Wostok Newsletter 1/2000 (Auszüge)

Kritische Tage für den Parlamentarismus in der Ukraine
Der Sieger kriegt alle(s)!
MIR
Verfassungsdiskussion in Moldowa

Kritische Tage für den Parlamentarismus in der Ukraine
von
Alexander Lewschin, Journalist, Kiew


Die letzten Meinungsumfragen in allen 25 Regionen der Ukraine wurden Ende Dezember 1999 gemeinsam vom Ukrainischen Institut für Gesellschaftliche Studien und dem Zentrum "Gesellschaftliches Monitoring" durchgeführt. Sie legten die vollkommen wacklige Lage im politischen Leben des Landes offen. Die schlechtesten Werte erhielt das Parlament und dessen linker Vorsitzender Alexander Tkatschenko. 36,8 Prozent der Befragten gaben an, dem Parlament nicht zu trauen, 40,6 Prozent äußerten Mißtrauen gegenüber Tkatschenko. Das Parlament schien also angeschlagen, und der Präsident wollte seine Kraft ausprobieren.

Es gibt weltweit keinen Präsidenten (wahrscheinlich gab es nie einen und wird es auch nie einen geben), der nicht davon träumen würde, mehr Macht zu haben und weniger stark vom Parlament kontrolliert zu werden. Und Kutschma macht da keine Ausnahme.

Vor seiner Wiederwahl erklärte Kutschma, daß das Land ihn als einen "neuen" Präsidenten erleben würde, als einen Präsidenten, der von der Parlamentsmehrheit unterstützt wird. In der Rada wurde in der Tat zum ersten Mal eine solche Mehrheit zusammengebracht, als 268 von 450 Abgeordneten für Viktor Juschtschenko, den früheren Präsidenten der Nationalbank, votierten, den Kutschma als neuen Premierminister vorgeschlagen hatte. Zuvor hatte Valeri Pustowoitenko, ein Protegé Leonid Kutschmas, die Zustimmung des Parlaments nicht wiedererlangen können.

Der linke Flügel der Rada kritisierte diese Mehrheit als reine Gelegenheitsmehrheit, die nur für diese eine Entscheidung gefunden worden sei. Doch elf Fraktionen, angeführt von den Sozialdemokraten, begannen ihre Angriffe auf den Radavorsitzenden Tkatschenko und seinen ersten Stellvertreter, den Kommunisten Adam Martynyuk, um diese zu entmachten. Einige Beobachter verweisen darauf, daß der Startschuß bereits mit dem Tag der Amtseinführung Leonid Kutschmas gefallen war, denn Kutschma würde niemals mit Tkatschenko Erbarmen haben, der einst sagte: "Ich bin weder die erste Person im Staat, aber auch nicht nur die zweite." Tkatschenko hatte im Oktober 1999 erfolglos seine Ambitionen auf den Präsidentensessel angemeldet, bei den Wahlen allerdings nur wenige Stimmen auf sich vereinen können. Doch Kutschma hat offensichtlich ein langes Gedächtnis.

Der 21. Januar 2000 war ein kritischer Tag für den ukrainischen Parlamentarismus. An diesem Tag fanden in Kiew parallel laufende Parlamentssitzungen statt. Im Sitzungssaal der Werchowna Rada konnten die 175 Abgeordnete der aus vier Fraktionen (Kommunisten, Sozialisten, Mitglieder der Agrarpartei und Progressive Sozialisten) bestehenden Minderheit die Rednertalente des Abgeordneten Oleg Blochin, Fußballsuperstar der 80er Jahre, verfolgen, der einen Gesetzentwurf über Änderungen am Gesetz über Körperkultur und Sport vorstellte.

Im Gebäude des früheren Leninmuseums hingegen stimmten 239 Abgeordnete der Parlamentsmehrheit (elf Fraktionen und Bewegungen) für die Abwahl Tkatschenkos von seinem Amt als Parlamentsvorsitzender und verabschiedeten eine Resolution zur Bildung einer Kommission, die umfassend die Tätigkeit des früheren Vorsitzenden und seiner Mitarbeiter untersuchen soll.

Die Krise hatte also die Spaltung des Parlaments und Tkatschenkos Abwahl zur Folge. Der Appell der Linken an den Europarat brachte nicht das gewünschte Ergebnis, denn diese europäische Einrichtung riet der ukrainischen Delegation unter Leitung von Pjotr Simonenko, Vorsitzender der Kommunisten und Widersacher Kutschmas bei den Präsidentschaftswahlen, die inneren Angelegenheiten des Landes selbst zu lösen.

Einige Führer der Linken, wie der Sozialist und frühere Radavorsitzende Alexander Moros, waren klug genug, mit ihren politischen Gegnern zu verhandeln. Viktor Medwedschuk dagegen, Stellvertretender Vorsitzender des Parlaments und Führer der Sozialdemokraten, der als der wahrscheinlichste neue Vorsitzende gehandelt wurde, zog seine Kandidatur zugunsten von Iwan Pljusch, der ebenfalls bereits einmal den Vorsitz im Parlament geführt hatte, zurück.

Die sensationelle Erklärung Medwedschuks enthielt auch einige realistische Vorschläge. Er bot der Parlamentsminderheit an, ihr einen legalisierten Status zu verschaffen, ihr das Recht einzuräumen, einen Sprecher zu wählen, und ihr die Möglichkeit zu geben, ihre Positionen nicht nur im Sitzungssaal darzulegen, sondern auch in den staatlichen Massenmedien. Es war übrigens auch Medwedschuk, der den Begriff von der "Samtenen Revolution" einführte.

Nach Angaben des Koordinationsrates der Parlamentsmehrheit und vieler Beobachter ist dieser Schritt Medwedschuks ein wichtiger und realer Schritt zur Überwindung der Parlamentskrise.

Während sich Tkatschenko nun an das Verfassungsgericht wenden will, sagen viele linke Abgeordnete, daß es die Hauptaufgabe der Abgeordneten sei, Kompromisse zu finden und nicht, sich in Gerichtsprozessen zu verlieren. "Das Parlament ist ein Werkzeug der Demokratie, und das Land kann ohne es nicht leben", so die Meinung von Michail Pogrebinski, Direktor des Zentrums für Politische und Konfliktforschung.

Die "Samtrevolution" hat für eine kurze Zeit ein anderes gravierendes Problem der Ukraine in den Hintergrund gerückt, das in der Tat einige unvorhersagbare Konsequenzen für die ukrainische Gesellschaft haben könnte. Tatsache ist, daß Präsident Kutschma vor der Parlamentskrise einen besonderen Erlaß über ein landesweites Referendum am 16. April 2000 ausgegeben hat. Offiziell wird das Referendum als Volksinitiative durchgeführt werden, aber niemand kann Antwort auf die Frage geben, wer die Fragen, die sich unmittelbar gegen das existierende Parlament und die Verfassung richten, ersonnen hat.

Derzeit soll über sechs Fragen abgestimmt werden: 1. Sprechen Sie dem Parlament Ihr Mißtrauen aus, um dem Präsidenten die Möglichkeit zu geben, das Parlament aufzulösen? 2. Unterstützen Sie den Vorschlag, die Verfassung dahingehend zu ergänzen, daß der Präsident das Recht hat, die Werchowna Rada aufzulösen, wenn sie es nicht vermag, innerhalb eines Monats eine Mehrheit im Parlament zustande zu bringen oder wenn sie die Verabschiedung des Staatshaushalts länger als drei Monate blockiert, nachdem der Haushaltsentwurf vom Ministerkabinett eingebracht worden ist? 3. Sind Sie dafür, daß die Immunität der Abgeordneten eingeschränkt wird? 4. Sind Sie dafür, daß die Zahl der Parlamentsabgeordneten von heute 450 auf 300 reduziert wird? 5. Unterstützen Sie die Idee eines Zweikammernparlaments, in dem die Obere Kammer die Interessen der Regionen vertritt? 6. Sind Sie dafür, daß die Verfassung durch ein landesweites Referendum bestätigt werden soll?

In der Tat, diese sechs Fragen können, wie die entschiedeneren Widersacher Kutschmas sagen, in einer einzigen Frage subsumiert werden: Möchten Sie in der Ukraine ein Regime, in dem der Präsident und seine Umgebung die unbegrenzte und unkontrollierte Macht haben? Von offizieller Seite werden die Kosten für ein landesweites Referendum auf 48 bis 49 Millionen Griwna geschätzt. Fachleute hingegen sagen, daß sich die tatsächlichen Kosten irgendwo zwischen 80 und 100 Millionen Griwna bewegen werden. "Dieses Geld würde ausreichen, um die ukrainische Wissenschaft und Kultur wirksam zu unterstützen, aber sie nutzen dieses Geld, um die Demokratie zu töten." Diese Einschätzung stammt natürlich aus dem Lager der Gegner des Präsidenten.

Experten, darunter beispielsweise Nikolai Tomonenko, Direktor des Instituts für Politik, warnen davor, daß die Ukraine für die nächsten zwei Jahre ein Land der Referenden und Wahlen würde. Der Wille der Oligarchie werde der Wille des Volkes. Die Behörden und die Oligarchen, die Kutschma unterstützen und in seinen Wahlkampf investierten, brauchen das Referendum. Die Behörden wollen von den tiefen sozialen und wirtschaftlichen Problemen ablenken, denn die Fragen des Referendums suggerieren, daß mindestens drei weitere Referenden und zwei Wahlen folgen werden.

Auch eine Verfassungskrise ist aufgrund von Frage 6 beinahe schon absehbar. Nach dem Referendum könnte die gültige Verfassung ungesetzlich werden. Dies wird Chaos in den Gesetzgebungsbereich bringen und extrem gefährliche Folgen für die Stabilität des Landes haben. Als völlig nutzlos wird sich die Frage über ein Zweikammernparlament herausstellen, denn es gibt in der Ukraine keine Mechanismen für dessen Bildung. So könnte es nach dem 16. April in der Ukraine ein autoritäres Regime mit nur einem Machtzweig geben - der dem Präsidenten unterstellten Exekutive. Eine neue Verfassung könnte dann Kutschma die legale Möglichkeit einer dritten Amtszeit verschaffen.

Es wundert nicht, daß sich unter den Referendumsgegnern sowohl Rechte als auch Linke finden. Alexander Moros qualifizierte die Fragen als "verfassungsmäßigen Coup d'État". Und er führte weiter aus, daß das Referendum darauf abziele, eine Diktatur krimineller Färbung zu etablieren. Wladimir Martschenko von den Progressiven Sozialisten betrachtet bereits den Erlaß als nicht verfassungsmäßig, da es für diesen keine legale Basis gebe. "Diktatorische und kriminelle Strukturen der staatlichen Kontrolle sind geplant", so Martschenko. Der Politologe und frühere sowjetische Dissident Wladimir Malinkowitsch, heute Direktor der ukrainischen Abteilung des Internationalen Instituts für Geisteswissenschaftliche und Politische Studien, äußerte sich äußerst besorgt über die Tatsache, daß Kutschmas "antiverfassungsmäßiger Erlaß einem Staatsstreich" gleichkomme. Der Führer der Partei "Verteidiger des Vaterlandes" Juri Karmazin erläuterte, daß der Referendumserlaß "in keiner Weise in Übereinstimmung mit der Verfassung ist". Er betonte, daß die Ukraine aufgrund der instabilen Situation viel verlieren werde, "denn niemand wird in einen Staat investieren, der permanent Wahlen, Neuwahlen und Referenden vorbereitet."

Der Präsidentenfreund Michail Sirota, Führer der Arbeitspartei, hebt hingegen hervor, daß der Erlaß "bestimmte Ungleichgewichtigkeiten zwischen den Machtzweigen hervorgebracht hat, der es schwieriger macht, über wirtschaftliche und soziale Reformen überhaupt nachzudenken." Kutschma hat sich für Konfrontation, statt für Zusammenarbeit entschieden. Die nationalistischen Parteien waren kritischer, indem sie bereits das "belarussische Szenario" voraussagten. Vor vier Jahren hatte der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko mit einem landesweiten Referendum die letzten Reste der demokratischen Institutionen in Belarus hinweggefegt.

Die rechten Parteien sprachen sich gegen jegliche ungesetzliche Initiative aus, um die geltende Verfassung zu ändern. Denn dies werde zwangsläufig die legale Macht, das Vertrauen der Bürger und die Grundlagen des demokratischen Staates untergraben. Die Rechten treten für die konstruktive Zusammenarbeit von Parlament, Präsident und Regierung ein - zum Wohle des Staates und seiner Bürger.

Radikalere Zeitungen haben bereits Karikaturen und Witze über den Weg des "ukrainischen Pinochet" veröffentlicht. In ihrer Mehrheit sind sich Politologen und Juristen darin einig, daß der Erlaß nicht der Verfassung entspricht. Unter diesem Gesichtspunkt kann man sagen, daß die "Samtrevolution" noch nicht zu Ende ist. Laßt sie wirklich ausschließlich "samten" sein.
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Der Sieger kriegt alle(s)!

von
Pjotr Borowoi, Journalist, Moskau


Am 18. Januar bei der konstituierenden Sitzung der Staatsduma sah sich Rußland plötzlich einer neuen, von vielen nicht erwarteten, großen Koalition der beiden größten Fraktionen der Duma gegenüber. Die Koalition aus "Kommunisten und Tschekisten", wie sie schnell genannt wurde, bestand aus der Putin- bzw. regierungsnahen Bewegung "Einheit", die von Katastrophenschutzminister Schoigu geführt wird, und der KPdRF. Anhängsel der Übereinkunft waren Schirinowskis LDPR sowie die Agrarindustrielle Abgeordnetengruppe und die Gruppe "Volksabgeordneter". Diese Fraktionen und Gruppen hatten sich im Vorfeld auf ein gemeinsames Personalpaket zur Aufteilung und Besetzung der Positionen der Vorsitzenden der Duma und der Ausschüsse geeinigt. Die Minderheit aus Primakows "Vaterland - Ganz Rußland" (OWR), Kirijenkos "Union der Rechten Kräfte" (SPS), Jawlinskis JABLoko und der Abgeordnetengruppe "Russische Regionen" wurden bei diesem Handel fast gänzlich von der Ausschußverteilung ausgeschlossen bzw. mit unwichtigen Ausschüssen abgespeist. Die Mehrheit der Duma stellt jetzt nicht nur neun Zehntel aller Ausschußvorsitzenden, sondern mit Gennadi Selesnjow von der KP als Vorsitzenden und Ljubow Sli-ska von der Bewegung "Einheit" als Erster Stellvertreterin die wichtigsten Positionen in der Duma. Die Minderheit, die etwas mehr als 30 Prozent der Mandate besetzt, verließ daraufhin den Sitzungssaal und kündigte an, bis zu einer Neuverteilung der Ausschüsse die Arbeit der Duma boykottieren zu wollen.

OWR, SPS und JABLoko gründeten dann einen gemeinsamen Koordinierungsrat, um die Arbeit zu koordinieren. Die ersten Absetzbewegungen deuteten sich an, als die Abgeordnetengruppe "Russische Regionen" mit dem Hinweis darauf, man sei keine Fraktion, die Beteiligung verweigerte. Die Abgeordnetengruppe wird vor allem von ehemaligen Anhängern der Bewegung "Ganz Rußland" gebildet, die sich ebenfalls langsam auf die Seite von Interimspräsident Putin schlägt. So rief einer der Führer der Bewegung, Tatarstans Präsident Schaimijew, bereits zur Wahl Putins auf. Bereits am 19. Januar nahm die Abgeordnetengruppe auch wieder an Dumasitzungen teil und besetzte ihre Posten eines Stellvertretenden Dumavorsitzenden und des Haushaltsausschußvorsitzenden. Die anderen Fraktionen der Minderheit kündigten ebenfalls an, nachdem es unter anderem Gespräche mit dem Interimspräsidenten gegeben hatte, sich am 9. Februar wieder an der Arbeit der Duma beteiligen zu wollen. Allein Jawlinski zeigt weiterhin eine eher ablehnende Haltung. Sicherlich nicht verwunderlich, denn seine Fraktion soll in überhaupt keinem Ausschuß den Vorsitzenden stellen, und zudem will er sich selbst auch noch für die Präsidentschaftswahl profilieren.

Trotz der Einrichtung des Koordinierungsrates bleibt natürlich die Frage, ob die Minderheit zusammenarbeiten kann, denn die persönlichen Ambitionen der Spitzenvertreter machen eine konstruktive Zusammenarbeit eher unwahrscheinlich.

Letztlich war die Einigung zwischen "Einheit" und KP ein guter Zug, um die Opposition zu spalten und zu marginalisieren. Der Kreml unterstützte die Wahl Selesnjows, wie schon bei der Gouverneurswahl im Gebiet Moskau, die Selesnjow gegen den von Luschkow gestützten General Gromow verlor, und damit sicherte er sich die Möglichkeit, nahezu jeden beliebigen Beschluß in der Duma durchzudrücken. Schließlich muß man die KP nur daran erinnern, wer ihr den Posten des Dumavorsitzenden verschafft hat. Bei inhaltlichen Fragen, wie zum Beispiel den Start-2-Vertrag, wird sich der Kreml im Zweifelsfall auf andere Kräfte stützen können. Zugleich signalisiert die Einigung, daß es der neuen politischen Führung möglich ist, mit den Kommunisten übereinzukommen, während sich die KP als eine Komponente des russischen Establishments empfahl. Denn die Koalition von "Kommunisten und Tschekisten" ist in Sachfragen von Widersprüchen geprägt. Stellt man aber die Frage, ob es dem Kreml mit diesem Coup gelungen ist, die Kommunisten als Systemopposition endgültig ad absurdum zu führen, scheint ihm dies gelungen zu sein. Denn die Sjuganow-KP hat gezeigt, daß man zu jedem Handel gern bereit ist. Und der Kreml unter Putins Führung hat unter Beweis gestellt, daß er die Bündnisse schmieden kann, die nötig sind, um die Macht- und Eigentumsverteilung der Oligarchen gesellschaftlich abzusichern.

Der Coup des Kremls richtet sich eindeutig gegen das Bündnis um Primakow/Luschkow sowie gegen Jawlinski, die letztlich mehr oder weniger stark in Opposition zur Politik der neuen Kremlführung stehen. Jawlinski wurde bereits von den Wählern für seine Anti-Tschetschenienkrieg-Haltung abgestraft, nun wird seine Partei auch noch um den politischen Einfluß in der Staatsduma gebracht. Für die künftigen Szenarien der Präsidentschaftswahl ist dies aus Kremlsicht nicht schlecht, weil damit der Kreis der ernstzunehmenden Konkurrenten Putins immer kleiner und schwächer wird. Was wichtig ist, da niemand weiß, wie lange Putin mit seiner "Starker Mann"-Attitüde seine Beliebtheitskurve noch hoch halten kann. Zumindest in den jüngsten Umfragen konnten Primakow und Jawlinski zulegen. So kann es Putin und dem Kreml nur darum gehen, in einem vielleicht doch notwendigen zweiten Wahlgang gegen Sjuganow antreten zu müssen, denn dies sichert den Sieg Putins in jedem Fall.

Ohnehin wird eine Menge getan, um den sich abzeichnenden Sieg Putins abzusichern. So werden zum 1. Februar die Renten um 20 Prozent erhöht. Und um 20 Prozent sollen auch die Beschäftigten des Staates bzw. die aus dem Staatshaushalt Entlohnten mehr erhalten. Selbst der Gipfel der GUS-Staatsoberhäupter wird dann zu einer einzigen Eloge auf den amtierenden russischen Präsidenten. Denn alle Staatsoberhäupter stimmten ein Loblied auf Putin an, stellten sich hinter seine Tschetschenienpolitik, befürworteten seine Wahl zum russischen Präsidenten und wählten ihn zu guter letzt auch noch außer der Reihe zum Vorsitzenden ihres Rates - natürlich nur, um der wichtigen Rolle Rußlands Rechnung zu tragen. Doch haben diese Loblieder einen eher materiellen Hintergrund, denn wohl nicht ganz ohne Hintergedanken waren russische Minister und Vorstandsvorsitzende der Energiekonzerne in den GUS-Staaten unterwegs, um mal wieder an die ausstehenden Zahlungen für die russischen Energielieferungen zu erinnern. Auch die Gründung der Union aus Belarus und Rußland macht sich natürlich nicht schlecht, besonders dann, wenn man das Bild der Rückkehr zu einem mächtigen Rußland erstehen läßt. Ganz im Sinne der programmatischen Rede Putins im Dezember.

Die Opposition wird also an den Rand gedrängt bzw. wurde durch Einbindung der KP nicht ungeschickt aufgespalten. Damit hat sie aber wohl endgültig ihre Oppositionsrolle zum Kreml aufgegeben. Zumal genügend rote Gouverneure, sollte es zu einer weiteren Konsolidierung der Kremlmacht kommen, in ihren Landesfürstentümern eine Menge an Eigentums- und Machtverteilung abzusichern haben. Und bei den letzten regionalen Wahlen ist deren Position nicht stärker geworden. So verloren in den letzten Monaten die Kommunisten fast alle Gouverneurswahlen und selbst rote Amtsinhaber mußten in ihren Hochburgen wie zum Beispiel in Woronesch empfindliche Verluste hinnehmen.

Reichen aber die Signale und Symbole in Reden und Handlungen für die Rückkehr zum starken Staat? Es wird vermittelt, daß der Staat wieder funktioniert, und man glaubt, vor allem mit starken Worten nach außen, die Bürger im Inneren beeindrucken zu können. Selbst die Wiederbelebung von Symbolen vergangener Größe wie die russische Raumfahrtstation Mir passen gut in dieses Bild.
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MIR

von
Jelena Ryschkowa, Journalistin, Moskau


Die russische Regierung hat am 20. Januar 2000 eine Verlängerung des Betriebes der Weltraumstation Mir beschlossen. Nunmehr eröffnet sich für ihre Nutzung zumindest eine Perspektive von acht Monaten.

Wie Juri Koptew, Generaldirektor der Russischen Luft- und Raumfahrtagentur, mitteilte, wird im März eine Kosmonautencrew zur Mir geschickt, der Kommandant Sergej Saljotin und Bordingenieur Alexander Kaleri angehören werden. Nach Angaben Koptews ist der Betrieb der Mir bis zum 31. August 2000 geplant. Eine Verlängerung des Aufenthaltes hängt vom technischen Zustand der Station ab. Fachleute sind der Ansicht, daß der Orbitalkomplex, der bereits seit 13 Jahren im All ist, mindestens noch vier Jahre funktionieren könnte. Das größte Problem ist jedoch nicht der technische Zustand der Mir, sondern ihre Finanzierung. Der Betrieb der Station kostet im Jahr 200 Millionen Dollar. Auf der Sitzung der Regierung am 20. Januar 2000 war beschlossen worden, daß der Komplex staatliche Zuschüsse in Höhe von bis zu 1,5 Milliarden Rubel erhalten wird. Der Fehlbetrag soll durch kommerzielle Projekte gedeckt werden.

Derzeit besteht die Mir aus dem Basisblock, fünf Modulen, der Kopplungszelle und dem Raumtransporter. Die Gesamtmasse beträgt mehr als 130 Tonnen. Am Komplex sind Forschungsgeräte mit einer Masse von etwa 11,5 Tonnen installiert. Insgesamt besuchten 103 Kosmonauten die Station und 77 Ausstiege ins All mit einer Gesamtdauer von 354 Stunden 20 Minuten wurden vorgenommen. Während des Fluges des Orbitalkomplexes wurden mehr als 23000 Forschungen und wissenschaftliche Experimente durchgeführt.
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Verfassungsdiskussion in Moldowa

von
Maria Constantinescu, Journalistin, Chisinau


Die Änderung der Verfassung vor dem Hintergrund der im Herbst 2000 anstehenden Präsidentschaftswahlen scheint unvermeidlich. Drei Verfassungs-initiativen liegen derzeit vor. Die erste stammt von Präsident Lucinschi selbst und zielt darauf, Moldowa in eine Präsidialrepublik zu verwandeln. 39 Abgeordnete sind mit einer zweiten Initiative an die Öffentlichkeit gegangen, die der Regierung mehr Befugnisse geben will. Die dritte Initiative von 38 Abgeordneten will eine reine Parlamentsrepublik einführen, in der der Präsident vom Parlament gewählt wird.

Es scheint unwahrscheinlich, daß der erste Entwurf eine Mehrheit findet. Die Verfassung kann nur mit Zustimmung des Parlaments verändert werden, und nur wenige Vertreter der Legislative haben Lust, auch nur einen Teil ihrer derzeitigen Vollmachten an das Staatsoberhaupt abzutreten. Der zweite Entwurf, der sogenannte Kompromiß, war von der früheren Regierungskoalition "Allianz für Demokratie und Reformen" eingebracht worden. Es ist die gegenwärtig wahrscheinlichste Variante. Denn alle Parlamentsfraktionen, auch die Kommunisten, haben sich wiederholt dafür ausgesprochen, daß die Regierung mehr Vollmachten erhalten sollte. Derzeit scheint aber, als ob auch der dritte Entwurf Chancen haben könnte. Denn der von der Christdemokratischen Volkspartei und Unabhängigen vorgelegte Entwurf wird auch von der Allianz bevorzugt. Sollten sich auch die Kommunisten dieser Gruppe anschließen, wird der Kampf um das Präsidentenamt ins Parlament getragen, eine Situation, die Lucinschi nicht gefallen kann.

Lucinschi wird sein Bestes geben, um so viele Parteien wie möglich auf seine Seite zu ziehen, aber es fällt schwer, sich vorzustellen, daß die neue Koalition aus Kommunisten, Sozialdemokraten und Unabhängigen die Kandidatur Lucinschis vorbehaltlos unterstützen wird. Es ist fast sicher, daß keine der Allianzparteien den amtierenden Staatschef unterstützen wird. Dies hat man demonstriert, als Braghis Kabinett von ihnen abgelehnt wurde. Hinzukommt, daß die Allianz mehrmals erklärt hat, daß sie zu den erwarteten vorgezogenen Parlamentswahlen als Block teilnehmen wird. So ist auch zu erwarten, daß sie sich auf einen gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten einigen wird. Das Rennen um die Verfassungsänderung, das von Lucinschi in die Wege geleitet wurde, dann vom Parlament ausgeweitet wurde, wird in diesem Jahr an Fahrt gewinnen und Hand in Hand mit den Präsidentschaftswahlen gehen.
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