistans sowie durch den Öltransport per Schiff über das Meer mehr als gefährdet, wie verschiedene
Studien belegen.
Allerdings gehen gerade in den Fragen des Umweltschutzes die Ansichten weit auseinander. Während Astana,
Baku und Aschchabat - die größten Gewinner im bisherigen Kaspischen Erdölspiel - die Position vertreten,
daß der Einsatz modernster Fördertechnologien die Gefahren für Mensch und Natur minimieren, würde Rußland
aus durchaus eigennützigen Erwägungen die Fördermengen gern begrenzen, und fürchtet der Iran den aufgrund
der Beteiligung großer US-Ölfirmen in den internationalen Öl- und Gaskonsortien den wachsenden Einfluß der
USA in der Region. So freundlich sind die Beziehungen zwischen den USA und dem Iran nicht.
Stehen also wirtschaftlichen Erwägungen politische entgegen, daß es in der Frage der Statusregelung nicht
voranzugehen scheint? Man sollte die Verschiebung des Gipfels nicht dramatisieren, so hört man nicht nur
in Aschchabat. Schließlich gab es doch, auch wenn in Teheran kein Abkommen unterzeichnet wurde, die
politische Erklärung aller fünf Staaten über den festen Willen zur gemeinsamen Einigung über den Status
des Meeres und daß man sich insbesondere in den Positionen zu Stabilität und Sicherheit der Region weiter
angenähert habe.
Also warten wir auf den April-Gipfel, der möglicherweise die Lösung der noch offenen Fragen bringen wird.
Und noch einmal eine Einschätzung aus Aschchabat: So schlecht stehen die Chancen nicht, daß man sich auf
den rechtlichen Status einigt und andere Fragen durch bilaterale Abkommen zwischen den Ländern regelt.
Hauptfeind USA
Nach einer Umfrage, die von der russischen Zeitung "Sewodnja" am 15. März veröffentlicht wurde, glauben
34 Prozent der Russen, daß von den USA die Hauptgefahr für Rußland ausgeht. Ein Jahr zuvor vertraten nur
27 Prozent der Befragten diese Position. Gerade einmal 15 Prozent äußerten die Meinung, daß für Rußland
vom Ausland überhaupt keine Gefahr ausgehe. Nur wenige der Befragten konnten im Ausland Freunde Rußlands
entdecken. So erklärten 35 Prozent, daß Rußland überhaupt keine Freunde im Ausland habe. 15 Prozent sahen
in Belarus einen Freund, es folgten mit vier Prozent Deutschland und mit jeweils zwei Prozent die VR China
und Indien.
Durchschnittsgehälter in der GUS
Unter den Staaten der GUS verzeichnete im Jahr 2000 nach Angaben des Komitees für Statistik der GUS
Kasachstan das höchste durchschnittliche Monatseinkommen. Umgerechnet in Dollar lag dort das
Durchschnittseinkommen eines Beschäftigten bei 94 Dollar. Auf Kasachstan folgten nach Angaben des Komitees
Rußland mit 81 Dollar und Belarus mit 74 Dollar. Die durchschnittlichen Gehälter in Aserbaidschan lagen
bei 46 Dollar, in der Ukraine bei 39 Dollar, in Moldowa bei 33 Dollar und in Kyrgysstan bei 25 Dollar.
Am Ende der Liste steht Tadschikistan mit nur 8,7 Dollar.
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