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Deutsch-Russisches Partnerschaftsprojekt zur Förderung von Kindern mit geistigen Behinderungen
Versöhnung mit der Sowjetunion "Versöhnung mit der Sowjetunion" - das war das Stichwort, mit dem das Projekt 1991, fünfzig Jahre nach dem Überfall deutscher Truppen auf die Sowjetunion, begann. Die Idee war, schwer geistigbehinderten Menschen (Invaliden), die bis dahin im sowjetischen System ohne jede Chance waren, zu den extrem Benachteiligten gehörten und unter unwürdigen Bedingungen in sogenannten Internaten lebten - und auch heute noch leben -, eine Perspektive der Hoffnung zu geben. Im September 1993 konnte mit Hilfe der Landesregierung Nordrhein-Westfalen und mit Spendengeldern in Trägerschaft der Evangelischen Kirchengemeinde Wassenberg das Heilpädagogische Zentrum Pskow eröffnet werden. Dort werden unter schulfachlicher und pädagogischer Begleitung durch die Rurtal-Schule 48 geistigbehinderte Kinder und Jugendliche, darunter viele mit schwersten und mehrfachen Behinderungen, unter anständigen Bedingungen gefördert werden. Das HPZ hat inzwischen mit Hilfe der Rurtal-Schule als ein in Rußland einzigartiges Modell in vielschichtiger Weise viele Impulse, vor allem im bildungspolitischen Bereich, gegeben und den Prozeß eines veränderten Menschenbildes in Gang gesetzt: sogenannte "Unlernende", "Invalide", "Bildungsunfähige" und "Idioten" werden dort nun unter einer anderen und menschenwürdigen Begrifflichkeit zu "Menschen mit besonderen Bedürfnissen", die besondere Hilfe benötigen. Der Anfang wurde gemacht, diese Menschen aus ihren schrecklichen Lebensbedingungen herauszulösen. Die ersten Erfolge... Die extrem positiven Auswirkungen dieses ersten Projektes "Heilpädagogisches Zentrum" zur Förderung von Menschen mit geistigen Behinderungen wurde am 21. Juni 2001 sichtbar, als in unmittelbarer Nähe des HPZ die mit Unterstützung rheinischer Christen erbaute Werkstatt für Behinderte der Stadt Pskow eröffnet wurde. Der 21. Juni war der sechzigste Jahrestag des Einmarsches deutscher Truppen in die Sowjetunion... Die Rurtal-Schule, die auch in Zukunft das Heilpädagogische Zentrum als zuverlässiger Partner begleiten wird, hat zu dieser Entwicklung durch Sammeln von Spendengeldern, durch die Organisation von humanitären Hilfstransporten, durch offensive Öffentlichkeitsarbeit und vor allem durch konsequente gemeinsame inhaltliche Arbeit im Bereich der Geistigbehindertenpädagogik sowohl in Rußland wie auch in Deutschland wesentlich beigetragen. Immer mehr besonders benachteiligte Menschen bekommen nun ihr Recht auf Bildung und Förderung und damit auf eine Lebensperspektive.
Auf der humanitären Ebene gehen die Projektpartner Rurtal-Schule und HPZ einen weiteren Schritt voran. Auf Initiative dieser beiden Schulen wurde im Februar 2000 im HPZ Pskow die Arbeitsgemeinschaft "Internate für geistigbehinderte Kinder im Gebiet Pskow" gegründet. Sie macht es sich zum Ziel, diese Internate beziehungsweise Heime aus ihrem verelendeten und isolierten Zustand herauszuführen und den Kindern neben einer angemessenen Förderung ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen. Die Vision ist, Internate und Heime eines Tages ganz überflüssig zu machen. Der Arbeitsgemeinschaft gehören neben der Rurtal-Schule und dem HPZ der Pskower Kinderfonds, zwei Pskower Hilfsorganisationen, die Pestalozzi-Schule Erkelenz und der Lions-Club Jülich an. Sie werden von der Moskauer Organisation r.o.o.f. (russian orphan opportunity fund) tatkräftig unterstützt. Diese humanitäre Organisation mit Zentrale in den USA ist ein Förderfonds für Waisenkinder. Im Laufe der vergangenen acht Jahre hat sich ein lebhafter Austausch zwischen Pädagogen der Rurtal-Schule und des Heilpädagogischen Zentrums entwikkelt. Pädagogen aus dem HPZ weilen regelmäßig zu schulpraktischen Studien bei uns in der Rurtal-Schule, Sonderschullehrerinnen und -lehrer der Rurtal-Schule führen Fortbildungen und Seminare im HPZ in Pskow durch, und gemeinsam arbeiten wir an Schulentwicklungsprogrammen für beide Schulen. Ein Lehrplan für das HPZ Die jahrelange inhaltliche Zusammenarbeit zwischen Pädagoginnen und Pädagogen der Rurtal-Schule und des Heilpädagogischen Zentrums hatte das Ziel, ein Curriculum für die Arbeit im HPZ zu entwickeln, da es eine Handreichung für die Förderung von geistigbehinderten Kindern und Jugendlichen bis heute in der Russischen Föderation nicht gibt. Im Frühjahr 2000 konnten schließlich die "Richtlinien und Lehrpläne für den Unterricht mit Kindern und Jugendlichen mit besonderen Bedürfnissen im Heilpädagogischen Zentrum Pskow" veröffentlicht werden. Vom russischen Bildungsministerium werden diese als für ganz Rußland modellhaft und richtungsweisend empfohlen. Bereits während einer Tagung des Bildungsministeriums vom 12. bis 15. Mai 1999 in Pskow wurde eine Resolution verfaßt, daß das HPZ-Modell der Förderung von Menschen mit geistiger Behinderung Pilotmodell für ganz Rußland werden solle. Die konsequente Zusammenarbeit zwischen unseren Einrichtungen hatte sich mit dieser weitreichenden bildungspolitischen Entscheidung schon ausgezahlt!
Erweiterte Kooperation noch wenig ermutigend Die enge Zusammenarbeit der Rurtal-Schule und des HPZ und ihre Aktivitäten führten auch dazu, daß sie sich mit der Fakultät für Korrekturpädagogik der Pädagogischen Hochschule Pskow, der Heilpädagogischen Fakultät der Universität Köln, der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Hochschule Gelderland Nijmegen und der Universität Bologna im Bildungsprojekt TEMPUS der Europäischen Union zusammenfanden. In diesem im Januar 1997 begonnenen und im Jahr 2000 beendeten Projekt ging es insbesondere um die Entwicklung von Curricula für Geistigbehindertenpädagogik, die richtungsweisend für die gesamte Russische Föderation sein sollten. Anders als im schulpraktischen Bereich waren die Ergebnisse aufgrund der sehr unterschiedlichen wissenschaftlichen Ansätze der westeuropäischen Universitäten auf der einen und der Pskower Hochschule auf der anderen Seite nicht sehr ermutigend. Aber Umdenkungsprozesse haben auch hier stattgefunden.
Wie auch für "normale" Schulen üblich, haben sich Besuche von Schülerinnen und Schülern hüben wie drüben entwickelt, wobei wohl erstmals bis dahin in Rußland extrem benachteiligte und vergessene Menschen ihr Land zu einem Schüleraustausch verlassen dürfen. Hierzu zählen unter anderem die seit 1996 regelmäßig stattfindenden integrativen Skifreizeiten gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern der Rurtal-Schule und der Hauptschule Oberbruch in den bayerischen Alpen und als erster Höhepunkt das internationale Sommercamp im Juni 1997, in dem geistigbehinderte Schülerinnen und Schüler der Rurtal-Schule Oberbruch, des Heilpädagogischen Zentrums Pskow und der Elms Bank High School Bury (England) und nichtbehinderte Schülerinnen und Schüler der Hauptschule Oberbruch am Beispiel des Themas "Zirkus" zeigten, wie interkulturelles Lernen und europäische Integration auch oder gerade mit dieser Schülergruppe möglich ist. Der Zirkus "Euro" begeisterte in einer Zirkusgala als Ergebnis des Sommercamps mit einer Vorstellung vor über 400 Zuschauern! Auch Schülerinnen und Schüler der Rurtal-Schule lernten regelmäßig die anderen Lebensbedingungen in Pskow kennen. "Rur-Rock" begeistert Am 25. Mai 2001 folgte ein grandioser Höhepunkt der Partnerschaftsbeziehungen zwischen der Rurtal-Schule und dem HPZ. In Pskow hatte die Schülerband "Rur-Rock" der Rurtal-Schule mit ihren deutschen und russischen Mitschülern der Hauptschule Oberbruch, des HPZ und des College für Kunst und Kultur Pskow einen unglaublichen und umjubelten Auftritt vor 800 Zuhörern beim Benefizkonzert für geistigbehinderte Kinder in den Heimen des Gebiets Pskow. Eine Vorbereitung von neun Monaten und ein gemeinsamer integrativer Workshop in Pskow unter dem Motto "Wir gehören zusammen" machte dieses bewegende Ereignis möglich. Das Besondere an diesem gemeinsamen Projekt war, daß hier junge Menschen mit Behinderungen aus Deutschland und Rußland, von denen man eigentlich glaubt, daß sie selber Hilfe brauchen, soziale Verantwortung für Menschen übernahmen, die sich ohne Frage auf der Schattenseite der russischen Gesellschaft befinden.
Mit dem Partnerschaftsprojekt Rurtal-Schule und Heilpädagogisches Zentrum hat sich in Stadt und im Gebiet Pskow eine modellhafte Säule einer veränderten und erneuerten Sonderpädagogik gebildet, die ihresgleichen sucht. Die Projektarbeit auf der Basis eines veränderten Menschenbildes und mit dem Ziel eines Paradigmenwechsels einer immer noch defektorientierten "Korrekturpädagogik" hat bereits starken Einfluß auf bildungspolitische Entscheidungen für die gesamte Russische Föderation genommen. Das Reformprojekt trägt Früchte! ![]()
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