Wostok Newsletter 01/2001

Gongadse-Gate wird zum Kutschma-Gate
Der Staatsrat - Organ zur Ruhigstellung der Gouverneure?
Die Steuerpolizei - Rußlands jüngster Geheimdienst (Teil II)
Verwaltungsgerichte - Neuerung im russischen Gerichtssystem
Kampf um die Deregulierung der russischen Wirtschaft
KP-Parteitag bestätigt Sjuganow
Die GUS vor dem Rubikon
Turkmenistan fordert Begleichung der Schulden
Faschisten in Stalingrad
Präsidentschaftswahl in Moldowa: Es kam, wie es kommen mußte
und viele Kurzbeiträge und Informationen, z.B.
Parteireform in Rußland
Privateigentum an Grund und Boden in Kyrgysstan

Auszüge:

Gongadse-Gate wird zum Kutschma-Gate
von
Alexander Lewschin, Journalist, Kiew


Georgi Gongadse, 31jähriger oppositioneller Journalist georgischer Herkunft und Gründer der "Ukrainska Prawda" (www. pravda/com.ua), einer Internetseite, die angebliche Schattengeschäfte unter Beteiligung höherer Beamter der herrschenden Elite veröffentlichte, verschwand am 16. September in Kiew. Er war auf dem Heimweg, zu seiner Frau und seinen dreijährigen Zwillingstöchtern.

Die ukrainischen Journalisten waren so besorgt über das Verschwinden ihres Kollegen, daß sie sofort eine Gongadse-Kampagne initiierten und von den Sicherheitsbehörden forderten, alle nur möglichen Maßnahmen zu ergreifen, um den verschwundenen Kollegen zu finden.

Bei einem Treffen mit Präsident Kutschma am 19. September wurde diesem eine von fünfzig Journalisten unterzeichnete Petition übergeben. Leonid Kutschma versprach, daß er die Angelegenheit unter seine persönliche Kontrolle stellen wolle. Als Teilnehmer dieses Treffens konnte ich beobachten, wie traurig und schwermütig der Präsident schien.

Der Oktober brachte keine Neuigkeiten in der Angelegenheit. Aber es heißt ja: "Keine Neuigkeiten sind gute Neuigkeiten." So nahmen es Gongadses Familie und Freunde.

Am 2. November wurde dann ein kopfloser Körper in dem kleinen Dorf Taraschtscha, 150 Kilometer südlich von Kiew gefunden. Das Dorf (übrigens der Wahlkreis des Vorsitzenden der Sozialisten und früheren Vorsitzenden der Werchowna Rada Olexander Moros) wurde zum Brennpunkt des nationalen Interesses, nachdem der nichtidentifizierte kopflose Körper mit dem verschwundenen Journalisten in Verbindung gebracht wurde.

Der Körper wurde in Anwesenheit des Generalstaatsanwaltes des Kiewer Gebiets Wladimir Babenko und des ukrainischen Chefs der Gerichtsmedizin Juri Schupok untersucht. Igor Worotinzew, Gerichtsmediziner von Taraschtscha, nahm eine vorläufige Autopsie vor. Worotinzew sagte zur Mitherausgeberin der "Ukrainska Prawda" Olena Pritula, daß er Spuren von Kartoffeln und Wassermelone im Magen der Leiche gefunden hätte. Genau dies hatte Georgi Gongadse am Tag seines Verschwindens gegessen. Worotinzew beschrieb auch den Schmuck, den der Tote trug beziehungsweise der nahe des Körpers gefunden worden war, darunter einen auffälligen Talisman: die Hälfte einer Münze als Medaillon an einer Kette. Nach Angaben von Pritula verschwanden bei den Journalisten Zweifel über die Identität des Körpers, als nach einer Röntgenaufnahme der Hand kleine Metallteilchen an der Stelle gefunden wurden, an der Gongadse im georgisch-abchasischen Krieg im Jahre 1993 von Schrapnellen verwundet worden war.

Dann passierten merkwürdige Dinge. Die Leiche blieb dreizehn Tage im Leichenschauhaus eines kleines Krankenhauses. Das Leichenschauhaus - dort gibt es nicht einmal eine Kühlanlage - ist in einem einstöckigen Steinhaus mit bemalten Fenstern und einer Holztür untergebracht. Es gab weder Personal noch wurde das Haus bewacht.

Der Körper verschwand am 16. November. Am nächsten Tag gaben die Kiewer Behörden bekannt, sie hätten die Leiche nach Kiew bringen lassen, um einige Tests zur Identifizierung durchzuführen, darunter eine DNA-Analyse. Erst drei Wochen später, am 11. Dezember, wurde Gongadses Mutter Blut für eine DNA-Analyse entnommen, nämlich nachdem sie die Generalstaatsanwaltschaft der Inaktivität beschuldigt und eine Klage vor Gericht angedroht hatte. Die Behörden informierten die Öffentlichkeit, daß an dem Körper elf Tests durchgeführt wurden - ohne Ergebnisse.

Ebenfalls am 16. November zitierte der stellvertretende Innenminister in der Obersten Rada die Ergebnisse aus Sicht der Pathologen. Diese waren zu dem Schluß gekommen, daß der kopflose Tote bereits ein Jahr tot sei. Man ging davon aus, daß es sich um einen 40jährigen und etwa 1,74 bis 1,77 Meter großen Mann handele. Gongadse war mindestens 1,80 Meter groß. "Ich betone die Tatsache, daß die Experten keine Anzeichen gefunden haben, daß dies der Körper Gongadses ist", so der stellvertretende Innenminister.

Bei einem Treffen mit Studenten des Instituts für internationale Beziehungen in Kiew wurde der Präsident mit den Worten "er, mehr als irgendjemand sonst" sei daran interessiert, den Fall des verschwundenen Journalisten zu einem Ende zu bringen.

Olexander Lawrinowitsch, Vorsitzender eines am 21. September von der Rada gebildeten Ausschusses zur Untersuchung des Gongadse-Falls, gab bekannt, daß der Innenminister, der Staatssicherheitsdienst (SBU) und das Büro des Generalstaatsanwaltes sich geweigert hätten, ihre Informationen ans Parlament weiterzugeben.

Nichts deutete auf irgendeine Sensation hin - bis zur Morgensitzung der Werchowna Rada am 28. November. An diesem Morgen löste Olexander Moros mit seiner Äußerung einen Skandal aus. Es gab keinen Fall in der nun neunjährigen Geschichte des Parlaments der Ukraine, daß jemand auf dem Podium den Präsidenten anklagte, ein Verbrechen in Auftrag gegeben zu haben. Moros sagte: "Leonid Kutschma, der Präsident der Ukraine, ist derjenige, der das Verschwinden des Journalisten Georgi Gongadse in Auftrag gegeben hat." Moros fuhr fort, daß Wolodimir Litwin, Chef der Präsidialadministration, "informiert" war, und daß das gesamte Szenario von Innenminister Juri Krawtschenko ausgearbeitet und durchgeführt worden sei.

Auf der Pressekonferenz nach dieser Rede spielte Moros eine Tonkassette (15 Minuten) ab. Bereits am 24. November hatte Moros eine Pressekonferenz in Budapest - hier tagte der Gipfel der Zentraleuropäischen Initiative - abgehalten und eröffnet, daß er im Besitz einer Audiokassette sei, die Kutschma mit dem Verschwinden Gongadses in Verbindung bringe. Moros sagte damals, daß er das Band bereits Mitte Oktober von einem verantwortlichen SBU-Offizier mit der Versicherung erhalten habe, daß Büros in der Präsidialadministration verwanzt seien.

Die niederländische Zeitung "De Volkskrant" berichtete darüber am 27. November, noch bevor überhaupt irgendjemand in der Ukraine etwas von diesem Skandal gehört hatte.

Die Bänder befanden sich bereits einige Wochen im Besitz der Zeitung bevor sie dann der Öffentlichkeit bekannt gemacht wurden. (Bis heute wurde das Band, das auf der Webseite des Volkskrant: www.volkskrant.com /real/buitenland/koetsjma.html abzurufen ist, bereits mehr als 170000 Mal angeklickt.) Das Band wurde von TNO, dem niederländischen Forschungsinstitut für Angewandte Wissenschaften, untersucht. TNO ist ein unabhängiges Institut und eines der bekanntesten in Fragen der Stimmenerkennung. Die Fachleute des TNO schlossen aus ihren Untersuchungen, daß die Aufzeichnung echt ist, daß es sich also nicht um Montagen handelt.

Und welche Reaktionen gab es in der Ukraine?

Wolodimir Litwin, der Chef der Präsidialverwaltung, zog gegen Moros vor Gericht, da seine Ehre und Würde verletzt seien. (33 ukrainische Griwna waren die symbolische moralische Kompensation.) Das Büro des Generalstaatsanwaltes brachte eine Untersuchung ins Rollen. Es lud den Präsidenten, Litwin, Krawtschenko und Moros als Hauptbeteiligte des Skandals vor.

Pjotr Simonenko, Vorsitzender der Kommunistischen Partei, berichtete am 6. Dezember, daß ihm am 11. November ein Informant ein Band angeboten hätte, auf dem der Auftrag, Gongadse zu kidnappen, festgehalten worden wäre. Die einzige Bedingung war, daß er es der Öffentlichkeit bekannt machen solle. Simonenko lehnte das Angebot mit der Begründung ab, daß die Kommunistische Partei schon zu oft mit Schwindel und Anspielungen zu tun gehabt hätte. Er sagte aber auch, daß er das Band angenommen hätte, wenn er hätte sicher sein können, daß es authentisch ist. Der Informant hatte ihm aber gesagt, daß das "technische Gutachten" noch nicht abgeschlossen sei. Simonenko fuhr fort, daß er sich nicht sicher sei, daß diese Menschen vom SBU waren. "Es waren Leute, die sich mit mir treffen wollten." Von Kutschma war acht Tage lang überhaupt nichts zu hören. In einer unangekündigten Rede im staatlichen Fernsehen spät am Abend des 6. Dezember klagte er "unbenannte Kräfte" an, die versuchten, das Land in ein Chaos zu stürzen. "Ein schmutziges und unehrliches Spiel wird gespielt. Bestimmte Politiker haben sich erlaubt, sich darin verwickeln zu lassen. Doch scheint es, daß das Szenario nicht von ihnen selbst geschrieben wurde", so der angespannt wirkende Kutschma vor blau-gelber Staatsflagge. "Wir müssen klar und offen sagen, daß hier eine bewußt provozierte und geplante Kampagne geführt wird, deren Ziel es ist, die Ukraine in den Augen der Welt als unzivilisiertes Land, als wilde und gottverlassene Gesellschaft darzustellen." Und der Präsident fuhr fort: "Sie, geschätzte Bürger, müssen wissen, daß hinter all dem die Bemühungen stehen, eine politische Krise heraufzubeschwören, das Land in vorgezogene Wahlen zu zwingen und eine neue Welle des Chaos auszulösen."

Kutschmas Wortwahl während dieser Rede suggerierte, daß er glaubte, daß Kräfte von außerhalb der Ukraine verantwortlich seien.

Der Leiter des Instituts für Politik Nikolai Tomenko erklärte, daß die Aufzeichnung die Situation im Lande nicht verschärfen, sondern im Gegenteil stabilisieren werde. Nach dem nationalen Referendum, das vor allem darauf abzielte, die Macht der Legislative zu schwächen, wird die Macht des Präsidenten in den Bereichen, in denen die Ergebnisse des Referendums implementiert werden, gestärkt. Jetzt aber, so Tomenko, hat der Gongadse-Skandal den "Spielstand" ausgeglichen und die Machtbalance wieder hergestellt.

Kutschma unterzeichnete einen Tag später einen Erlaß, mit dem Olexander Moros beginnend vom 7. Dezember und für drei Monate staatlichen Schutz erhält. Der Erlaß wurde unterzeichnet, nachdem sich Moros mit einer schriftlichen Forderung nach Staatsschutz an den staatlichen Sicherheitsdienst gewandt hatte. Dies gab der präsidiale Pressedienst bekannt.

Am 7. Dezember reisten drei Parlamentsabgeordnete, Mitglieder des Untersuchungsausschusses, zu einem nicht bezeichneten Ziel in Europa, um die Aussage eines früheren SBU-Offiziers aufzunehmen. Dieser hatte angegeben, für die Produktion und die Weiterleitung des Bandes mit den Gesprächen des Präsidenten verantwortlich zu sein.

Major Mikola Melnitschenko, der in der Präsidialgarde diente und sich derzeit im Ausland versteckt, machte seine Aussage, die von den drei Abgeordneten aufgezeichnet wurde.

Melnitschenko gab an, daß vermutlich Kutschma die Anweisung gab, kritische Medien und politische Gegner auszuschalten. Der Präsident und seine Helfer hätten demnach auch eine Gerichtsklage oder "andere Maßnahmen" diskutiert, um den Journalisten Gongadse zum Schweigen zu bringen.

In der Aufzeichnung, die Moros vorgelegt hatte (sie ist von schlechter Qualität), diskutiert ein Mann, der sich anhört wie Kutschma, ärgerlich den Fall des Journalisten. Es wird allerdings nicht klar, ob er auf eine Aktion drängt oder nur seinem Ärger Luft macht. Kritik wird auch an der BBC und am US-finanzierten Sender Radio Liberty geübt.

Als die drei Abgeordneten von Wien kommend im Kiewer Flughafen Borispol landeten, beschlagnahmten Zöllner die Videoaufzeichnung. Der Leiter der SBU Leonid Derkatsch erklärte später, daß die Zollbeamten nach geschmuggelten Diamanten gesucht hätten. Allerdings ist es seltsam, daß die "Diamanten-Aktion" just in dem Moment gestoppt wurde, als die Abgeordneten das Video wieder in Händen hielten.

Die drei Abgeordneten Sergej Golowati, ehemaliger Justizminister, Viktor Schuschkin, ehemaliger Generalstaatsanwalt, und Alexander Tsgir, ehemaliger KGB-SBU-Oberst, wurden von den Zollbeamten in Borispol in Gewahrsam genommen.

Nach Angaben der Abgeordneten wurden sie von den Zollbeamten durchsucht und das Video, das die Angaben des SBU-Offiziers über die Authentizität der Tonbandaufzeichnung enthielt, die den Präsidenten mit dem Verschwinden Gongadses in Verbindung brachte, wurde ihnen abgenommen. Der polnische Botschafter in der Ukraine war in der VIP-Halle des Flughafens anwesend und konnte die Prozedur beobachten.

Nach zwanzig Minuten wurde den Abgeordneten die Videokassette beschädigt zurückgegeben. "Dies war das erste Mal das Abgeordnete durchsucht wurden. Als sie uns das Band abnahmen, weigerten sie sich, unserer Forderung nachzukommen, den Zustand des Videos offiziell festzuhalten", so Golowati. "Wenn Melnitschenko, unseren Familien oder uns etwas zustößt, ist klar, daß dies die Rache des herrschenden Regimes ist", so Schuschkin.

Das Video wurde am 12. Dezember im Parlament gezeigt.

In der überfüllten Halle der Werchowna Rada wurde immer wieder applaudiert und man rief "Mörder", als Melnitschenko beschrieb, wie er Kutschma abgehört hatte, wobei er einen Digitalrecorder benutzte, den er unter einem Sofa im Büro des Präsidenten versteckt hatte. "Ich habe einen Treueeid auf die Ukraine und das ukrainische Volk geleistet", so Melnitschenko. "Ich habe diesen Schwur nicht gebrochen. Ich habe Kutschma keinen Eid geleistet, um seine kriminellen Weisungen auszuführen. Nachdem mir bewußt geworden war, wer uns regiert und was für Befehle gegeben werden, konnte ich nicht anders, als dies zu dokumentieren und es weiterzugeben, so daß die Bevölkerung erfahren kann, wer uns regiert." Die Ukraine hat die Möglichkeit, "sich selbst von dem ganzen Schmutz zu befreien und der Welt zu beweisen, daß wir fähig sind, die Demokratie und die Menschenrechte zu schützen und den Status der Ukraine als einen Rechtsstaat in der Praxis zu festigen", so Moros.

Eine Umfrage, die unter fünfzig Fachleuten einmal im Monat vom Kiewer Zentrum für politische Forschungen und Konfliktstudien durchgeführt wird, belegt, daß der Vorsitzende der Sozialistischen Partei Moros auf den fünften Platz gelangte - vom 28. Platz im Monat davor.

Zur gleichen Zeit glauben mehr als 88 Prozent der Befragten einer kürzlich durchgeführten Internetumfrage Olexander Moros. Mehr als fünfzig Prozent glauben der Umfrage zufolge Präsident Kutschma nicht.

Dem "guten alten Sowjetstil" folgend waren viele Medien und Behörden so schockiert über den Skandal, daß sie zu Beginn jede Information darüber blockierten. Der "Towarisch", die Zeitung der Sozialisten, die Auszüge der Bänder veröffentlichen wollte, wurde in der Druckerei gestoppt. Die präsidententreue Propaganda griff sogar auf eine beinahe vergessene sowjetische Methode zurück, indem sie Moros mit Hilfe "kollektiver Briefe" (der Helden der Ukraine, der Helden der Arbeit, des Kollektivs des Metallurgieunternehmens Illitsch in Mariupol usw.) angriff. Alles in allem ist die ukrainische Öffentlichkeit recht ruhig angesichts des Skandals. Sie ist wie stets mehr mit den hohen Lebensmittelpreisen beschäftigt als mit hochpolitischen Angelegenheiten.

Es ist klar, daß die Krise das Image der Ukraine in den Augen möglicher Investoren und der internationalen Finanzinstitutionen wie dem Internationalen Währungsfonds und der Weltbank zerstört. Aber unter den Fragen, die im nüchternen Denken eines Durchschnittsukrainers auftauchen, sind die wichtigsten: Wer verhalf Major Melnitschenko (ungesetzlich) einen Auslandspaß zu bekommen? Personen, die im Besitz von Staatsgeheimnissen sind, dürfen drei Jahre nach Niederlegung ihres Amtes nicht ins Ausland reisen. Wer zahlte für seinen Flug, seine jetzige Unterkunft, seine persönlichen Ausgaben? Nach Angaben der drei Parlamentarier wird Melnitschenko von einer Gruppe "ukrainischer Patrioten" bewacht und wechselt täglich seinen Aufenthaltsort. Wer kam zu Simonenko, um ihm das Band anzubieten, wenn Melnitschenko selbst es nicht gewesen sein will? Warum enthüllte Simonenko diese Episode? Und die wichtigste Frage von allen: Wer steckt hinter diesen Aufzeichnungen? Moskau? Washington? Die ukrainischen Oligarchen (oder ihre russischen Kollegen)?

Viele einheimische Beobachter halten es für sehr wahrscheinlich, daß es eine besondere Geheimabteilung gibt, die gegen politische Gegner vorgeht. Dies ist ungesetzlich und schon an sich ein Verbrechen. Aber das Herz aller kürzlichen Ereignisse ist Kutschmas ambitionierter Plan, mehr Macht zu erhalten. Alles dreht sich im Prinzip um das Aprilreferendum. Der von der Oligarchie (von Olexander Wolkows "Demokratischer Union insbesondere) kontrollierten Initiativgruppe war es gelungen, in kürzester Zeit vier Millionen Unterschriften für die Durchführung des Referendums zu sammeln. Im September dann hatte Gongadse auf seiner Webseite einen skandalösen Bericht aus Lwow veröffentlicht. Er befaßte sich mit offiziell registrierten und angeblich geprüften Listen, die Hunderte Namen wie Herr Arschloch und Frau Fotze aufwiesen. Diese Information wurde an das Büro des Generalstaatsanwaltes zur weiteren Untersuchung weitergeleitet.

Gongadse ist nur einige Tage nach der Veröffentlichung verschwunden. Die Herbstsitzung des Parlaments sollte eigentlich die Ergebnisse des Aprilreferendums "implementieren". Es ist klar, daß es derzeit für Kutschma unmöglich ist, die 300 Stimmen für die Änderungen an der Verfassung zu erhalten. Dies ist der wahre, im Hintergrund liegende Grund, daß die Antikutschmisten ein "Bandgate" in gerade dieser Zeit starteten. Andererseits hört man aus Kreisen der Kutschma-Unterstützer, daß sie den Präsidenten auffordern, den Notstand auszurufen.

In jedem Fall hat die Mehrheit im Parlament Sprünge bekommen, und eine neue Konfiguration in der Werchowna Rada entsteht auf Grundlage der heutigen Situation. Dieses Drama wird weitergehen, und die Ukraine wird zweifellos sehr ernste Probleme zu überwinden haben.
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Parteireform in Rußland

von
Pjotr Borowoi, Journalist, Moskau


Am 29. Dezember 2000 brachte Präsident Putin den Gesetzentwurf über die politischen Parteien in die Staatsduma ein. Dieser wird möglicherweise noch im Januar 2001 in erster Lesung behandelt werden. Der Gesetzentwurf läuft auf härtere Regeln für die Gründung und die Arbeit von Parteien hinaus. Der Vorsitzende der Zentralen Wahlkommission Alexander Weschnjakow wies darauf hin, daß viele Parteien lediglich auf dem Papier existieren, Eigenangaben über die zahlenmäßige Größe meistens unglaubwürdig sind und sich die finanziellen Operationen nicht kontrollieren lassen.

Nach den Vorgaben des Entwurfes soll eine föderale Partei in Zukunft mindestens 10000 Mitglieder und Gliederungen in mindestens der Hälfte der Föderationssubjekte haben. Jede Gliederung muß mindestens 100 Mitglieder haben.

Sollte das Gesetz angenommen werden, so dürfen künftig nur noch Parteien Kandidaten bei Wahlen aufstellen. Gesellschaftlichen Organisationen und Wahlvereinigungen wird dieses Recht entzogen. Andererseits kann einer Partei die Registrierung entzogen werden, wenn sie fünf Jahre lang nicht zu Wahlen angetreten ist. Das Verfahren der Aufhebung der Registrierung wird zugleich wesentlich vereinfacht.

Die Arbeit der Parteien wird nach dem Entwurf unter eine strenge Kontrolle gestellt. Auf Forderung des Justizministeriums, der Finanzbehörden oder der Zentralen Wahlkommission sollen die Parteien unverzüglich innerparteiliche Dokumente vorlegen sowie Rechenschaft über die Finanzquellen, die zahlenmäßige Größe ihrer Organisationen und deren Zusammensetzung ablegen müssen.

Der Gesetzentwurf verbietet außerdem, Parteien nach Geschlechts- oder religiösem Prinzip zu gründen. Diese Bestimmung trifft politische Organisationen wie die "Frauen Rußlands" oder den Bund der Moslems, möglicherweise aber auch christdemokratische Parteien.

Der Entwurf sieht auch vor, daß ein gewählter Präsident, der Mitglied einer Partei ist, für die Zeit seiner Präsidentschaft seine Parteimitgliedschaft ruhen lassen muß.

Die Gegner des Entwurf sehen darin einen Angriff auf das Mehrparteiensystem, weil die Gründung neuer Parteien stark erschwert und praktisch die derzeitige Parteienstruktur konserviert werde. Zahlreiche Parteien werden unter den neuen Verhältnissen nicht überleben können. Der Vorsitzende der Zentralen Wahlkommission meint, daß in ganz Rußland zehn bis dreißig Parteien übrig bleiben werden. Heute sind 186 Parteien und politische Vereinigungen registriert.

Der "Bund der rechten Kräfte" erhebt scharfe Einwände gegen das ebenfalls im Gesetzentwurf vorgesehene Prinzip der Finanzierung der Parteien aus dem Haushalt. Nach dem Entwurf sollen die Parteien Geld aus dem Haushalt proportional zu den bei den Wahlen erhaltenen Stimmen bekommen. Die Partei besteht darauf, daß Parteien keinesfalls Geld vom Staat erhalten dürften, weil sie dadurch in Abhängigkeit zum Staat geraten würden und dieser sie kontrollieren werde.

Auf Ablehnung der Fraktion "Regionen Rußlands" stößt die Auflösung der regionalen Parteien. Selbst der Führer der regierungsfreundlichen Fraktion "Einheit" Boris Gryslow gab an, daß es in dem Gesetzentwurf "Momente gebe, die einer Überarbeitung bedürfen." Da im großen und ganzen die Position der in der Duma vertretenen Parteien gestärkt wird, ist eine rasche Annahme des Gesetzentwurfes jedoch wahrscheinlich.
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Privateigentum an Grund und Boden in Kyrgysstan


Die Versammlung der Volksvertreter, das Unterhaus des kirgisischen Parlaments, hat am 12. Dezember 2000 ein Gesetz angenommen, mit dem das Privateigentum an Grund und Boden erlaubt wird.

Bereits 1998 war ein Referendum erfolgreich gewesen, mit dem privates Eigentum an Grund und Boden erlaubt werden sollte. Präsident Akajew setzte aber den Referendumsbeschluß nicht um beziehungsweise stoppte den Verkauf von Land per Dekret. Den Erlaß begründete er mit dem möglichen Ausverkauf an landwirtschaftlichen Flächen an reiche Kirgisen und Ausländer. Nach dem jetzt beschlossenen Gesetz haben nun die Bürger Kyrgysstans, die über achtzehn Jahre sind, und mindestens seit zwei Jahren in den ländlichen Regionen wohnen, das Recht, Boden zu erwerben. Juristische Personen und Ausländer haben weiterhin kein Recht, Land zu kaufen, dürfen Grund und Boden jedoch für fünfzig Jahre pachten. Gegenwärtig leben etwa 65 Prozent aller Kirgisen auf dem Land. Die Regierung erwartet jetzt einen Anstieg der Agrarproduktion von sieben bis acht Prozent. Die Änderungen werden zum 1. September 2001 in Kraft treten.
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