Politik

Herbstprobleme in der russischen Politik [ Abstract ]
Reformen und Realitäten - Wahlen und Parteien [ Abstract ]
Rußland: Gesellschaft, Eliten und die Katastrophen im August [ Volltext ]
FSB - Bedrohung der Reformen oder Stütze der Demokratie? [ Abstract ]
Die KP in Rußland - Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft [ Abstract ]
"Partei der Macht" Nummer 3 - der Bär [ Abstract ]
Lobbyisten und Lobbyarbeit in der russischen Duma [ Abstract ]
Die graue Eminenz des Kreml [ Volltext ]
Armenien - Rußlands strategischer Partner im Kaukasus [ Abstract ]
Die Auflagen für die Wahlen wurden in Belarus erfüllt [ Volltext ]
Vor den Parlamentswahlen in Belarus [ Abstract ]

Herbstprobleme in der russischen Politik
von
Jelisaweta Sergejewa, Journalistin, Moskau


Die Regierung kann sich nicht beklagen: Die Bevölkerung vertraut ihr, und die Konjunktur ist günstig wie nie zuvor
 
Anders als in den Jahren zuvor begann nach der Sommerpause der politische Herbst in Rußland nicht mit einer Krise, sondern eher ruhig. Dies liegt sicherlich nicht nur an der Zusammensetzung der Duma, in der die kremltreuen Abgeordneten insgesamt die Mehrheit stellen, sondern auch daran, daß es real keine Opposition zur Macht gibt. Zudem: Niemand und schon gar nicht Präsident Putin kann derzeit eine Krise gebrauchen. Zur Erörterung stehen im Herbst der Staatshaushalt 2001, die Gesetze über die Verfassungsversammlung und die Einschränkung der Abgeordnetenimmunität sowie das Boden- und das Arbeitsgesetzbuch.
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Reformen und Realitäten - Wahlen und Parteien

von
Galina Tschinarichina, Politologin am EPIzentr, Moskau


Der Petersburger Gouverneur Jakowlew gehört ebenso wie der Moskauer Bürgermeister Luschkow zu den einflußreichsten regionalen Führern in Rußland
 
Wenn in Rußland die Reform der Wahlgesetzgebung abgeschlossen sein wird, könnte dies starke Auswirkungen auf die Parteien und die Staatsduma haben. Möglicherweise wird sich durch die Reform das politische System in Rußland hin zu einem Zweiparteiensystem aus der "Partei der Macht" (derzeit "Einheit") und der KPdRF entwickeln. Aber neben der anstehenden Wahlrechtsreform stehen im November und Dezember mehr als achtzig Wahlen in den Regionen an. Gewählt werden Gouverneure, regionale Parlamente und örtliche Selbstverwaltungen. Doch mit der unter Präsident Putin eingeleiteten Zentralisierung scheinen die Wahlen in den Regionen nur noch von untergeordnetem Interesse zu sein.
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Gesellschaft, Eliten und die Katastrophen im August

von
Wladimir Petuchow,
Direktor des Zentrums für sozialpolitische Analyse am Russischen unabhängigen Institut für soziale und Nationalitätenprobleme


Der Sprengstoffanschlag in Moskau und das havarierte Atom-U-Boot "Kursk", das 118 Seeleuten in den Tod riß, haben die russische Gesellschaft schockiert. Von vielen Beobachtern wurden massenhafte Proteste und das politische Ende von Präsident Putin vorausgesagt. Tatsächlich hat sich aber die Gesellschaft schnell wieder beruhigt. Die Russen vertrauen ihrem Präsidenten weiterhin, und nicht zuletzt, weil Lohn- und Rentenschulden getilgt wurden. Nun aber kommen mit dem "Sozialpaket", einem Maßnahmenbündel von Kürzungen in der Sozialpolitik, wahrscheinlich neue Belastungen auf die Bevölkerung zu.

Eine Serie tragischer Ereignisse im August 2000 - der Bombenanschlag in der Unterführung am Moskauer Puschkin-Platz und der Untergang des Atom-U-Bootes "Kursk" - hat ganz Rußland schockiert, vor allem auch, weil sich die Ereignisse praktisch vor den Augen der Gesellschaft abspielten. Zunächst entstand der Eindruck (nicht zuletzt aufgrund des Einflusses der russischen wie der ausländischen Medien), daß Rußland mit der havarierten "Kursk" buchstäblich auf Grund gehen werde. Die Spannungen in der Gesellschaft ließen dann aber wieder etwas nach, und jetzt ist die Zeit, um die Ereignisse und vor allem die Reaktion darauf zu analysieren und Prognosen anzustellen. Hierbei tritt ein sehr aufschlußreicher Umstand zutage: Die Ereignisse und die Konsequenzen daraus werden von den wichtigsten Massenmedien, einigen Politikern und Fachleuten völlig anders eingeschätzt als von der Bevölkerung. Viele Politiker und meinungsbildende Journalisten reagierten heftig und emotional, sie schoben die Verantwortung für die Ereignisse größtenteils Präsident Putin zu. Die Russen, aus deren Sicht sich der Präsident während der erfolglosen Rettungsversuche für die Besatzung der "Kursk" nicht ganz richtig verhielt, sind jedoch in ihrer absoluten Mehrheit nicht gewillt, alle Schuld Wladimir Putin zuzuweisen. Auch jetzt noch gilt in der Öffentlichkeit Putins Vorgänger Boris Jelzin als Hauptschuldiger für alle Nöte, die Rußland zu bewältigen hat, und Jelzin wird auch auf längere Sicht als Hauptverantwortlicher gelten. Festzuhalten bleibt, daß die Popularität Putins ungeachtet der ihren Ausmaßen und ihrer Tiefe nach einmaligen Kritik etwa auf dem gleichen Stand von 55 bis sechzig Prozent geblieben ist.

Die Bevölkerung vertraut Präsident Putin trotz der Katastrophen im August nach wie vor. Die Wirtschaft entwickelt sich positiv, Lohn- und Rentenschulden werden getilgt.
Jetzt allerdings stehen Kürzungen im Sozialbereich an
 
Eine Erklärung, daß die Bürger Rußlands - wie auch jedes anderen Landes - die Macht nach anderen Kriterien beurteilen als die politische Elite, liegt meines Erachtens darin, daß die Individuen vor allem zwei Prioritäten haben: persönliche Sicherheit und den Inhalt ihrer Geldbörse. Mit der persönlichen Sicherheit sieht es in Rußland heute schlecht aus. In bezug auf die Geldbörse aber sind in der Amtszeit des ehemaligen Ministerpräsidenten und heutigen Präsidenten einige positive Wandlungen der sozialökonomischen Situation durchaus offensichtlich. Einen ungemein positiven Eindruck hinterließen praktisch allerorts die Tilgung der monate- und manchmal auch jahrelangen Lohn-, Renten- und Sozialhilfeschulden beziehungsweise sogar eine gewisse Erhöhung dieser Leistungen. Laut einer Umfrage, die das Russische unabhängige Institut für soziale und Nationalitätenprobleme im Juli durchgeführt hat, verwiesen neunzig Prozent der Befragten auf die Verbesserung beziehungsweise die Stabilisierung der Situation in diesem Bereich. Positiv vermerkt werden auch die Erhöhung der Einkommen und die langsame Rückkehr zu einer Situation, wie sie vor der Augustkrise 1998 bestand.

Die Stimmung in der Gesellschaft ist ungeachtet der jüngsten tragischen Ereignisse durch eine entspanntere und mäßig optimistische Einschätzung der Zukunft des Landes geprägt. 65 Prozent der Befragten meinen beispielsweise, daß ein weiterer Verfall der russischen Wirtschaft kaum wahrscheinlich ist; 82 Prozent glauben nicht an den Zerfall der Russischen Föderation; 72 Prozent halten es für unwahrscheinlich, daß Rußland in völlige wirtschaftliche und politische Abhängigkeit vom Westen gerät; und ebenfalls 72 Prozent glauben nicht, daß in Rußland eine Diktatur eingeführt wird. "Schauermärchen", wie Bürgerkrieg, eine neue Revolution, das Durchdringen der Gesellschaft mit faschistischen Ideen, wie sie Anfang der 90er Jahre gang und gäbe waren, werden überhaupt nicht mehr ernst genommen.

Die Tatsache, daß in Rußland heute endlich eine Macht existiert, der die Bevölkerung mehrheitlich vertraut, hat jedoch auch eine Kehrseite. Es handelt sich um wachsende paternalistische und konformistische Stimmungen. Ein Großteil der Bevölkerung denkt in etwa wie folgt: "Wir haben Putin gewählt. Wir vertrauen ihm. Er soll mit dem, was jetzt im Lande geschieht, zurechtkommen." Merkwürdigerweise verhält sich in dieser Frage auch ein bedeutender Teil der politischen Elite ähnlich wie die Bevölkerung.

Putin steht heute praktisch keine ernstzunehmende Opposition gegenüber. Dies ist erstaunlich, denn nicht alle seiner Vorhaben werden unterstützt. Trotzdem wird ihm von keiner Seite nennenswerter Widerstand entgegengesetzt. Die Ausnahmen bilden die beiden führenden russischen Fernsehkanäle ORT und NTW, die von den Medienmogulen Boris Beresowski und Wladimir Gussinski kontrolliert werden. Eine neue Erscheinung im politischen Leben im postjelzinistischen Rußland ist die Tatsache, daß sich die Kristallisierungszentren langsam von den politischen Parteien weg und hin zu den mächtigsten Mediengruppen verschieben. Eine absolut absurde Situation zwar, aber eben so stellt es sich heute dar.

Dies bedeutet jedoch nicht, daß Präsident Putin von der Gesellschaft eine Carte blanche für jede seiner Handlungen erhalten hat. Er hat nicht, wie manche Beobachter meinen, eine "absolute Ressource" in Gestalt ihn unterstützender Gruppen zur Hand, an die "er sich wenden kann, sollte man ihn ernsthaft unter Druck setzen, so daß die Situation bereits am nächsten Tag zu seinen Gunsten kippen wird." In Wirklichkeit hat diese Carte blanche deutlich festgelegte Grenzen. Betrachtet man die Umfrageergebnisse, kann die Macht auf Unterstützung oder Neutralität seitens der Gesellschaft in den Bereichen rechnen, die ihre Beziehungen mit der politischen Klasse (also den Oligarchen, den regionalen Eliten und den Massenmedien) betreffen. Die Bevölkerung reagiert jedoch ausgesprochen sensibel auf die Gefahr, daß Putin in administrativen Reformen und im politischen Kampf an allen "Fronten" versinken würde und keine Zeit mehr für die Erfüllung seiner Wahlversprechen, darunter insbesondere die Beendigung des Krieges in Tschetschenien und die Bekämpfung der sozialen Not, hätte.

Trotzdem könnte es zu einer großen Konfrontation zwischen Macht und Bevölkerung kommen, wenn versucht wird, den sogenannten Sozialvertrag zu realisieren, den eine Gruppe von dem Präsidenten nahestehenden Wirtschaftsfachleuten mit German Gref an der Spitze erarbeitet und den die Regierung bereits gebilligt hat. Umfragen belegen, daß die überwiegende Mehrheit der Russen den Begriff "starker Staat" (von dem Putin gerne spricht) klar und eindeutig vor allem als "gerechter Staat" versteht. Dem Standpunkt des Präsidenten, den er in seiner Botschaft an die Föderalversammlung verkündet hat, daß der russische Staat eine nicht zu schulternde "soziale Last" trägt, wird sie ganz sicher nicht zustimmen. Was die konkreten Maßnahmen des "Sozialpaketes" (besser gesagt, dessen, was an die Öffentlichkeit gelangte) betrifft, so reagiert die Bevölkerung darauf mit Ablehnung. Dies betrifft vor allem die möglichen Schritte der Regierung. Für den Übergang zu einem gebührenpflichtigen Bildungs- und Gesundheitswesen sprechen sich nur vier Prozent der Befragten aus, während 91 Prozent strikt dagegen sind. 84 Prozent der Befragten sind dagegen, daß die kommunalen Leistungen vollständig von den Bürgern bezahlt werden sollen, dafür lediglich sieben Prozent. Die Erhöhung des Rentenalters bei Männern auf 65 Jahre und bei Frauen auf sechzig Jahre stößt bei 89 Prozent der Befragten auf Ablehnung und findet nur bei fünf Prozent Zustimmung. Etwas freundlicher reagieren die Russen auf die Einführung der einheitlichen Einkommenssteuer von dreizehn Prozent und den Übergang zu einem akkumulierenden Rentensystem. Jedoch auch bezogen auf diese beiden Reformen übersteigt die Zahl der Gegner jene der Befürworter um mehr als das Doppelte: 53 Prozent der Befragten lehnen die einheitliche Einkommenssteuer ab, 23 Prozent stimmen ihr zu. 49 Prozent sind gegen das neue Rentensystem, und nur 23 Prozent begrüßen diese Reform. Die Bevölkerung unterstützt die direkte Sozialhilfe für sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen (56 Prozent sind dafür, dreißig Prozent dagegen). Allerdings hat man diesbezüglich den Eindruck, daß die Bürger keine klaren Vorstellungen vom tatsächlichen Kern dieser Maßnahme haben, die nämlich in Wirklichkeit eine Kürzung der sozialen Vergünstigungen und eine Beschränkung der Bevölkerungsgruppen bedeutet, die diese erhalten werden.

Die Bevölkerung hätte sicher nicht so negativ auf das vorgeschlagene "Sozialpaket" reagiert, wenn dessen Urheber erstens plausibel und vor allem öffentlich erklärt hätten, was sie eigentlich vorschlagen. Statt dessen wurde eine Menge verschwiegen, gab es Widersprüche und Vieldeutigkeiten. Zweitens hätte man das Ziel dieser Sozialreform, nämlich den Aufbau einer Gesellschaft der gleichen Chancen und Möglichkeiten, deutlich definieren müssen. Es ist ein offenes Geheimnis, daß eine qualitative, umfassende und dabei praktisch kostenlose medizinische Versorgung, gute Wohnungen und Erholungsmöglichkeiten vor allem den Angehörigen der Nomenklatura zuteil werden. Deren Kinder können auch problemlos an den Prestigehochschulen des Landes studieren. Auffallend ist auch der Tatbestand, daß die Realisierung der beschriebenen Maßnahmen nicht nur die schwächsten Bevölkerungsschichten, sondern auch den Mittelstand im nichtstaatlichen Sektor der Wirtschaft negativ treffen kann. Dieser Mittelstand hat ein den Beamten vergleichbares Einkommen, allerdings nicht deren Privilegien. Im Ergebnis könnten wir mit einem neuen "Klassenkonflikt" konfrontiert sein, der diesmal jedoch nicht zwischen "Kapital und Arbeit", sondern zwischen den Beschäftigten des nichtstaatlichen Sektors, der heute bereits Millionen Menschen Arbeit gibt, und der Bürokratie ausgetragen wird.

Insgesamt kann man mit hoher Wahrscheinlichkeit prognostizieren, daß die Macht in Rußland die wichtigsten Probleme noch zu lösen hat. Die Gesellschaft erholt sich in psychologischer und materieller Hinsicht von den Auswirkungen der Augustkrise 1998. Alle Versuche, die Lebensbedingungen der Bevölkerung, darunter Einkommen, Arbeit, Wohnung, Gesundheits- und Bildungswesen, anzugreifen, werden vielleicht nicht unbedingt breite soziale Proteste auslösen, aber sicherlich zu stummer Unzufriedenheit und in der Konsequenz zu einer neuen Entfremdung der Bevölkerung von der Macht führen.
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FSB - Bedrohung der Reformen oder Stütze der Demokratie?

von
Juri Iljin, Jurist, Moskau


Die Lubjanka hat ihre Schrecken für die meisten Russen verloren, doch muß eine wirksame Kontrolle über die Geheimdienste noch aufgebaut werden
 
Nicht nur in der russischen Öffentlichkeit wird viel über die Macht der Geheimdienste und des FSB diskutiert. Auch wenn der FSB nicht so mächtig ist, wie der KGB einst war, ist sein Bild in der Bevölkerung zwiespältig. Nicht vergessen sind die Repressalien der Vergangenheit durch die Geheimdienste, aber auch nicht die positive Rolle mancher ehemaliger KGBler in den neuen Machtstrukturen. Die Geheimdienste stehen in dem Ruf, die am wenigsten korrupten Strukturen im heutigen Rußland zu sein. Auch deshalb wurde der "Tschekist" Putin zum Präsidenten gewählt. Aber auch in jüngster Zeit wurden die Dienste eingesetzt, um unliebsame politische Gegner zu bekämpfen. Der Beitrag befaßt sich mit der Struktur des FSB und seiner Arbeit, aber auch mit der Frage, ob dieser eine Gefahr oder eine Stütze für die Demokratie in Rußland ist.
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Die KP in Rußland - Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft

von
Grigori Melamedow, Politologe, Moskau


Zwischen 1993 und 1999 stellten die Kommunisten und ihre Verbündeten stabil die Mehrheit in der Staatsduma. Nun ist mit der "Einheit" eine etwa gleich starke "Partei der Macht" ins Parlament eingezogen, und Putin hat erklärt, daß die KPdRF eine systemstabilisierende Partei werden soll. Der Dauererfolg der Kommunisten bei den föderalen Wahlen ist vor allem auf das stabile Wählerpotential zurückzuführen, das mit der Partei die gute alte Zeit assoziiert. Die Parteiführung ist allerdings blaß und hat sich in grundlegenden Punkten von der traditionellen Ideologie abgewandt. Chancen hat die KPdRF nur, wenn sie sich von Putin und der "Einheit" nicht alle Trümpfe nehmen läßt und den Generationswechsel an der Spitze vornimmt, um ihre eigentliche Wählerschaft - die Werktätigen - zu erreichen.
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"Partei der Macht" Nummer 3 - der Bär

von
Wladislaw Titow, Politologe, Moskau


Die "Einheit" ist nach Ansicht von Fraktionsführer Boris Gryslow bereits eine "ausreichend" starke Kraft. Der Mitgliederzulauf ist enorm und Parteien und politische Organisationen stehen Schlange, um ebenfalls am Erfolg der "Partei der Macht" zu partizipieren
 
Kurz vor den Parlamentswahlen im Dezember 1999 wurde für viele überraschend unter der Regie des Kreml eine neue politische Kraft als künftige "Partei der Macht" aus dem Boden gestampft. Die Bewegung "Jedinstwo" ("Einheit") kam bei den Wahlen schon weniger überraschend hinter den Kommunisten auf den zweiten Platz. Mittlerweile hat sich die Bewegung in eine Partei gewandelt, die sich regen Zulaufs nicht nur neuer Mitglieder, sondern vor allem auch von anderen Bewegungen, Parteien und politischen Organisationen erfreut, die über die präsidentenorientierte Partei an der Macht partizipieren wollen. Zweifelhaft bleibt allerdings, ob, wie der Fraktionsvorsitzende Gryslow vor kurzem erklärte, "Jedinstwo" mittlerweile eine eigenständige starke Struktur ist. In der Duma jedenfalls verhalten sich ihre Abgeordneten wie Erfüllungsgehilfen des Kreml.
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Lobbyisten und Lobbyarbeit in der russischen Duma

von
Alexej Muchin, Zentrum für politische Information, Moskau


LUKoil hat wie alle anderen Großkonzerne eigene Abgeordnete in der Duma, die dort die Unternehmensinteressen vertreten
 
Lobbyarbeit dient in Rußland dazu, territoriale, korporative und konkrete Wirtschaftsinteressen durchzusetzen, und dafür sind die Machtstrukturen und die Großkonzerne bereit, nicht unerhebliche Mittel zu investieren. In Rußland findet Lobbyarbeit in der Staatsduma statt und setzt damit voraus, daß man seine eigenen Leute an den richtigen Stellen plaziert hat. Im Prinzip werden die Interessen der unterschiedlichen Strukturen durch Fraktionen und Abgeordnetengruppen vertreten, wobei vor allem die Leiter der Dumaausschüsse wichtige Elemente sind.
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Die graue Eminenz des Kreml

von
Wladimir Miljutenko, Journalist, Moskau


In Rußland wurde 1995 die Stiftung für eine effektive Politik gegründet, die heute als Ideenlieferant des Kreml gehandelt wird. Der Gründer und Vorsitzende der Stiftung Gleb Pawlowski genießt einen zweifelhaften Ruf. Nicht nur daß seine Geschäftspraktiken unsauber erscheinen, er hat auch zum Prinzip erhoben, daß "schmutzige politische Verfahren maximalen Gewinn bringen". Pawlowski war eine der Schlüsselfiguren, die den Erfolg der Partei "Einheit" vorbereitet und Putin als Präsidenten aufgebaut haben. Er gilt als einer derjenigen, die die Strategie zur Begrenzung der Pressefreiheit und Zensur sowie zur Unterordnung der Medien unter die Macht erarbeitet haben und auf dessen Konto die jüngsten Medienkriege in Rußland gehen.

Über diesen Mann sind viele Aussagen im Umlauf. Er sei ein "Kremlstratege", "Initiator des Gedankens des vorgezogenen Rücktritts Jelzins", "Vernichter der Opposition", ein "geistiger Rasputin". Er denkt ungewöhnlich und jesuitisch, als hätte er nicht die Fakultät für Geschichte der Universität Odessa, sondern eine Opus-Dei-Einrichtung absolviert. Er bleibt immer im Schatten, beeinflußt jedoch das Geschehen stark. Er gehört zum neuen Klan derjenigen, die aus dem Hintergrund der Kremlbühne nach vorne treten, ihren Namen nennen und zeigen, daß nicht der Präsident, sondern eben sie die neuen Ideen und Gedanken unterbreiten, die Rußland aufrühren.

In Talk-Shows und Diskussionen, an denen keine Vertreter der Präsidentenverwaltung teilnehmen, sitzt stolzerfüllt dieser Mann mit grauem Kopf und in schwarzem Pullover. Seine Gestalt und Denkweise weisen etwas Teuflisches auf.

Gleb Pawlowski, Vorsitzender der Stiftung für eine effektive Politik (russ. Abk.: FEP), wird im nächsten Jahr fünfzig Jahre alt.

Die Entstehung seiner Stiftung im Jahre 1995 war geheimnisumwoben. Dann wurde die Stiftung zu einer Struktur, die besonders "dicht geschlossen" ist.

Zu den Prinzipien des Meisters der raffiniertesten politischen Intrigen gehören: Macht ist Geheimnis; Mitwirken an diesem Geheimnis ist interessant; "schmutzige politische Verfahren" sind ein gutes Mittel, um Supergewinne einzufahren.

In seine Nische in der Moskauer politischen Spitze gelangte Pawlowski auf krummen Wegen. Im zweiten Studienjahr wurde er wegen seiner Wandzeitung "Das 20. Jahrhundert" aus dem Komsomol ausgeschlossen. Das Parteikomitee verbot diese Wandzeitung wegen "anarchistischer und linksextremistischer Prägung".

So wurde er den Dissidentenkreisen zugeschlagen, über denen der Geist der Studentenmeuterei und der 1968 zertretenen Freiheit schwebte.

Pawlowski arbeitete drei Jahre lang als Lehrer und ging dann nach Moskau, wo er so bemerkenswerte Persönlichkeiten wie den Philosophen Michail Gefter, den Soziologen Genrich Batischtschew und den Theologen Grigori Pomeranez kennenlernte.

Seine Aktivitäten fielen auf. Der junge Mann - damals war er 23 Jahre - wurde im Zusammenhang mit dem Vertrieb des Solschenizyn-Buches "Archipel GULag" zum KGB einbestellt. Nach dem Prozeß arbeitete Pawlowski zunächst als Bauarbeiter, dann als Tischler. Er verstand aber schnell, daß er für diese Art von Tätigkeit nicht geeignet war, und machte die ersten Schritte im Journalismus. Seine Artikel veröffentlichte er in der Zeitschrift "Poiski".

Heute bemüht sich Gleb Pawlowski, diesen Abschnitt seines Lebens als die Lebensstrecke eines illegalen Revolutionärs darzustellen, der Hausdurchsuchungen und Verhöre erlebte und geheime Pressekonferenzen gab. Es gibt allerdings Tatsachen, die beweisen, daß diese Zeit in der Biographie des jungen Provinzlers ganz und gar nicht so eindeutig geprägt war. Sein Ruf geriet durch die Meldung ins Wanken, daß er damals zugestimmt hatte, mit den Sicherheitsorganen zusammenzuarbeiten. Die russische Presse berichtete, daß aufgrund seiner Aussagen Wjatscheslaw Igrunow, der die Samisdat-Bibliothek aufbewahrte, verhaftet wurde. Jelena Bonner, Witwe des Akademiemitglieds Sacharow, erklärte, daß eben Pawlowski Aussagen über den Sohn und die Frau des bekannten Menschenrechtlers Sergej Kowaljow gemacht hatte.

Wie dem auch sei, Gleb Pawlowski wurde damals wegen der Herausgabe der Zeitschrift "Poiski" angeklagt und verurteilt. Seine Tätigkeit wurde als Verleumdung der sowjetischen Gesellschaftsordnung bewertet, und er wurde für drei Jahre in die Republik der Komi verbannt. Dort schrieb er voluminöse Traktate an das Politbüro des ZK der KPdSU und das KGB mit Belehrungen, wie Rußland zu retten sei.

Nach Ablauf der drei Jahre wurde dem jungen Abenteurer verwehrt, in Moskau zu leben. Er kehrte jedoch trotzdem in die Hauptstadt zurück und beteiligte sich am Aufbau der ersten legalen politischen Oppositionsgruppe - dem "Klub der sozialen Initiativen".

Als nächste Stufe seiner Laufbahn diente die Zeitschrift "Der Frieden und das 20. Jahrhundert", die dem Sowjetischen Friedenskomitee nahestand. Bei diesem kleinen Magazin stieg er zum Chefredakteur auf.

Pawlowski und seine Stiftung zeichnen maßgeblich verantwortlich für die Medienkriege und die Überlegungen zur Begrenzung der Pressefreiheit
 
Zur gleichen Zeit startete er seine Geschäftskarriere im Informationsbereich. Allerorten schossen Kooperativen wie Pilze aus dem Boden. Gemeinsam mit dem späteren Gründer des Verlagshauses "Kommersant" Wladimir Jakowlew gründete Pawlowski die Genossenschaft "Fakt", etwas später seine eigenen Nachrichtendienst "Postfaktum". Wer ihm das Geld für diese Agentur gegeben hat, ist bis heute nicht bekannt.

Aus Protest gegen die Schritte von Präsident Jelzin zur Einschränkung der Pressefreiheit (geschlossen wurden die Zeitung des Obersten Sowjets der RSFSR und das Fernsehprogramm "Das Rote Quadrat"; auch seine Agentur war massivem Druck ausgesetzt) verließ Pawlowski "Postfaktum" und reiste in die USA. Er suchte Partner und versuchte, die Datenbasis seiner Agentur an Reuters zu verkaufen. Diese Hoffnungen gingen aber nicht in Erfüllung.

Irgendwie mußte man natürlich weiterleben. Im Jahre 1995 saß Pawlowski bereits im Sessel des Herausgebers der Zeitschrift "Sreda", die unter der Schirmherrschaft des Europäischen Massenmedieninstituts herausgegeben wurde.

Im gleichen Jahr wurde Gleb Pawlowski auch im Bereich des politischen Consultings aktiv. Er gründete die Stiftung für eine effektive Politik, die wegen ihres skandalumwitterten Ruhmes schnell als "Stiftung der Politik der Effekte" tituliert wurde. Diese Effekte wirkten mitunter wie eine Bombe.

Als erster in der Reihe der Skandale steht die in der Zeitung "Obschtschaja gaseta" publizierte "Version Nr. 1" - die Analyse eines Drehbuches einer Verschwörung gegen den russischen Präsidenten Jelzin. Nach Aussage des Autors beteiligten sich Juri Luschkow, Wladimir Schumeiko, Oleg Soskowez und Michail Poltoranin daran.

Im Zusammenhang mit dieser Veröffentlichung wurde ein Strafverfahren eingeleitet. Die Redaktion der Zeitung wurde wegen "die Gesellschaft destabilisierenden und die Verfassung aufweichenden" Handlungen angeklagt. Die Kammer für Informationsstreitigkeiten wertete die Veröffentlichung als Warnung an die Gesellschaft und sogar als Versuch, die politische Entwicklung in Rußland mittels Gewalt zu ändern. Die Zeitung berief sich darauf, daß Pawlowski dieses Material erarbeitet hatte. Der Autor hingegen verwies darauf, daß die "Version Nr. 1" lediglich ein Arbeitspapier und zudem von seinem Tisch gestohlen worden sei.

Eine andere skandalöse Geschichte betraf die "Sache Fadin". Fadin war Journalist, er verunglückte unter rätselhaften Umständen bei einem Unfall tödlich. Fadin und Pawlowski waren befreundet. Ein Mitarbeiter der Stiftung teilte noch vor dem Begräbnis mit, daß er in seinem Briefkasten eine Diskette mit dem letzten Artikel des Reporters gefunden habe, für den er angeblich ermordet worden sei.

Der "zugeschobene" Artikel war eigentlich die Entschlüsselung eines Telefonats zwischen den beiden Oligarchen Wladimir Gussinski und Boris Beresowski. Sie besprachen dabei angeblich, wie man Anatoli Tschubais und Alfred Koch in Verruf bringen könne. Es sei daran erinnert, daß damals gerade die "Büchersache", das heißt die riesigen Honorare für das Buch "Privatisierung á la russisch", die öffentliche Diskussion bestimmte.

Aus dem grob zusammengeschmierten Material lugten jedoch allerorts die Ohren heraus, es stank nach Provokation. Die Show am noch offenen Sarg mißlang. Dies war das letzte Ereignis, das Pawlowski den Ruf einbrachte, daß es für ihn keinerlei ethische Normen gibt.

Der "politische Hexenmeister" fiel dem Kreml auf. Der Jelzin-Berater Valentin Jumaschew und Jelzins Tochter Tatjana Djatschenko führten den scharfzüngigen und zu allem bereiten politischen Technologen in die Präsidialadministration ein.

Pawlowski wurde neben vielen anderen ins Team aufgenommen, das im Präsidentschaftswahlkampf 1996 für "Zar Boris" arbeitete. Er vermochte es, sich selbst in den Stand eines Hofanalytikers zu setzen.

Gegner von Pawlowski bezeichnen die Stiftung, die übrigens neunzig Mitarbeiter beschäftigt, "Gedankenlieferant des Hofes Seiner Kaiserlichen Majestät". Im Kreml gehen laufend Analysen zu verschiedensten Themen ein: "Besonderheiten der Woche", "Einschätzung der Macht", "Durchsikkern von Informationen" und "Einschätzung der Politiker in den Massenmedien".

In der ersten Phase verachtete der Chef der neuen "Fabrik der Träume" keine Möglichkeit, um Geld zu verdienen. Er organisierte die Wahlkampagne des Kongresses der russischen Gemeinden, richtete Internetseiten für Sergej Kirijenko und Boris Nemzow ein, bildete im digitalen Netz das sogenannte Parlament der Zukunft, das ausschließlich im virtuellen Raum arbeitet, und unterstützte sogar gemeinsam mit Media Most im Internet die Wahlkampagne von Barak in Israel, der auf Stimmen des aus Rußland und den GUS-Staaten eingereisten Teils der Bevölkerung hoffte.

Die meisten Gelder flossen der Stiftung jedoch zu, als Pawlowski gemeinsam mit der Föderalen Agentur für Regierungskommunikation und -information ein einheitliches Informationsversorgungssystem für die Regierung Rußlands aufbaute. In die Internet-Site "gazeta.ru" pumpte der Erdölkonzern JUKOS Hunderttausende Dollar.

In die von der Pawlowski-Stiftung gestaltete Internetseite "Gazeta.ru" pumpte der Erdölkonzern JUKOS Hunderttausende Dollar
 
Als profitabel erwies sich auch der Aufbau persönlicher Websites für Politiker und Organisationen. Der Regierungsserver, den Pawlowski geschaffen hatte, wurde natürlich intensiv für die Aufwertung von Wladimir Putin im digitalen Netz genutzt. Mitte 1999 wurde die Agentur für politische Information gegründet, die Putins Gegner stetig mit kompromittierendem Material überschüttete.

Die Stiftung hat beispielsweise eine eigene Site gegen Luschkow geschaffen, die völlig offen Feindschaft gegenüber dem Bürgermeister Moskaus und seiner Bewegung "Vaterland" bekundet.

Die Pawlowskischen Bemühungen verwandelten das Internet in Rußland in ein ideales Medium für die Verbreitung anonymer Meldungen unterschiedlichsten Inhalts - angefangen bei Spekulationen und Gerüchten bis hin zu speziell zusammengestelltem kompromittierendem Material. Die Stiftung monopolisierte einen Großteil des russischsprachigen Netzes.

Während des Wahlkampfes 1999 tauchte Gleb Pawlowski jeden Freitag im Kreml auf, um an der Beratung über die Erarbeitung der Strategie der Präsidialadministration teilzunehmen.

Auf einer Pressekonferenz von Interfax verkündete er, daß seine Stiftung die Absicht habe, eine bestimmte Zusammensetzung der Staatsduma mit einem großen Anteil an den Präsidenten unterstützenden Abgeordneten zu sichern. Unbestreitbar ist die Leistung der Stiftung für den Erfolg der Bewegung "Einheit" und ihrer Führer bei den Dumawahlen im Dezember.

Am Wahltag entschied sich die Pawlowski-Mannschaft für einen sehr riskanten Schritt, um die Zahl der für die "Einheit" stimmenden Wähler zu steigern. Die Stiftung gab ab 5.00 Uhr morgens im Internet Umfrageergebnisse aus einzelnen russischen Regionen bekannt. Dabei wurden aus den Wahllokalen kommende Wähler über ihr Abstimmungsverhalten befragt. Die aufdringliche Schlußfolgerung, die den ganzen Tag im Fernsehen und Rundfunk kommentiert wurde, lautete: Das präsidentenorientierte Wahlbündnis "Einheit" belegt mit Sicherheit den zweiten und in einigen Regionen sogar den ersten Platz.

Zwar wurde Pawlowski nicht wegen Verletzung der Wahlgesetze angeklagt, doch diese Manipulation der Öffentlichkeit brachte "Einheit" zweifellos mehr Stimmen.

Gleb Pawlowski wird im Kreml gern gesehen.

Er zeigt offen seine Freude, wenn er hört, daß er nicht der Letzte derjenigen ist, die Putin "gemacht" haben.

Das Leben zeigt, daß das, was die "graue Eminenz" heute sagt, morgen in Erfüllung geht. Sechs Monate vor dem vorzeitigen Rücktritt Jelzins sagte Pawlowski dieses Ereignis in mehreren Interviews voraus und brachte im Internet sogar ein Zitat aus einem angeblichen Interview mit dem Präsidenten. Heute ist klar, daß er eine der Schlüsselfiguren war bei der Erarbeitung der Strategie eines würdigen Rücktritts Jelzins von der politischen Bühne und der Umwandlung der Stiftung für eine effektive Politik in eine der wichtigsten Strukturen, die für die Organisation und Durchführung der Präsidentschaftswahlkampagne von Putin zuständig waren.

In der Stiftung entstand der Gedanke, das Zentrum für strategische Entwicklungen zu gründen. Dieses Zentrum arbeitet heute intensiv an den Grundlagen einer neokonservativen Entwicklungsstrategie für Rußland in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts.

In die russische Presse gelangten umfangreiche Auszüge eines Gesamtplans zum Aufbau einer globalen Propagandamaschinerie und deren Betrieb im Reformprozeß, den die Mitarbeiter der Präsidentenverwaltung und die Stiftung im Auftrag von Woloschin erarbeitet haben.

Ohne Zwischentöne sind folgende Empfehlungen aufgeführt: die überregionalen und regionalen Massenmedien sind in ihrer Mehrheit der Staatsmacht zu unterstellen; die Journalisten und Experten, die heute die Massenmedien beherrschen, sind vollständig zu ersetzen; bis zum Dezember muß die linke Opposition gespalten und beseitigt werden.

Diese Empfehlungen belegen, in welchen Tiefen die Informationskriege in den Fernsehkanälen, die Verfolgungen der Medienmagnaten, die Strategie zur Einschränkung der Pressefreiheit und die Einführung der Zensur erarbeitet wurden.

Ich will aber das Image von Gleb Pawlowski, der sich Präsidentenberater nennt, nicht verteufeln. Ich will nicht abwägen, inwieweit dieser Mann klug und inwieweit er unheilvoll ist.

Politische Renegaten haben immer ein kompliziertes Schicksal. Das neue Regime, das sich demokratisch nennt, braucht das raffinierte Gehirn dieses Mannes, der sich selbst als Polittechnologe bezeichnet.

Der Kreml bestallte diesen Mann, um Gedanken zu generieren, die Rußland noch öfter erschüttern werden. Es ist eine große Kunst, intellektuell jenen zu dienen, die an der politischen Spitze stehen. Schließlich: Nach der Zugehörigkeit zu den Lügnern folgen unmittelbar auf die Politiker die PR-Leute - so die seriöse Zeitschrift "Karriere".
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Armenien - Rußlands strategischer Partner im Kaukasus

von
Valeri Asrijan, RIA-Nowosti, Moskau


Rußland sieht den Kaukasus traditionell als seinen Einflußbereich und strategisch wichtige Region für seine Interessen. Die Beziehungen zu Aserbaidschan und Georgien sind nicht unkompliziert, denn Georgien richtet sich stark nach Westen aus, und Aserbaidschan, das sich außenpolitisch an der Türkei orientiert, beäugt die russische Militärunterstützung für Armenien mit Mißtrauen und macht Rußland dafür verantwortlich, daß der Konflikt um Karabach immer noch nicht gelöst ist. Armenien ist auf Rußland als Verbündeten angewiesen.
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Die Auflagen für die Wahlen wurden in Belarus erfüllt

von
Sergej Possochow, Berater des Präsidenten der Republik Belarus, Vorsitzender des Dialogs der gesellschaftlich-politischen Kräfte, Minsk


Um die Mandate in der Nationalversammlung der Republik Belarus bewerben sich nach Abschluß der offiziellen Registrierung 574 Kandidaten, von denen die absolute Mehrheit aus den staatlichen Behörden kommt beziehungsweise zur Gruppe der Leiter aller Ebenen gehört. Die Opposition hat mit dem Verweis auf Benachteiligungen beim Zugang zu den Medien und den Einschränkungen ihrer Möglichkeiten zum Boykott der Wahlen aufgerufen. Nach Ansicht des Autors hat die belarussische Führung alles getan, um freie Wahlen zu gewährleisten, und der Opposition gehe es, weil sie sich nicht sicher sein kann, bei den Wahlen Mandate zu gewinnen, vor allem darum, sich im Westen als Märtyrer und Kämpfer gegen das Lukaschenko-Regime zu präsentieren.

Zu den wichtigsten politischen Ereignissen dieses Jahres gehören in der Republik Belarus natürlich die Parlamentswahlen.

Heute kann ich voller Überzeugung sagen, daß in der Republik die notwendige Rechtsgrundlage für tatsächlich demokratische Wahlen geschaffen worden ist. Die Bedingungen, die die europäischen internationalen Strukturen der Regierung von Belarus zur Auflage gemacht haben, sind im Prinzip erfüllt worden.

Sergej Possochow leitet den von Präsident Lukaschenko initiierten Dialog der gesellschaftlich-politischen Kräfte
 
Geändert wurde die Wahlgesetzgebung. Dies ist ein einmaliger Schritt der belarussischen Behörden, der keine Analogien in der modernen Politik kennt. Erst vor verhältnismäßig kurzer Zeit haben wir ein neues Wahlgesetzbuch verabschiedet, in dem nun alle Akte zur Regelung der Wahlen in die Parlamente aller Ebenen zusammengeführt sind. Dieses Wahlgesetzbuch ist das Produkt einer sehr langen, peniblen und mühsamen Arbeit. Wir haben alle Anmerkungen und Vorschläge sowohl der belarussischen Öffentlichkeit und von Juristen unseres Landes als auch europäischer Berater berücksichtigt. Bezeichnenderweise wurden kurzfristig ins Wahlgesetzbuch gesetzgeberische Neuerungen aufgenommen, die die Teilnehmer des Dialogs der gesellschafts-politischen Kräfte der Republik Belarus vorgeschlagen hatten. Der Dialog, den Präsident Lukaschenko bereits letztes Jahr angeregt hatte, diente als ein Mittel zur Festigung der nationalen Einheit und als Verfahren, mit dem die Vielfalt der Ideen, Herangehensweisen und Initiativen erfaßt und in eine gemeinsame Bahn gelenkt wurden. Der Dialog ist zu Recht zu einer integrierenden Komponente der demokratischen Entwicklung in Belarus geworden. Insgesamt 112 politische Parteien, gesellschaftliche Bewegungen und Vereinigungen beteiligten sich aktiv daran. Erörtert wurden vielfältige Themen wie Fragen der Entwicklung der Bürgergesellschaft, der Tätigkeit der Massenmedien, der Garantie der Rechte der Bürger auf freie Willensbekundung, der Unabhängigkeit und der Außenpolitik des Landes.

Die absolut unbeschränkte Beteiligung der Vertreter ganz unterschiedlich orientierter gesellschaftlicher und politischer Kräfte, die allerdings eint, daß sie ihr Augenmerk auf die Zukunft des Landes lenken, belegt aufschlußreich, daß der Dialog vor allem als Mittel zur Konsolidierung der belarussischen Gesellschaft im Interesse der demokratischen Entwicklung des Landes dient und gestattet, ordentliche Bedingungen für faire, gerechte und freie Wahlen zum belarussischen Parlament zu schaffen. Die Ergebnisse unseres Dialogs sind bekannt. Es handelt sich vor allem um das Konzept zu Änderungen am Wahlgesetzbuch, darunter solche, die die Bildung der Wahlkommissionen, den Status der internationalen und einheimischen Beobachter und andere Fragen betreffen, die eine freie und gerechte Durchführung der Wahlen sichern. All diese Änderungen wurden kurzfristig erörtert und ins Wahlgesetz des Landes aufgenommen. Im Ergebnis entstand ein ausbalanciertes und demokratisches Dokument, das unsere Wahlgesetzgebung in hohem Maße verbessert. Man muß in Erinnerung rufen, daß Vorschläge zu Änderungen an der Wahlgesetzgebung auch von Parteien unterbreitet wurden, die heute kundtun, daß sie sich nicht an den Parlamentswahlen beteiligen werden.

Präsident Lukaschenko wird von der Opposition insbesondere angegriffen, weil das Land mit der russisch-belarussischen Union seine Unabhängigkeit verlieren werde
 
Von großem Belang ist für Politiker anderer Staaten ohne Zweifel die Tatsache, daß am Wahlprozeß Vertreter verschiedener politischer Kräfte teilnehmen, worauf in einer Empfehlung der OSZE hingewiesen wurde. Wir können heute zu Recht und nachweislich feststellen, daß diese Bedingung der europäischen internationalen Strukturen erfüllt wird. In den 110 Wahlkreiskommissionen sitzen beispielsweise 144 Vertreter von politischen Parteien, darunter neunzig von Oppositionsparteien. In die insgesamt 6500 Abschnittskommissionen sind 1500 Vertreter von Parteien, darunter 550 von Oppositionsparteien eingebunden. Per Erlaß des Präsidenten wurden die zwölf Mitglieder der Zentralen Wahlkommission durch neun weitere Mitglieder aus verschiedenen politischen Vereinigungen ergänzt. Diese haben beratende Funktion.

In bezug auf die Zusammensetzung des Kandidatenkorps nach Parteien lassen sich nach der Nominierung die folgenden Ergebnisse nennen. Ursprünglich wollten 768 Anwärter um die Parlamentssitze wetteifern. Zu den Wahlen zugelassen wurden schließlich 550. Die Agrarpartei schickt demnach zwölf Kandidaten, die Belarussische Patriotische Partei neun, die Kommunistische Partei Belarus 36, die Partei der Kommunisten Belarus 67, die Liberaldemokratische Partei 84, die Republikanische Partei zwölf, die Republikanische Partei der Arbeit und Gerechtigkeit elf und die Sozialdemokratische Partei der Volkseintracht drei Kandidaten ins Rennen. Diejenigen, denen die Kreiskommission die Ausgabe der Kandidatenausweise verweigert hat, können diese Entscheidung anfechten. Der abgewiesene Anwärter hat das Recht, sich mit einem Antrag auf Zulassung an das Oberste Gericht der Republik Belarus zu wenden, das diesen innerhalb von drei Tagen verhandeln muß.

Zum Problem der Massenmedien möchte ich folgendes feststellen. Da der Zugang zu den Massenmedien im Wahlkampf von extrem großer Bedeutung ist, wurde das Prinzip verfolgt, daß gleiche Bedingungen für die Nominierung der Kandidaten und deren Agitationskampagnen gewährleistet werden müssen. Im Fernsehen werden weitgehend die "Rundtischgespräche" von Kandidaten sowie Diskussionsrunden und Live-Sendungen übertragen. Somit haben alle Anwärter die Möglichkeit, sich direkt an die Wähler zu wenden. Es ist haltlos zu behaupten, daß es in Belarus ein Problem im Zusammenhang mit dem Zugang der Vertreter der Oppositionsparteien zu den Massenmedien - vor allem zu den digitalen - gibt. Oppositionspolitiker hatten in letzter Zeit über hundert Mal die Möglichkeit, im nationalen Fernsehen zu sprechen. Nach der belarussischen Gesetzgebung haben die Kandidaten nach ihrer Registrierung (unabhängig von ihrer politischen Ausrichtung) Zugang zu allen Massenmedien.

Stanislaw Bogdankewitsch, ehemaliger Zentralbankchef, gehört heute zu den Führern der Opposition
 
Eine andere, genauso wichtige Bedingung für die Zukunft des Landes ist die Änderung der Befugnisse des Parlaments. In erster Lesung wurde bereits der Gesetzentwurf über die Nationalversammlung der Republik Belarus verabschiedet. In diesem Dokument ist vorgesehen, die Funktionen der beiden Kammern des Parlaments auszuweiten. Dieser Entwurf wurde allen politischen Parteien und gesellschaftlichen Vereinigungen übergeben, damit diese ihn erörtern und ihre Vorschläge für Änderungen unterbreiten können. Somit gibt es die reale Möglichkeit, beliebige Änderungen vorzunehmen, die unter anderem auch die Verfassung der Republik Belarus betreffen. Das ist aber schon eine Aufgabe des neuen Parlaments.

Bereits heute können wir vermuten, daß im neuen Parlament alle sozialen Schichten der belarussischen Gesellschaft vertreten sein werden. Von allen registrierten Kandidaten sind 93 in den staatlichen Verwaltungsorganen, 85 in der Industrie, vierzehn im Bauwesen, acht im Verkehrswesen, neunzehn im Agrarsektor, fünfzehn im Dienstleistungssektor, 58 im Unternehmerbereich, 78 im Bildungswesen und der Wissenschaft, 27 im Gesundheitswesen, fünf in der Kultur und Kunst sowie vierzehn in den Massenmedien beschäftigt. 24 Kandidaten sind Vertreter gesellschaftlicher Vereinigungen, dreizehn sind Militärs, sechzehn Rentner, neunzehn derzeit nichtarbeitende Personen und 274 Kandidaten sind Leiter aller Ebenen. Diese Ziffern belegen besonders aufschlußreich den demokratischen Charakter der Wahlkampagne. Oder mit anderen Worten: Wer den Wunsch hatte, sich legitim an den Wahlen zu beteiligen, der hatte auch alle entsprechenden Möglichkeiten. Die Behörden gaben keinerlei Beschränkungen vor. Andererseits wird sich jeder Wahlberechtigte der Republik Belarus an der Bildung des Vertretungsorgans beteiligen können, indem er in sein Wahllokal geht und seine Stimme abgibt.

Der Sozialdemokrat Nikolai Statkewitsch wird von Teilen der Opposition heftig angegriffen, weil er sich als Einzelkandidat an den Parlamentswahlen beteiligen will
 
Angesichts dieser Bedingungen fragt es sich: Warum versucht die sogenannte belarussische Opposition, die Wahlen zu boykottieren? Ich will an dieser Stelle einige Worte über die belarussische Opposition, zu der alte Komsomolmitarbeiter, ehemalige Parteiapparatschiks und die heutigen "Patrioten" gehören, verlieren. Sie nennen sich "vereinigte Opposition", "Politiker der neuen Welle" oder allerhand "Initiativen". Um was für eine vereinigte Opposition kann es sich aber handeln, wenn alle Mitglieder der Belarussischen Volksfront zusammen mit den ihr angeschlossenen Kleinparteien sowie den Resten des ehemaligen Obersten Sowjets der 13. Legislaturperiode maximal ein Prozent der belarussischen Bevölkerung ausmachen? Wir bauen eine Bürgergesellschaft auf und beachten die Haltung aller Mitglieder der Gesellschaft, darunter auch der Oppositionellen. Aber sehr viele von ihnen spielen ein doppeltes Spiel. Sie reden und schreiben schön in den Zeitungen, aber ihre Taten und Vorhaben sind unvergleichlich schmutzig und beruhen nur auf Eigennutz und Betrug. Wenn einer nicht das Vertrauen der Bevölkerung erlangt, dann denkt er schon, er sei ein Oppositioneller. Da sich die Opposition nicht sicher ist, daß sie aus den Wahlen als Sieger hervorgeht, und sie weder Ressourcen noch Geld für die Wahlkampagne hat, fragt sie sich: Warum sollen wir uns an den Wahlen beteiligen? Diese Oppositionellen leiern schon seit geraumer Zeit immer wieder herunter, daß sie keine Beobachter zu den Parlamentswahlen ernennen, keine Kandidaten nominieren und keine Wahlagitation durchführen werden. Was aber werden sie trotzdem betreiben und was können sie real bewerkstelligen? Die Antwort ist sehr einfach: Sie können sich dem Westen wie immer als Märtyrer und Kämpfer gegen das Regime präsentieren und in diesem Zusammenhang Geld bekommen. Das ist doch viel einfacher. Und eben dadurch erklärt sich meiner Meinung nach der Wahlboykott der Opposition. In jedem demokratischen Land - Belarus ist dabei keine Ausnahme - gibt es natürlich eine parlamentarische Opposition. Doch diese Opposition wird nicht durch "zufällige" Personen, die sich als falsche Kämpfer ausgeben, sondern durch Abgeordnete vertreten, die bei den Wahlen gesiegt haben und die Interessen eines bedeutenden Teils der Wählerschaft repräsentieren.

Die belarussischen Behörden sind daran interessiert, daß internationale Beobachter bei den Parlamentswahlen anwesend sind. Die politische Führung will aufrichtig, daß sich ausländische Vertreter vom demokratischen und transparenten Charakter unserer Wahlen überzeugen. Als Beobachter sind nach vorläufiger Vereinbarung Abgeordnete aus Armenien, Bulgarien, Griechenland, Zypern, Kasachstan, Litauen, Lettland, Moldowa, Polen, Rumänien, der Slowakei, Estland und Jugoslawien eingeladen. Vertreter der GUS-Länder - eine große Delegation der Russischen Föderation, der Ukraine und anderer Länder - sowie Deutschlands, der Türkei, Tschechiens, Polens und der USA sagten offiziell zu, zu den Wahlen für die Nationalversammlung nach Belarus zu kommen. Belarus steht allen offen. Wir haben nichts zu befürchten und nichts zu verheimlichen. Kommen Sie zu uns und überzeugen Sie sich selbst!

Die Haltung der Führung der Republik Belarus bezüglich der Wahlen besteht somit in dem Streben, gleiche Bedingungen für alle Kandidaten zu gewährleisten, damit tatsächlich würdige Menschen ins neue Parlament einziehen, die das Vertrauen der Gesellschaft genießen. Präsident Lukaschenko hat keine "eigene" Partei und wird sich in seiner Arbeit vor allem auf die neugewählten Parlamentsmitglieder stützen müssen. Wenn hierzu auch Mitglieder des jetzigen Parlaments gehören werden (laut Registrierung wollen sich 55 Abgeordnete einer Wiederwahl stellen), dann sind dies von der Zeit geprüfte Abgeordnete, die ihre Wähler nicht verraten haben und des Vertrauens der Bevölkerung würdig sind. Diese Konsequenz ist eine sehr wertvolle Sache, zumal solche Praktiken auch in Parlamenten anderer Staaten begrüßt werden.
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Vor den Parlamentswahlen in Belarus

von
Borislaw Gussinski, Journalist, Minsk


Nach Meinung vieler Belarussen sollte sich die Opposition trotz aller Vorbehalte an den Parlamentswahlen am 15. Oktober beteiligen, nicht zuletzt, weil die Ausgangsposition der Opposition für einen Erfolg bei den Wahlen nicht schlecht ist. Die Bevölkerung scheint der Politik des herrschenden Regimes, das ihr keinen Wohlstand, ja nicht einmal eine leichte Verbesserung des Lebensstandards gebracht hat, müde zu sein. Allerdings haben viele Oppositionspolitiker aufgrund des starken Drucks des Regimes schlichtweg Angst, sich an den Wahlen zu beteiligen.
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