Wostok-Newsletter 2/2002

Freundschaft auf Zeit oder Bündnis für immer?
"Rußland erfüllt in größerem Maße die Maastricht-Vorgaben als so mancher EU-Staat"
Rußland vor einer neuen Krise?
Parteien in Rußland passen sich dem neuen Parteiengesetz an
Braucht Rußland ein Zweikammernparlament?
Wie demokratisch werden die Wahlen in der Ukraine sein?
Nimmt Aserbaidschan den zentralasiatischen Weg?
Warum verhärten sich die Fronten in Moldowa?
Zuspitzung der Lage im georgischen Pankisital
Umstrittenes Mediengesetz in Armenien
Spendenaufruf des HCC
Presseerklärung der Gesellschaft für bedrohte Völker
Meldungen
- Rußlands Einwohnerzahl sinkt dramatisch
- Volkszählung in Georgien
Kurzmeldungen

Auszüge:

Braucht Rußland ein Zweikammernparlament?
von
Marina Ionowa, Politologin, Moskau


Ende Januar dieses Jahres war die Obere Kammer der Föderalen Versammlung Rußlands - der Föderationsrat - endgültig reformiert. Alle Ämter sind praktisch mit einfachen Abgeordneten besetzt, die Führungsorgane wurden gewählt und die Geschäftsordnung wurde bestätigt.

Der Föderationsrat ist in der Tat so geworden, wie es der Kreml wollte.

Das erste Föderationsrat, der von 1993 bis 1996 tagte, war im Prinzip der einzige der drei Föderationsräte seit der Unabhängigkeit, der mittels des Wahlverfahrens für die Abgeordneten zu einem Vertretungsorgan wurde und die Interessen der Regionen tatsächlich verteidigte.

Der zweite Föderationsrat, der von 1997 bis 2001 tagte, hat ebenfalls die Interessen der Regionen verteidigt, aber die Vertreter der Regionen im Föderationsrat wurden bereits nicht mehr gewählt. In den Föderationsrat zogen automatisch die Leiter der Exekutive und Legislative der jeweiligen Föderationssubjekte. Es stellte sich zwar die Frage der Verfassungsmäßigkeit einer solchen Zusammensetzung, aber da die Führer der jeweiligen Strukturen gewählt worden waren, konnte man sagen, daß der Föderationsrat auf Basis der Gesetze gebildet wurde. Dank des Lobbyismus seiner Mitglieder konnte dieser Föderationsrat die Interessen der Regionen optimal vertreten. Im Grunde genommen war er nach dem Präsidenten das zweitwichtigste Organ der Staatsmacht. Und die Senatoren haben nicht immer der Politik des Präsidenten zugestimmt.

Die Änderungen an den Prinzipien der Bildung des Föderationsrates waren der erste und entscheidende Schritt von Präsident Putin auf dem Wege zur Reform der Staatsgewalt in Rußland. Putins erster im Parlament eingebrachter Gesetzentwurf war das Gesetz über die Reform der Bildung des Föderationsrates. Und die Staatsduma hat diesen Entwurf praktisch unverändert angenommen. Nach diesem Gesetz verloren die Führer der Regionen ihr Recht auf Mitgliedschaft in der Oberen Kammer. Sie mußten ihre Plätze an von ihnen entsandte Vertreter übergeben, die in Moskau ständig und auf beruflicher Basis arbeiten.

Das einzige Ziel, das der Kreml mit seinem Vorschlag zur Erneuerung des Föderationsrates verfolgte, war, den Einfluß der regionalen Eliten zu schmälern und den Arbeitseifer der Gouverneure auf die Lösung ausschließlich regionaler Probleme zu lenken.

Von Anfang an war der Föderationsrat als Kammer der Regionen geplant. Aber nach der Änderung der Prinzipien der Zusammensetzung des Föderationsrates hat dieser Aspekt seine Aktualität verloren. Fast siebzig der 178 Mitglieder der Oberen Kammer sind in Moskau gemeldet. Die meisten von ihnen waren in der Region, die sie in den Föderationsrat delegiert hat, nur ein einziges Mal, und zwar, als sie für den Posten des Senatoren benannt wurden. Viele von ihnen wurden auf Empfehlung des Kreml entsandt, woraus die Administration des Präsidenten kein Geheimnis macht.

Die neuen Mitglieder haben recht unterschiedliche Vergangenheiten. Unter ihnen finden sich sowohl politisch "Langlebige" - zu nennen wären Gennadi Burbulis und Ramasan Abdulatipow, die zu Beginn der Jelzinära mächtig waren -, als auch echte Neulinge wie Sergej Mironow, der neue Vorsitzende der Kammer und einstige Mitstreiter von Wladimir Putin in Petersburg.

Derzeit befindet sich der Föderationsrat noch in der Entstehungsphase, aber sein Verhältnis zur Staatsduma hat sich schon ernsthaft zugespitzt. Der Föderationsrat hat den Wunsch geäußert, Gesetzentwürfe in Zusammenarbeit mit der Duma zu entwickeln. Dabei hat der Rat an sein Verfassungsrecht erinnert, Gesetze ablehnen zu können.

Diesen Gedanken hat aber der Kreml dem Föderationsrat suggeriert. Schon am 3. Februar 2001 hat auf Anregung der Präsidialadministration die erste gemeinsame Sitzung der Oberen und Unteren Kammer der Föderalen Versammlung stattgefunden. Den Präsidien beider Kammern wurde vorgeschlagen, einen gemeinsamen Zeitplan für die Erarbeitung von Gesetzentwürfen vorzulegen. Damals haben jedoch die Interessen der Gouverneure nicht mit denen des Kreml übereingestimmt.

Der neue Föderationsrat hat den Gedanken einer Zusammenarbeit an Gesetzentwürfen wieder aufgegriffen. Die Senatoren schlugen vor, daß der stellvertretende Vorsitzende der Oberen Kammer das Recht haben soll, an allen Sitzungen der Duma teilzunehmen, so daß er als Mittler zwischen beiden Kammern wirken könne. Es wurde zudem vorgeschlagen, das Recht des Föderationsrates auf Gesetzesinitiative zu erweitern und Senatoren bei der Beratung von Gesetzentwürfen in der Duma zuzulassen.

Die Staatsduma hat diese Vorschläge mit Vorbehalten, um nicht zu sagen negativ aufgenommen. Das Präsidium der Duma hat dann aber vorgeschlagen, den stellvertretenden Dumavorsitzenden Wladimir Schirinowski als Vertreter der Duma im Föderationsrat zu bestimmen, worauf die Obere Kammer ähnlich ablehnend reagierte. Aus der Oberen Kammer verlautete, man werde kein "Sodom und Gomorrha" im Föderationsrat zulassen.

Daraufhin mischte sich Präsident Putin ein. Er lud Mironow zum traditionellen Treffen mit den Vorsitzenden der Dumafraktionen und der Abgeordnetengruppe im Kreml ein. Damit vermittelte Putin der Duma den neuen Platz des Föderationsrates in der Hierarchie der Staatsgewalt. Kurz darauf beschloß der Dumarat, die stellvertretende Dumavorsitzende Ljubow Sliska, Mitglied der Fraktion der "Einheit", als Vertreterin in den Föderationsrat zu delegieren. Damit wurde einmal mehr deutlich, daß das Verhältnis zwischen den Kammern vom Willen des Kreml abhängt.

Fazit: Mit der neuen Form der Bildung des Föderationsrates hat der Präsident auf jeden Fall die Gefahr unkontrollierter Schritte der Duma gebannt.

Zudem sind die neuen Mitglieder des Föderationsrates nur wenig von den Regionen, dafür aber im höchsten Grade vom Kreml abhängig. Denn die Gouverneure können nur mit wenigen Instrumenten operieren, um ihre Vertreter zu beeinflussen. Zwar hat der Führer eines Föderationssubjektes das Recht, seinen entsandten Vertreter im Föderationsrat abzuberufen, aber das Verfahren ist alles andere als einfach. Denn die Initiative muß die Zustimmung einer Zweidrittelmehrheit im Parlament des Subjektes erhalten. Aber längst nicht alle Gouverneure kontrollieren heute ihre Parlamente. Zudem kann die Abberufung des entsandten Vertreters aus dem heute als präsidententreu zu bezeichnenden Föderationsrat zu Konflikten mit dem Kreml führen.

Auch kann man sicher nicht solche Winkelzüge ausschließen, daß ein Senator, der politisch an Gewicht gewonnen hat, selbst Anspruch auf das Gouverneursamt in "seiner" Region erhebt. Diese Disposition ist für den Kreml von Vorteil, denn im voraus kann er potentielle Nachfolger ihm ungenehmer Gouverneure in Betracht ziehen.

Allerdings müßte dann der Föderationsrat zu einem echten Organ werden. Bislang wird er eher als Karikatur einer Oberen Kammer wahrgenommen.

Bis jetzt hat die Frage nach dem richtigen Platz und der richtigen Rolle des Föderationsrates noch keine politische und rechtliche Lösung gefunden. Derzeit befindet man sich in einem Zwischenstadium.

Mit der Annahme der neuen Geschäftsordnung hat der Föderationsrat sein Arbeitsgebiet definiert. Die Kammer arbeitet auf einer gesetzlichen Grundbasis, aber ihr fehlen die entsprechenden Vollmachten. Die Funktionen der Oberen Kammer sind durch die Verfassung begrenzt.

Um aber in Rußland die Existenz eines echten Zweikammernparlaments zu ermöglichen, müßten die Funktionen der beiden Kammern deutlich bestimmt werden, unter anderem auch durch Verfassungsänderungen. Es ist sicher nicht nötig, dies im Schnellverfahren zu tun. Man muß sehen, wie sich die "Initiative" auf die Aktivität des Föderationsrates bei der Gesetzesentwicklung auswirkt. Stellt sich heraus, daß die Haltung der Senatoren keinen Einfluß auf den Gesetzgebungsprozeß hat, kann dies als Anlaß für eine ernsthafte und gründliche Untersuchung dienen, um die Frage, ob Rußland überhaupt ein Zweikammerparlament braucht, zu beantworten.
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Nimmt Aserbaidschan den zentralasiatischen Weg?

von
Leila Mamedowa, Journalistin, Baku


Der aserbaidschanische Präsident Heidar Alijew hielt sich zur medizinischen Behandlung in den USA auf, und im Lande entbrannte eine heftige Diskussion über die Verlängerung der Amtszeit des Präsidenten von derzeit fünf auf sieben Jahre. Besser gesagt es wurde eine künstliche Diskussion entfacht, als Abgeordnete der Präsidentenpartei "Neues Aserbaidschan" den Vorschlag der Amtszeitverlängerung im Parlament einbrachten. Diesseits und jenseits des Kaspischen Meeres also die gleiche Entwicklung hin zur "Präsidentschaft auf Lebenszeit" - so möchte man seufzen. Wie schon im Falle Nijasows, Karimows und Nasarbajews wurde auch in Aserbaidschan das abgenutzte "Stabilitätsargument" vorgeschoben, um den Antrag zu begründen.

Der Antrag kam allerdings, so scheint es, zur Unzeit. Alijew - 80jährig und mit seinen ernsten Herzproblemen nur bedingt als starke Führungsfigur für die trotz allen Ölreichtums krisengeschüttelte Kaukasusrepublik zu bezeichnen - erklärte auf dem Davos-Forum in New York, daß er keinerlei Notwendigkeit für die Verlängerung der präsidialen Amtszeit sehe. Was dann auch flugs von seinen Getreuen, darunter dem Vorsitzenden des Parlaments Murtus Alasgerow, auf der nächsten Parlamentssitzung mit eben diesen Worten wiederholt wurde.

Man kann die losgetretene Diskussion als Winkelzüge in zwei Richtungen betrachten: Präsident Alijew selbst hat diesen Gedanken vor seiner Abreise in die USA initiiert, um die öffentliche Meinung zu testen. Dafür spricht, daß eine solche Initiative im straff geführten Aserbaidschan wohl kaum ohne Absprache mit dem Präsidenten selbst ergriffen worden wäre. Andererseits scheint es in sich wenig logisch zu sein. Denn der altgediente Alijew hatte auf dem letzten Parteitag seiner Hauspartei noch erklärt, er wolle bei der nächsten Präsidentschaftswahl im Jahre 2003 erneut zur Wahl antreten, auch wenn sein Sohn Ilham Alijew bereits jetzt als Nachfolger aufgebaut wird.

Steckt Alijew nicht hinter der Initiative, dann kam sie von den Parteifunktionären selbst. Ein Teil von ihnen ist mit dem Präsidenten und Parteivorsitzenden groß geworden, und es sind gerade diejenigen, die mächtig, einflußreich und vor allem reich geworden sind unter der erfahrenen Hand des alten Sowjetfunktionärs. Nicht alle werden mit der Absicht Alijews einverstanden sein, den Sohn gleichsam als dynastischen Nachfolger aufzubauen. Garantiert ihnen der Vater Stabilität und damit auch den Genuß ihres unter seinem Regime angehäuften Reichtums, wird der Sohn fraglos mehr Schwierigkeiten haben, sich durchzusetzen, zumal er sich - was schwerer wiegt - altersbedingt neue Bündnispartner in den Machtstrukturen suchen wird. Die Erklärung für die Eingabe im Parlament läge dann allein in dem Versuch, den Status quo zu verlängern - ohne Wahlen, ohne Unsicherheiten. Denn für viele scheint nicht ausgemacht - trotz gegenteiliger Erklärungen -, daß Alijew tatsächlich erneut antreten wird, gerade auch, weil die angelaufene Wahlkampagne auf Ilham Alijew ausgerichtet ist.

Aber es scheint nicht nur um die Partei der Macht zu gehen. Seit Ende Februar erschüttern Protest- und Demonstrationswellen Aserbaidschan. Die Meinungen, inwieweit diese den inneren Zustand der aserbaidschanischen Gesellschaft widerspiegeln, gehen auseinander. Die Umfragen belegen zwar den unbedingten Willen der Bevölkerung nach Stabilität im Lande, die eben mit Alijew verbunden wird. Stabilität fordert die Mehrheit, allerdings auch eine gewisse wirtschaftliche Sicherheit. Und am Reichtum des Landes hat die Masse der Bevölkerung keinen Anteil, sie trägt nur die negativen Folgen der wirtschaftlichen Krisenerscheinungen, eines verlorenen Krieges und eines immensen und ungelösten Flüchtlingsproblems. Das Aserbaidschan von Heidar Alijew hat sich zwecks Investitionen in die Erdölförderung weit geöffnet. Der Westen ist am Kaspischen Meer präsent, auch wenn die Investoren der inneren Entwicklung des Landes wenig Aufmerksamkeit schenken. Die Protestwellen - in Baku, Sumgait, selbst in Nachitschewan (Heimat des Alijew-Klans) - zeigen, die Unruhe in der Gesellschaft. Die Protestierenden rufen nicht nur nach dem Rücktritt des alternden Präsidenten, sie stellen Forderungen nach sozialer Sicherheit und nach einem höheren Lebensstandard.

Alijew steht für politische Stabilität im Lande, und seine Verdienste als langgedienter Politiker und erfahrener Staatsmann mag man ihm nicht absprechen. Jetzt aber scheinen die Forderungen nach weit mehr als politischer Stabilität zu gehen. Die Rufe nach "sauberem Trinkwasser, Arbeit und Strom" haben auch schon andere Regime ins Wanken gebracht.

Wir werden sehen, ob die Amtszeitverlängerung tatsächlich vom Tisch ist. Noch soll 2003 gewählt werden.
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Rußlands Einwohnerzahl sinkt dramatisch

Das russische Staatliche Komitee für Statistik hat seinen Bericht zur demographischen Entwicklung bis 2016 vorgelegt. Die Prognose wurde in drei mögliche Entwicklungsszenarien gegliedert: günstig, durchschnittlich und negativ. Entwickelt sich die Situation in Rußland günstig, wird die Bevölkerungszahl bis zum Jahre 2016 nur auf 138 Millionen Menschen sinken, im Falle einer durchschnittlichen Entwicklung werden 2016 noch 134 Millionen Einwohner und im Falle einer negativen Entwicklung sogar nur 128 Millionen Einwohner gezählt werden. Im letzteren Falle gäbe es einen Rückgang um 13,5 Prozent. Die Statistiker prognostizierten zugleich, daß es nur in elf Föderationssubjekten eine befriedigende demographische Entwicklung geben werde. Die höchsten Wachstumsraten werden in den Kaukasusrepubliken Tschetschenien, Dagestan und Inguschetien sowie in der Republik Tuwa verzeichnet werden. Den stärksten Bevölkerungsrückgang wird es in Moskau und Petersburg sowie in den Gebieten Iwanowo, Rjasan, Nowgorod und Smolensk geben.
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Volkszählung in Georgien

Im Januar wurde in Georgien die erste Volkszählung seit der letzten sowjetischen Volkszählung im Dezember 1989 durchgeführt. Nach den vorläufigen Ergebnissen liegt die Bevölkerungszahl heute bei 4,4 Millionen Menschen, so der Vorsitzende des Departements für Statistik Temur Beridse. Den Rückgang der Bevölkerung um rund eine Million Menschen gegenüber 1989 erklären Fachleute mit der angespannten wirtschaftlichen und sozialen Situation, die die Menschen dazu zwinge, Arbeit und Wohnung in anderen Ländern zu suchen. In Abchasien und Südossetien wurde die Zählung nicht durchgeführt. Die Endergebnisse sollen Ende des Jahres vorliegen.
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