Wostok Newsletter 2/2000 (Auszüge)

Ineffiziente Geldpolitik in Belarus
Rußland - Reform des Föderationsaufbaus
Hilferuf des Bolschoi
Weltraumhotel "Mir"?

Ineffiziente Geldpolitik in Belarus
von
Borislaw Gussinski, Journalist, Minsk


Am 1. Januar 2000 wurde in Belarus eine auf zwei Jahre angelegte Denomination des belarussischen Rubels durchgeführt. Der Rubel wurde auf ein Tausendstel denominiert. Dies bedeutet, daß auf allen Preislisten, Preisen und Spareinlagen drei Nullen gestrichen wurden. Es wurden neue Geldscheine mit einem Nennwert von ein bis 5000 Rubel in Umlauf gebracht.

Offiziell wurde diese Maßnahme damit begründet, daß das Rechnen mit kleineren Zahlen komfortabler sei und der belarussische Rubel gefestigt werde.

Es stellt sich allerdings die Frage, ob die anfallenden Kosten in einem angemessenen Verhältnis zum Nutzen stehen: Wird der belarussische Rubel als nationales Zahlungsmittel dadurch tatsächlich stabilisiert?

Vor der Denomination waren Banknoten in einem Gesamtwert von etwa 72 Billionen Rubel im Umlauf. Das sind mindestens hundert Waggons Geldscheine. Die gleiche Menge Geldscheine mußte im Zuge der Denomination gedruckt werden. Die belarussischen Rubel wurden übrigens in Rußland gedruckt. Die Druckkosten werden auf etwa zwanzig Millionen Dollar geschätzt. Tatsächlich ist die Denomination im Hinblick auf die Stabilisierung des belarussischen Rubels völlig nutzlos. Denn eine stabile Währung ist bekanntlich nicht von der Geldeinheit, sondern von der aktuellen Geld- und Kreditpolitik abhängig.

Die Nationalbank, die durch ihre Geldemission in den letzten Jahren den belarussischen Rubel als Zahlungsmittel praktisch völlig entwertet hat, will nun neue Maßnahmen zur Stabilisierung des Rubels treffen. Diesmal basieren ihre Pläne auf dem Gedanken, den Rubel durch Gold- und Devisenbestände zu sichern. Diese sollen sowohl durch Bemühungen im Inland als auch durch Kredite der internationalen Finanzorganisationen aufgefüllt werden. Es ist geplant, Schuldverschreibungen in Devisen für natürliche Personen zu plazieren und den Unternehmen Devisen abzukaufen. Einige belarussische Unternehmen sollen an ausländische Investoren versteigert werden. Der Nachteil dieser Pläne ist, daß die Stabilität einer Nationalwährung in der gesamten zivilisierten Welt nicht durch Gold- und Devisenreserven, sondern vor allem durch die Übereinstimmung der Geldmenge mit dem Geldbedarf für die Wirtschaftstätigkeit gesichert wird, also durch die Fähigkeit, die Bewegung realer Waren und Dienstleistungen zu bedienen. Die Gold- und Devisenbestände werden lediglich für konjunkturbedingte Schwankungen auf dem Geldmarkt genutzt, das heißt, um temporäre Nachfrage-Angebot-Schwankungen auf dem Devisenmarkt abzufangen. In Belarus hingegen werden Devisen verkauft, um die sogenannten kritischen Importe zu sichern.

Die Stabilität der Nationalwährung hängt zudem von der Außenhandelsbilanz des Landes ab, das heißt, von seiner Fähigkeit, ins Ausland mindestens genau so viel zu verkaufen, wie dort eingekauft wird. Eine ausgeglichene Handelsbilanz hängt also in erster Linie von der Effizienz der nationalen Produktion ab. Die Außenhandelsbilanz der Republik Belarus weist jedoch in den letzten Jahren einen negativen Saldo auf.

Was nun den Verkauf belarussischer Unternehmen an ausländische Investoren betrifft, lassen sich sogar die besten und wirtschaftlich effizient arbeitenden kaum verkaufen. Denn westliche Investoren sind in der Mehrheit sehr vorsichtig und ziehen die politischen Risiken stärker ins Kalkül als die wirtschaftlichen. In politischer Hinsicht ist Belarus für Auslandsinvestoren absolut unattraktiv.

Auch Kredite des IWF und der Weltbank sind für Belarus heute Zukunftsmusik: Zu viel Sozialismus gibt es noch in der Wirtschaftspolitik. Für die internationalen Kreditinstitutionen ist dies das Merkmal einer ineffizienten Wirtschaft, was die Tilgung der Kredite in Frage stellt.

Abschließend muß man feststellen, daß auch die Denominationsfrist sehr ungünstig definiert wurde. Im labilen Finanzsystem des Landes wird der Rubel genau so schnell wie vorher abgewertet. Das Abwertungstempo wird sich voraussichtlich sogar noch beschleunigen, da undurchdachte Geldreformen in der Regel mit einem "psychologischen" Preiswachstum und einer fieberhaften Devisennachfrage einhergehen.

Belarussische Wirtschaftswissenschaftler rechnen in diesem Jahr mit einer Inflationsrate von 280 bis 300 Prozent.

Sollten die Urheber der Denomination allerdings glauben, mit dieser Maßnahme den belarussischen Rubel an den russischen Rubel zwecks ihrer anstehenden Verschmelzung anzugleichen, so haben sie auch dieses Ziel verfehlt. Der Unterschied im realen Wert der beiden Währungen liegt zwischen 200 und 300 Prozent, und er wird sich bis zur realen Vereinigung der Geldsysteme noch vervielfachen. Denn man darf nicht vergessen, daß diese Vereinigung nicht durch den Geldmaßstab, sondern durch die unterschiedlichen Methoden und Zielsetzungen in der Geldpolitik der beiden Länder behindert wird.

Die politische und wirtschaftliche Situation in Belarus läßt sich somit mit einem Wort charakterisieren: Sackgasse. Eine Sackgasse nicht nur für die belarussischen Bürger, sondern auch für den illegitimen Präsidenten Alexander Lukaschenko.
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Rußland - Reform des Föderationsaufbaus

von
Galina Tschinarichina, Politologin, Moskau


Schon länger wird auf die Notwendigkeit hingewiesen, die Föderationsbeziehungen in Rußland zu reformieren. In letzter Zeit werden diese Diskussionen nicht nur häufiger geführt, sondern sie sind auch konkreter geworden. Dabei werden diese Überlegungen nicht nur von politischen Beobachtern, sondern vornehmlich von hochrangigen Staatsbeamten geäußert. Jewgeni Primakow sprach hauptsächlich selbst zu diesem Thema. Wladimir Putin zieht es im Vorfeld seiner Präsidentschaft vor, auf die regionalen Führer zu hören.

Als erster äußerte sich lautstark Aman Tulejew, Gouverneur des Gebiets Kemerowo und Präsidentschaftskandidat, also ein Rivale Putins bei den anstehenden Wahlen. Dann legten drei Gouverneure - Michail Prussak (Gebiet Nowgorod), Jewgeni Sawtschenko (Gebiet Belgorod) und Oleg Bogomolow (Gebiet Kurgan) - einen Reformplan vor. Als Hauptinitiator gilt Prussak, ein besonders prägnanter und als reformfreudig bekannter Gouverneur. Stets wird er von den unterschiedlichsten Präsidentschaftskandidaten als ihr möglicher Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten gehandelt.

Für Reformen in den Föderationsbeziehungen sprach sich zudem der Gouverneur des Gebiets Swerdlowsk Eduard Rossel aus.

Die Präsidenten der russischen Teilrepubliken erklärten ebenfalls, eine gemeinsame Position unterbreiten zu wollen.

Es wird eigentlich nichts Neues vorgeschlagen. Abgesehen von der stets aktuellen Frage der Umverteilung der Steuereinnahmen zwischen Zentrale und Regionen werden nur zwei mögliche Neuerungen diskutiert. Die erste steht übrigens seit der Frühphase der Föderalisierung auf der Tagesordnung, die zweite seitdem die Gouverneure gewählt werden.

Die erste betrifft die Verschmelzung der Föderationssubjekte. Diesbezüglich gibt es unterschiedliche Vorschläge. Tulejew schlägt vor, die Zahl der Föderationssubjekte von 89 auf 35 zu verringern, indem benachbarte, wirtschaftlich besonders eng verknüpfte Regionen zusammengelegt werden. Laut Rossel soll Moskau künftig nicht einige Dutzend, sondern nur noch acht Einheiten verwalten. Zu diesem Zweck will er das Amt des Generalgouverneurs wieder zu neuem Leben erwecken. Dieses Amt gab es in Rußland vor der Revolution. Den Generalgouverneuren will er die bestehenden acht regions-übergreifenden Assoziationen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit unterordnen. Die Gruppe von Gouverneuren um Michail Prussak sieht ebenfalls die Vergrößerung als eine Perspektive und fordert, die Teilrepubliken gegenwärtig nicht in diesen Prozeß einzubeziehen.

Im Moment ist das Verfahren, zur Zusammenlegung der Regionen nicht sehr wichtig. Dieses Problem ist ohnehin nicht auf einen Schlag zu lösen. Die Umwandlung soll allenfalls langfristig erfolgen. Von Relevanz ist im Moment vielmehr, daß dieses Thema wieder ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt ist und zwar nicht von Moskau, sondern von den Regionen selbst, nämlich initiiert von besonders aktiven regionalen Führern. Sie können für den Kreml, wenn dieser tatsächlich beschließen sollte, etwas verändern zu wollen, eine solide Unterstützung sein.

Die zweite "heiße Frage" ist die Aufhebung der Wählbarkeit der Gouverneure. Wer sich für diesen Gedanken einsetzt, erklärt, daß dies das einzige Mittel sei, die Exekutive zu festigen und die Lenkbarkeit des Staates wiederherzustellen. Die Befürworter dieses Gedankens schlagen vor, nicht die Gouverneure, sondern die Mitglieder des Föderationsrates direkt zu wählen. Heute sind die Mitglieder des Föderationsrates von Amts wegen die direkt gewählten Gouverneure und die Leiter der regionalen Gesetzgebenden Versammlungen. Ob dieser Gedanke umgesetzt wird beziehungsweise mit welchen Verfahren, wird sich vielleicht schon in nächster Zeit - bei den Regionalwahlen - deutlicher abzeichnen.

Wenn man im Rahmen der gültigen Verfassung bleibt, ist es allerdings schwierig, diese Veränderungen durchzuführen, da sie Änderungen an der Verfassung erfordern. Die dafür vorgesehene Prozedur ist lang und kompliziert.

Daher wird vorgeschlagen - man höre und staune -, eine neue Verfassung zu verabschieden. Zu diesem Zweck ist wieder eine Verfassungsversammlung einzuberufen (es sei auf die Verfassungsversammlung Anfang der 90er Jahre hingewiesen, die mehrfach in der Sackgasse landete und letztendlich die heute gültige "Jelzinsche" Verfassung erarbeitet hat).

Andere Maßnahmen, die im Rahmen der Reformen des Verwaltungs- und Staatsaufbaus vorgeschlagen werden, sind von gleicher Radikalität. Wenn sie umgesetzt werden, werden sie natürlich die angestrebte Wiederherstellung der ausführenden Vertikale, genauer aber der Macht Moskaus, fördern.

Zu diesen Maßnahmen gehört die Verlängerung der Amtszeit des Präsidenten auf sieben Jahre. Wladimir Putin äußert sich bereits positiv zu dieser Anregung, räumt allerdings ein, daß sie bis zum Jahr 2004 zu vertagen ist.

In diesen Bereich gehört auch der Vorschlag, die Staatsduma künftig nur noch per Mehrheitswahlrecht zu wählen und gänzlich auf das Verhältniswahlrecht zu verzichten. Dieser Vorschlag wird vor allem von den regionalen Führern unterstützt. Denn werden die Wahlen nur nach dem Mehrheitswahlrecht durchgeführt, bekommen die regionalen Führer mehr Möglichkeiten, um Zusammensetzung und Tätigkeit des föderalen Parlaments zu beeinflussen. Wollen sie dadurch vielleicht den drohenden Verlust ihrer Freiheiten, die sie bisher durch ihre Wählbarkeit genießen, ausgleichen? Oder geht es schon nicht mehr um einen Ausgleich? Die Unvermeidlichkeit durchgreifender Maßnahmen Moskaus ist für die "Regionalen" vermutlich schon klar, und sie versuchen nur noch, sich irgendwie anzupassen. Streben sie also vielleicht nur noch einen maximalen Vorteil angesichts der sich abzeichnenden Realitäten an?

Als solche Vorteile sind auch die Vorschläge im Hinblick auf die Selbstverwaltungsreformen zu betrachten. Sie werden besonders verschwommen formuliert. Der Kern läßt sich allerdings darauf reduzieren, daß es Selbstverwaltung nur noch auf der niedrigsten Ebene - Wohnviertel und Straßen in den Städten, Dörfer und Siedlungen - geben soll. Alle anderen Ebenen sollen staatlich geregelt werden, ernannte Leiter haben und andere entsprechende Züge aufweisen.

Kurzum, es gibt Berge von Plänen. Welcher Teil davon und vor allem mit welchen Mitteln umgesetzt wird, ist im Moment nicht absehbar. Es besteht allerdings der nachhaltige Eindruck, daß die Demokratie in der russischen Politik zurückgeschraubt wird.
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Hilferuf des Bolschoi

von
Pjotr Borowoi, Moskau


Das Moskauer Bolschoi hat weltweit alle Kulturinstitutionen um Hilfe gebeten. Schon seit Jahren sind am Gebäude des Theaters notwendige Reparaturen dringend erforderlich. Die Reparaturen wurden wegen der leeren Kassen immer wieder hinausgeschoben. In einem am 2. März veröffentlichten Schreiben appelliert jetzt Bolschoi-Direktor Wladimir Wassiljew an die Kulturschaffenden in aller Welt, das Moskauer Theater mit einem "internationalen Tag der Solidarität mit dem Bolschoi" finanziell zu unterstützen.

Theater, Konzerthallen, Kinos und Kulturzentren werden gebeten, am 28. März, dem 223. Geburtstag des Bolschoi, einen Teil ihrer Tageseinnahmen zu spenden und auf ein Sonderkonto der UNESCO zu überweisen. Die Sanierung des Bolschoi-Theaters wird schon seit einiger Zeit in Zusammenarbeit mit der UNESCO vorbereitet.

Der Appell des künstlerischen Direktors Wassiljew richtet sich aber auch an einzelne Künstler. So heißt es: "Ich appelliere an das Gewissen aller Kollegen unseres Standes, deren heilige Aufgabe der Dienst am Guten und an der Schönheit sowie die Liebe und Pflege der Tradition unserer Vorgänger weltweit ist, die alle zum gemeinsamen Weltkulturerbe beigetragen haben."

Die Kosten für die Sanierung und Modernisierung des Theaters werden nach Schätzung einer staatlichen Expertenkommission um die 400 Millionen DM verschlingen. Ein Teil dieser Summe soll aus dem russischen Staatshaushalt bereitgestellt werden. Neben der vollständigen Renovierung wird auch angestrebt, das ursprüngliche Aussehen des Gebäudes aus dem Jahr 1825 wieder herzustellen.
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Weltraumhotel "Mir"?

(pb)

Eine Gruppe internationaler Investoren hat einen Vertrag im Wert von zwanzig Millionen Dollar unterzeichnet, mit dem sie bei Rußland die Weltraumstation "Mir" mietet. Entsprechend dieses Vertrages soll die überholte Raumstation in ein Weltraumhotel, ein internationales Forschungslabor oder in Filmstudios verwandelt werden.

Die Raumstation "Mir" war eigentlich auf einen Einsatz von fünf Jahren ausgelegt, kreist jedoch bereits seit vierzehn Jahren in der Umlaufbahn. Die größten Probleme bereiten Metallermüdung, Korrosion und chemische Verseuchung. Laut Spezialisten wird ihre weitere Instandhaltung 100 Millionen Dollar im Jahr kosten. Die "Mir" sollte eigentlich im August 2000 im Pazifik versenkt werden.

Das Schicksal der Station wurde jedoch durch die Initiative des Millionärs und Unternehmers Walt Anderson aus den USA verändert. Er zahlte im voraus sieben Millionen Dollar für die ersten Instandhaltungsarbeiten an der Station. Anschließend brachte Anderson eine Gruppe von Investoren, inklusive seines eigenen Unternehmens Gold Apple, zusammen, die den Konzern MirCorp mit Sitz in Amsterdam gegründet hat. Dieser Konzern will 200 Millionen Dollar für die Überholung der Station aufwenden. Er kaufte diesbezüglich die Rechte bei der russischen Weltraumagentur Energija, die ebenfalls ein Partner im Großkonzern ist.
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