Politik

Präsidentschaftswahl - Putins Kampf gegen den eigenen Schatten [ Abstract ]
Rußland vor der Präsidentschaftswahl - Phänomen Putin [ Abstract ]
Die Perspektiven der russischen Außenpolitik [ Volltext ]
Georgien - der Staatsstreich, die Wahl, die Zukunft [ Abstract ]
Hundert Tage - Aserbaidschan im Zeichen der Waage [ Abstract ]
Verfassungsreform in der Ukraine - die Qual der Wahl [ Abstract ]
Visavorhang statt Eiserner Vorhang [ Abstract ]
Deutsch-russisches Abkommen über Reiseerleichterungen [ Volltext ]

aus WOSTOK SPEZIAL: Moldowa - Land am Dnjestr
 
Die Republik Moldowa - ein auf historischen Paradoxen gegründeter Staat [ Abstract ]

Präsidentschaftswahl - Putins Kampf gegen den eigenen Schatten
von
Juri Korgunjuk, Chefredakteur des Bulletins "Parteiinform", Moskau


Ist Sergej Glasjew ein so starker Kandidat, um Präsident Putin Paroli zu bieten?
 
Die große Frage der diesjährigen Präsidentschaftswahl ist die der Wahlbeteiligung. Wird sie nicht erreicht, muß die Wahl wiederholt werden - ein Desaster für Präsident Putin. Insgesamt wurden sieben Kandidaten registriert. Zwei wurden von in der Duma vertretenen Parteien aufgestellt, fünf haben ihre Eigenkandidatur angemeldet. Richtig spannend wird der Wahlkampf aber wohl nicht werden.
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Rußland vor der Präsidentschaftswahl - Phänomen Putin
von
Sergej Starikow,
Leiter der Gruppe Rechtsanalyse des Zentrums für politische Information "Expert-Jug", Moskau


 
Am 14. März wird in Rußland ein neuer Präsident gewählt. Aller Wahrscheinlichkeit nach - und wenn die benötigte Wahlbeteiligung von fünfzig Prozent erreicht wird - heißt dieser bereits in der ersten Wahlrunde Wladimir Putin. Mit den Ergebnissen der Dumawahlen am 7. Dezember hat er keinen Widerstand mehr gegen seine Reformvorhaben zu befürchten.
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Die Perspektiven der russischen Außenpolitik
von
Kyrill Benediktow, Europäisches Institut der Russischen Akademie der Wissenschaften, Moskau


Als Premierminister Jewgeni Primakow im Jahre 1998 seine Idee des strategischen Dreiecks Moskau-Peking-Delhi vortrug, schien dies vielen als unrealistische und kuriose Idee. Primakow hat sein Amt als Premierminister unter Präsident Jelzin nicht lange ausüben können. Die strategische Partnerschaft zwischen den drei Großmächten Rußland, China und Indien birgt aber einiges an Potential, um der einzig verbliebenen Supermacht USA etwas entgegenzusetzen. Rußland allerdings agiert bislang, wie es scheint, noch ohne reales außenpolitisches Konzept für die Region.

 
Als der damalige russische Premierminister Jewgeni Primakow im Dezember 1998 Indien besuchte, stellte er seine Idee vom "strategischen Dreieck" Moskau-Delhi-Peking als Gegengewicht zur massiver werdenden Präsenz der NATO an den Westgrenzen Rußlands vor. Beim politischen Establishment Rußlands kam dieser von der indischen und der chinesischen Führung mit Skepsis aufgenommene Vorschlag gut an und war einige Zeit populär.

Das Dreieck Primakows
Der Westen, insbesondere die USA, reagierte mit einiger Nervosität, obwohl sicher niemand eine reale Gefahr darin sah. Nachdem der damalige russische Präsident Boris Jelzin Primakow im Frühjahr 1999 entlassen hatte, wurde aus der außenpolitischen Konzeption schnell ein historisches Kuriosum. Tatsächlich schien Primakow die grundsätzlichen Gegensätze zwischen Delhi und Peking übersehen zu haben, weshalb seine zahlreichen Kritiker die Dreiecksidee als politische Phantasterei abtaten. Es klingt paradox, doch kaum ein anderer russischer Politiker kannte sich so gut aus in den asiatischen Gegebenheiten wie der Experte für den Mittleren Osten und Mitglied der Akademie der Wissenschaften Primakow. Und die in den letzten zehn Jahren äußerst intensiv vorangetriebene wirtschaftliche, politische und militärische Konsolidierung des westlichen Teils des riesigen eurasischen Kontinents muß in dessen Osten früher oder später ähnliche Prozesse in Gang setzen. Und könnte da die strategische Annäherung Rußlands, Chinas und Indiens nicht doch eine Variante der Konsolidierung sein?

Putins Asienreise im Dezember 2002 gab Anlaß zur Neubetrachtung dieser Frage. Mit seinen Besuchen in Peking, Delhi und Bischkek setzte der russische Präsident deutliche Zeichen für eine ausgewogene Politik Moskaus in der Region. Doch hat der Kreml auch die Möglichkeiten für ihre Umsetzung? Der russischen Asienpolitik sind durch die allgemeine Schwächung der wirtschaftlichen und militärischen Stärke des Landes Grenzen gesetzt. Die russische Führung weiß, daß China und Indien in Rußland längst nicht mehr den "großen Bruder" sehen, doch können partnerschaftliche Beziehungen ein wichtiger Trumpf im Ringen um die Führung in der Region sein. Deshalb ist die neue "Hinwendung nach Asien" in erster Linie pragmatisch; sie orientiert weniger auf gemeinsame Werte, von denen es zudem nicht sehr viele gibt, als vielmehr auf politische, wirtschaftliche und militärische Vorteile.

Rußland - China: eine ungleiche strategische Partnerschaft
Die Beziehungen zwischen Rußland und der Volksrepublik China entwickeln sich, schenkt man den Bekundungen der Außenminister beider Länder Glauben, in den letzten Jahren ausgezeichnet. Seitdem der russische Präsident Wladimir Putin und Chinas Staatspräsident Jiang Zemin am 16. Juli 2001 in Moskau den Vertrag über gutnachbarschaftliche Beziehungen, Freundschaft und Zusammenarbeit unterzeichnet haben, wird das Verhältnis als "strategische Partnerschaft" definiert. Die Kontakte zwischen den Staatschefs haben sich intensiviert, persönliche Treffen bis zu dreimal jährlich und Telefongespräche sind die Regel. Noch häufiger kommen der russische Premierminister Michail Kassjanow und sein chinesischer Amtskollege Wen Jiabao zusammen. So gut wie gelöst ist ein heikles Problem, das die Beziehungen nicht unwesentlich beeinträchtigt hatte, nämlich die Demarkation der russisch-chinesischen Grenze. Nicht rasant, aber kontinuierlich steigt der Warenumsatz.

Wichtig für den Fortgang der russisch-chinesischen Beziehungen war das XVI. Plenum der Kommunistischen Partei Chinas, auf dem die neue Parteispitze gewählt wurde. Nun übernahmen die führenden Köpfe der sogenannten vierten Welle, allen voran der westlich orientierte Hu Jintao, die Macht in Peking. Einige russische Analytiker befürchteten im Vorfeld, daß das Ausscheiden der Generation, die an sowjetischen Universitäten studiert hatte, Russisch beherrschte und eine gute Vorstellung von der russischen Mentalität besaß, die Abkühlung der Beziehungen zu Rußland und die stärkere Anbindung an den Westen, vor allem an die USA, nach sich ziehen würden. Doch sie irrten. Und es ist alles andere als ein Zufall, daß der russische Präsident kurz nach Amtsantritt des neuen chinesischen Staatsoberhauptes China einen Besuch abstattete. Und noch symbolträchtiger war die Tatsache, daß den frischgebackenen Staatschef Hu Jintao sein erster offizieller Auslandsbesuch nach Moskau führte (im Mai 2003). Außerdem behält Jiang Zemin, der konsequenteste Verfechter der strategischen Partnerschaft mit Rußland, die nächsten fünf Jahre das überaus wichtige Amt des Vorsitzenden des Zentralen Militärrates. Sein Stellvertreter, der das Modernisierungsprogramm der chinesischen Armee und das Kosmosprogramm des Militärindustriekomplexes verantwortet, gehört zu den Angehörigen der "dritten Welle", die in der Sowjetunion studiert hat. So ist es nicht verwunderlich, daß die militärtechnische Zusammenarbeit zwischen Rußland und China bestens gedeiht. Die Volksrepublik ist in den letzten Jahren zum größten Abnehmer russischer Waffensysteme avanciert. Die Einkäufe Chinas schwankten von jährlich einer Milliarde Dollar in den Jahren 1997 und 1998 bis zur Rekordsumme von 2,5 Milliarden Dollar im Jahre 2002. Die Waffenverkäufe sind aber nur die Spitze des Eisberges. Viel größere Bedeutung hat der Verkauf von Rüstungstechnologien. Der größte Vertrag in Höhe von 2,2 Milliarden Dollar sieht die Produktion von 200 Su-27 Jagdflugzeugen in der Volksrepublik vor. Durch die Ankäufe russischer Technologie erzielte China beachtliche Fortschritte bei der Konstruktion und Produktion eigener Leichtjagdflugzeuge, von Radarstationen, Luft-Luft- und Boden-Luft-Raketen sowie von Triebwerken. So machte China dank russischer Lieferungen in den vergangenen zehn Jahren einen Sprung von Waffensystemen der ersten und zweiten Nachkriegsgeneration zur modernen Technik der vierten Generation.

Kein Zweifel, die militärtechnische Kooperation mit Rußland brachte China voran. Doch auch Rußland profitiert davon, denn die regelmäßigen und umfangreichen Rüstungsaufträge erhielten die russische Rüstungsindustrie nach den gewagten Reformen der 90er Jahre am Leben. Komplizierter sieht es mit dem Export von Rohstoffen und Energieträgern aus. Einige russische Chinakenner meinen, daß eine der Schlüsselstrategien unter Deng Xiaoping, der auf die "Energie des Westens" setzte, das heißt auf westliche Technologien und westliches Industrie- und Finanzkapital, durch die Strategie der Einbindung der "Energie des Ostens", also des Erdöls und Erdgases sowie des Holzes ersetzt wird. Berücksichtigt man, daß die chinesische Führung bis 2020 die Vervierfachung des Bruttoinlandsproduktes anstrebt, dies ohne fremde Ressourcen aber unmöglich ist, versteht sich das Interesse der Volksrepublik an russischen Rohstoffen von selbst. Es ist bezeichnend, daß China den "strategischen Partner" hier sanft, aber beharrlich unter Druck setzt. Als Beispiel sei der bereits etliche Jahre dauernde Streit um die Pipeline Angarsk-Dajing genannt. Das Projekt sieht die jährliche Lieferung von fünfzig Millionen Tonnen Erdöl aus Ostsibirien nach China vor. 2001 legte Japan den Alternativplan Angarsk-Nachodka vor. Das Angebot der Japaner war weitaus attraktiver, denn es sah einen ungemein günstigen Kredit für den Bau der Pipeline von Angarsk nach Nachodka plus Zuschüsse in Höhe von sieben Milliarden Dollar für Sibirien und den Fernen Osten vor. Das japanische Projekt fand einflußreiche Befürworter in russischen Regierungskreisen, und zwei Jahre lang blieb unklar, welche Variante letztlich realisiert wird. Jeder Besuch des russischen Premiers in Peking ging mit langen und für die russische Seite unangenehmen Gesprächen über die Zukunft des Pipelinevorhabens einher. Wenige Tage vor dem Treffen zwischen Kassjanow und Wen Jiabao vom 22. bis 25. September 2003 warfen die Chinesen den Russen die bewußte Verschleppung des Pipelinebaus vor, der bereits im November, Dezember 2003 beginnen sollte, und sie drohten zugleich mit dem Stopp anderer bilateraler Vorhaben. Gut vorstellbar, daß sich Rußland unter dem massiven chinesischen Druck gezwungen sieht, die politischen Dividenden der Zusammenarbeit mit Peking dem wirtschaftlichen Vorteil einer Partnerschaft mit Tokio vorzuziehen. Im Prinzip kann China an besseren russisch-japanischen Beziehungen nicht besonders interessiert sein, für Rußland aber sind sie zur Gesundung der Wirtschaft und der Infrastruktur des Fernen Ostens unverzichtbar. Der eigentliche Stolperstein auf dem Weg zur gutnachbarschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Rußland und Japan sind die Kurileninseln, ein Problem, das wahrscheinlich noch lange auf seine Lösung warten wird. Allerdings könnte die für Japan erstrebenswerte gemeinsame Erschließung der reichen Rohstoffvorkommen Ostsibiriens bereits in den nächsten Jahren die Beziehungen zwischen beiden Ländern merklich verändern. Deshalb wird China wohl weiterhin alle nur möglichen Hebel in Gang setzen, um dies zu verhindern. Denn zum einen kann China auf dem russischen Rohstoffmarkt keine Konkurrenz gebrauchen, zum anderen würde eine Verbesserung der russisch-japanischen Beziehungen das Kräfteverhältnis in Ostasien spürbar verschieben, was im Widerspruch steht zur chinesischen Politik der Wahrung des Status quo bis zum Jahr 2020 (bis dahin nämlich plant China die Vervierfachung seines Bruttoinlandsproduktes und soll die Modernisierung seiner Streitkräfte abgeschlossen sein). China hat also großes Interesse an einem gutnachbarschaftlichen Verhältnis zur Russischen Föderation, weil es die Rohstoffvorräte Rußlands und dessen Autorität zur Stärkung seiner eigenen politischen Position in der Region nutzen will.

In den meisten internationalen Angelegenheiten zeigen Rußland und China Übereinstimmung. Vor allem halten beide Staaten an der Doktrin von der multipolaren Welt fest. China versteht allerdings darunter seinen Anspruch auf den Status einer "regionalen Großmacht", Rußland besteht aus nostalgischer Erinnerung an die Zeiten, da es noch die Rolle einer Supermacht spielte, auf diesem Prinzip. Während China seinen wirtschaftlichen, politischen und militärischen Einfluß im asiatisch-pazifischen Raum stetig ausbaut, muß sich Moskau mit Erklärungen begnügen und macht den USA - dem Chefarchitekten der unipolaren Welt und dem wichtigsten westlichen strategischen Partner Rußlands - ein Zugeständnis nach dem anderen. China geht die Dinge pragmatischer an und verschafft sich dadurch erhebliche Vorteile bei der Lösung aktueller politischer Fragen. Dies zeigte sich unter anderem bei den Verhandlungen über die atomare Abrüstung Nordkoreas.

Für die Gesundung der Wirtschaft und den Aufbau der Infrastruktur im Fernen Osten sind gute Beziehungen zu China und Japan unverzichtbar
 
Sowohl Rußland als auch China sind am Abbau der Spannungen auf der Koreanischen Halbinsel und der Schaffung einer atomwaffenfreien Zone dort interessiert. Beide wollen, daß ein Dialog zwischen den USA und Nordkorea geführt, die Rahmenverträge zwischen Washington und Pjöngjang eingehalten und die Beziehungen zwischen beiden Staaten normalisiert werden. Während Peking aber über reale Möglichkeiten der Regulierung der Krise und der Einflußnahme auf Nordkorea (Lieferung von chinesischem Erdöl und Lebensmitteln, Druck über Parteikanäle) sowie auf die USA (über die Konzentration von chinesischen Streitkräften an der koreanischen Grenze wurde der militärische Abwehrdienst der USA im September 2003 informiert) verfügt, hat Moskau in den letzten fünfzehn Jahren alle Hebel der Einwirkung auf Pjöngjang verloren. Nachdem es Kim Jong-Il nicht für nötig gehalten hatte, die russische Führung rechtzeitig über den Austritt seines Landes aus dem Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen zu informieren, war endgültig klar, daß Nordkorea in der Russischen Föderation nicht mehr seinen einflußreichen Beschützer sieht. Das im Frühjahr 2003 in Pjöngjang vorgelegte russische Nordkoreapaket enthielt im Grunde richtige Ansätze zur Durchsetzung des atomwaffenfreien Status der Halbinsel und zur friedlichen Beilegung der Krise. Doch mangelte es an Mechanismen zur Durch- und Umsetzung dieser Vorschläge. Rußland wurde nicht einmal zu den Verhandlungen zwischen Vertretern der USA, Nordkoreas und Chinas nach Peking eingeladen. Für Moskau bedeutete dies einen empfindlichen taktischen Rückschlag, verbunden mit Gesichtsverlust und dem Wegfall zusätzlicher Möglichkeiten des Drucks auf Nordkorea bei der Realisierung des Eisenbahnprojekts "Transkorea-Transsib". Die Gewinne durch den Anschluß der Transsibirischen Eisenbahn an den transkoreanischen Schienenweg, der über Pjöngjang zu den südkoreanischen Häfen führt, könnten nach Einschätzung von Experten bei dreißig Milliarden Dollar jährlich liegen. Doch die Entscheidung hängt mittlerweile nicht mehr von Moskau, sondern von Pjöngjang, viel mehr noch von Peking ab.

Doch sei an dieser Stelle angemerkt, daß Rußland nicht völlig ohne Einfluß auf China ist, vor allem über die 2001 geschaffene Shanghai Organisation für Zusammenarbeit (SCO), in der sich Rußland, China, Kasachstan, Kyrgysstan, Tadschikistan und Usbekistan zusammengeschlossen haben. Ursprünglich war die Shanghai Organisation als eine Art östliches Pendant zur OSZE für Zentralasien und den Fernen Osten gedacht. Eine ihrer heutigen Hauptaufgaben besteht in der Terrorismusbekämpfung, und so war der erste arbeitende Mechanismus die Regionale Antiterrorgruppe der SCO mit Hauptquartier in Bischkek. Die russische Führung setzt große Hoffnungen auf die Organisation. Präsident Putin bezeichnete sie als "wichtigen Faktor der Stabilisierung und Sicherheit in der Region" und erklärte, alle ihre Arbeitsmechanismen könnten bereits 2004 greifen. Aber angesichts der immer schwächer werdenden russischen Präsenz in den zentralasiatischen Republiken wird die SCO vor allem zu einer Struktur, die China einen wachsenden Einfluß in der Region sichert. Es ist kein Zufall, daß die SCO-Zentralorgane ihren Sitz in Shanghai haben und ein Chinese zum geschäftsführenden Sekretär berufen wurde. China hat weitaus mehr Möglichkeiten als Rußland, die zentralasiatischen Republiken in seinen Dunstkreis zu ziehen. Allerdings bestehen zwischen den Shanghai-Mitgliedsstaaten tiefe Gegensätze, die China darin hindern könnten, die SCO zu einem willigen Instrument seiner Politik zu machen, Rußlands Einfluß in der Region dagegen stärken könnten. Da wäre die für China heikle Situation im Uigurischen Autonomen Gebiet Xinijang. Auf Chinas Versuche, das Problem der uigurischen Separatisten gewaltsam zu lösen, wird Kasachstan ganz bestimmt strikt ablehnend reagieren, denn es betrachtet die Uiguren als ein den Kasachen verwandtes Volk. Nutzt Rußland diese Differenzen intelligent und übernimmt es die Rolle des Schiedsrichters und Vermittlers, würde dies seine Position in der strategischen Konstellation mit China zweifellos festigen. Die Praxis zeigt jedoch, daß Rußland auf diese Rolle ungenügend vorbereitet ist. Auf Schritt und Tritt wird deutlich, daß es keine durchdachte Strategie für den Umgang mit dem anderthalb Milliarden Einwohner zählenden Nachbarland im Osten hat. Die ziemlich einflußreiche westlich orientierte Lobby in Rußland nutzt jede Gelegenheit, der Öffentlichkeit mit der "chinesischen Gefahr" zu drohen, explizit mit dem demographischen Faktor. So manche russische Politiker erklären allen Ernstes, daß der Ferne Osten ohne Begrenzung der Migration aus China schon in zwanzig Jahren fest in chinesischer Hand sein werde. Dabei kehren sie unter den Teppich, daß der Ferne Osten und Sibirien ein riesiges und nach Bevölkerungsdichte pro Quadratmeter fast unbewohntes Territorium sind. Wie der russische Politologe D. Trenin richtig feststellte, wird aber Rußland ohne großen Zustrom von Arbeitskräften dieses Gebiet niemals erschließen können. Das Land braucht eine neue Immigrationspolitik, die das Wohnen und Arbeiten legalisiert und die Einbürgerung der Immigranten aus Asien erleichtert. So könnte die demographische Expansion Chinas zu einem Faktor werden, durch den der Ferne Osten und Sibirien wieder auf die Beine kommen.

Zweifelsohne wird China in den nächsten Jahren und Jahrzehnten Rußlands wichtigster Partner in Asien bleiben und mit ziemlicher Sicherheit Anspruch auf Schlüsselpositionen in den entstehenden regionalen Strukturen anmelden. Irgendwelche Gründe für ernste politische Auseinandersetzungen zwischen beiden Ländern gibt es im Prinzip nicht. Die noch ungelöste Frage der drei Grenzinseln am Amur könnte zusammen mit dem nächsten Ölprojekt oder einer Handelsvereinbarung geregelt werden. Ganz anders sieht es allerdings mit den wirtschaftlichen Gegensätzen aus. Ziemlich unangenehm überrascht war die russische Führung von der Forderung, daß sie, als Bedingung für die Aufnahme in die Welthandelsorganisation (WTO), chinesischen Arbeitern den unbegrenzten Zugang zum russischen Arbeitsmarkt ermöglichen sollte. Und China hat noch andere Forderungen, die vorerst hinter verschlossenen Türen verhandelt werden. Ein ganzes Paket von Bedingungen wird beim nächsten Treffen Kassjanows und Wen Jiabaos aufgeschnürt. Wohl wissend, wie wichtig für Rußland die Aufnahme in die WTO ist, wird der östliche Nachbar mit dem ihm eigenen Pragmatismus versuchen, dem "strategischen Partner" möglichst viele Zugeständnisse abzupressen. China hat ganz offenkundig keinerlei Interesse daran, die wenigen russischen Waren auf dem einheimischen Markt zuzulassen, die mit den chinesischen konkurrieren könnten. Derartige Wirtschaftskonflikte zwischen beiden Ländern sind keine Seltenheit, wobei meistens Rußland den kürzeren zieht.

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß es die Achse Moskau-Peking tatsächlich gibt. Doch kann dies angesichts des unterschiedlichen Stellenwertes in der Weltgemeinschaft keine gleichberechtigte Partnerschaft sein. Rußland erholt sich nur sehr langsam von der tiefen Krise nach dem Zusammenbruch der UdSSR und dem Jahrzehnt der Reformen, die das Land zusätzlich schwächten. China hingegen ist das sich dynamisch entwickelnde neue geopolitische Zentrum, das in mittelfristiger Perspektive nur hinter den USA zurückbleiben wird. Wenn also in Ostasien "strategische Figuren", darunter auch Peking und Moskau, auf den Plan treten, dann wird nicht Rußland, sondern China führend sein.

Die Achse Moskau-Delhi
Entwickelten sich die russisch-chinesischen Beziehungen spiralförmig von "ewiger Freundschaft" zu Konfrontation und sogar militärischen Konflikten und dann wieder zur "strategischen Partnerschaft", so war Indien für Rußland immer eine ferne, jedoch freundschaftlich verbundene Macht. Eine große Rolle spielte dabei die in der Sowjetunion kultivierte Solidarität mit den Völkern, die sich vom Kolonialismus befreit hatten. Die Tatsache, daß es keine gemeinsame Grenze zwischen beiden Ländern gibt, ist ebenfalls von Bedeutung. Der Vertrag über Freundschaft und Zusammenarbeit zwischen Rußland und Indien wurde bereits im Jahre 1993 unterzeichnet. Unter Präsident Jelzin blieb die Außenpolitik indienfreundlich. Im ersten Amtsjahr Putins schwankte das russische außenpolitische Establishment zwischen dem Ausbau partnerschaftlicher Kontakte zu Delhi und dem Versuch, sich Pakistan anzunähern. Doch Putins Besuch in Indien im Herbst 2000 setzte der Unentschlossenheit ein Ende. Im Dezember 2002 wurde während seines zweiten offiziellen Staatsbesuchs in Indien ganze Reihe von Dokumenten unterzeichnet. Die bedeutendsten waren die Deklaration von Delhi, in der von der "weiteren Festigung der strategischen Partnerschaft zwischen der Russischen Föderation und der Republik Indien" die Rede ist, die Deklaration über den Ausbau der wirtschaftlichen und wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit und das Memorandum über die Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terrorismus (unterzeichnet von den Außenministern beider Länder). In den meisten internationalen wie regionalen Fragen stimmen die strategischen Interessen beider Länder weitgehend überein. Beide sind für den Erhalt einer multipolaren Welt und gegen das Gewaltdiktat in den internationalen Beziehungen. Delhi und Moskau bereitet der internationale Terrorismus ernsthafte Sorgen. Ihre strategische Partnerschaft besteht allerdings nur im militärischen Bereich. Delhi braucht keine Rohstoffe aus Rußland und sieht in ihm in erster Linie einen nützlichen Partner bei der militärtechnischen Kooperation. In den letzten vierzig Jahren hat Indien russische Rüstungslieferungen im Wert von dreißig Milliarden Dollar bezogen. Allein von 1990 bis 1996 importierte Indien Rüstungen im Wert von 3,5 Milliarden Dollar aus Rußland. Gegenwärtig werden die jährlichen Lieferungen auf etwa eine Milliarde Dollar geschätzt. Dabei stoßen im Unterschied zu China, das massenhaft Serienproduktionen ohne irgendwelche eigene Sonderanforderungen kauft, die Aufträge für die Luftwaffe und die Marine aufgrund der hohen indischen Ansprüche an die technologischen Grenzen der russischen Rüstungsindustrie. Dies macht die Aufträge nicht besonders profitabel, doch verfügt Rußland gerade aufgrund dieser Anforderungen heute über die besten Muster seines modernen Arsenals herkömmlicher Waffen, nämlich das multifunktionale Jagdflugzeug SU-30-MKI und die Fregatte des Projekts 1135.6. Durch die gute militärtechnische Kooperation konnte Indien seine Position in der Region merklich festigen, im Unterschied zu China, dem es trotz rekordverdächtiger Ankäufe russischer Militärtechnik nicht gelang, das regionale Gleichgewicht zu verändern. Da Indien vier Langstreckenbomber und zwei atomgetriebene Mehrzweck-U-Boote von Rußland mietet - nach Ansicht westlicher Experten wurde darüber im Januar 2003 eine Vereinbarung getroffen -, hat es die Möglichkeit, seine Atomwaffen vom Boden und vom Wasser aus zu starten, was ihm gegenüber Pakistan eine strategische Überlegenheit sichert und ihm auch gewisse Garantien im Falle eines Konflikts mit China gibt. Der Schwachpunkt der "strategischen Partnerschaft" zwischen Rußland und Indien ist die beinahe ausschließliche militärtechnische Ausrichtung. Abgesehen von den Rüstungsimporten kann die Russische Föderation keineswegs als lebenswichtiger Handels- und Wirtschaftspartner Indiens gelten. Seit 1992 ist das Handelsvolumen zwischen beiden Ländern um 75 Prozent auf etwa 1,3 Milliarden Dollar zurückgegangen. Rückläufig ist auch die Zahl der Gemeinschaftsunternehmen, von denen es Mitte der 90er Jahre recht viele gab. Zudem erhalten russische Betriebe kaum Aufträge für Ersatzteillieferungen, obwohl in Indien viele Betriebs- und Fabrikeinrichtungen aus Rußland im Einsatz sind. Rußland steht auf der Liste der Länder mit erhöhtem kommerziellen Risiko, deshalb ignoriert die indische Seite die Bürgschaften russischer Banken. Die gemeinsam rekonstruierten Betriebe lassen sich an zehn Fingern abzählen: die Metallurgiewerke in Bokaro, Bhilai, Durgapur und Rurkel, die Elektrizitätswerke "Bchakra", "Neuvili" und "Kchalgaon", des weiteren zwei Atomkraftwerke. Im Bereich der Hochtechnologien beschränkt sich die Kooperation auf das Russisch-Indische Zentrum für Computerforschung in Moskau und auf das Zentrum zur Herstellung von Impfstoffen gegen Kinderlähmung in Indien, das auf der Basis russischer Forschungen arbeitet.

Die russische Rüstungsindustrie ist abhängig von indischen und chinesischen Milliardenaufträgen
 
Dieses Ungleichgewicht ist die direkte Folge der Krise der nur auf den Rohstoff- und Rüstungsexport ausgerichteten russischen Wirtschaft. Indien, das seine Hightechindustrie intensiv ausbaut, zieht hier die Zusammenarbeit mit den führenden Ländern des Westens, insbesondere mit den USA, vor. Auf sein eigenes beispielloses intellektuelles Potential, auf die Kooperation mit dem Westen in der Hochtechnologie und mit Rußland in der Militärtechnik gestützt, hat Indien alle Chancen, China, das die einzige Großmacht in der Region werden möchte, in den nächsten zehn Jahren ernsthaft Paroli zu bieten.

Rußland könnte durch die enge militärische Partnerschaft mit Indien in den südlichen Meeren militärisch wieder präsent sein. So fanden denn auch im Mai 2003 im Arabischen Meer große Manöver der Seestreitkräfte Rußlands und Indiens statt. Es wird erwartet, daß die ständige Präsenz russischer Kriegsschiffe im Indischen Ozean bis 2006 gesichert ist. Vielleicht wird in Fortsetzung dieses Prozesses die Militärkooperation zwischen Rußland und Vietnam - mit dem großen Marinestützpunkt Cam Ranh - wieder aufgenommen. Auf die Nutzung Cam Ranhs hat Rußland im Jahre 2001 verzichtet. Jedenfalls ist die strategische Zusammenarbeit zwischen Moskau und Delhi eine unverzichtbare Voraussetzung für die Stärkung der russischen Stellung in den Meeren Südostasiens.

Rußland zwischen Ost und West
Für Rußland ist das Szenarium, nach dem es in Asien zwei Großmächte geben wird, die sich in gewissem Maße gegenseitig ausgleichen und mit Rußland enge Kontakte pflegen, recht angenehm. Dabei wird das Verhältnis Moskau- Delhi und Moskau-Peking unter allen Umständen gefestigter sein als das zwischen den beiden asiatischen Ländern untereinander. Heute von einer "strategischen Partnerschaft" zwischen Indien und China zu reden, wäre mehr als verfrüht, obgleich die alte Konfrontation allmählich der Vergangenheit angehört. Zum ersten Mal seit zehn Jahren stattete der indische Premierminister China im Juni 2003 einen offiziellen Besuch ab. Die dabei unterzeichnete Deklaration über Zusammenarbeit eröffnet neue Perspektiven für die Verbesserung der Beziehungen zwischen beiden Ländern. Rußland setzt sich zudem für die Aufnahme Indiens in die Shanghai Organisation für Zusammenarbeit ein, was den chinesisch-indischen Beziehungen neue Impulse geben und zugleich die Position Moskau in der "asiatischen OSZE" stärken würde. Die drei führenden Mächte der Region sind zweifellos an vielfältigen Beziehungen interessiert. Die Stärkung des Westens des eurasischen Kontinents unter der Ägide der EU und der NATO muß eine Gegenreaktion in Asien auslösen. Allerdings ist heute schon abzusehen, daß die strategische Kooperation zwischen Moskau, Delhi und Peking nicht gegen den Westen gerichtet sein wird, denn alle drei Länder haben starke politische, wirtschaftliche und kulturelle Bindungen zu den USA. Rußland, das nach dem 11. September 2001 zum treuen Verbündeten der USA im Kampf gegen den weltweiten Terrorismus geworden ist, wird keinen antiwestlichen Block errichten wollen. Indien, beunruhigt durch die Konfrontation mit Pakistan, wird es vorziehen, die Partnerschaft mit den USA auszubauen, die in jüngster Zeit zunehmend von ihrer harten Linie der Unterstützung Islamabads abweichen. Und China, in Tausenden Jahren in Geduld geübt und eine Langzeitstrategie verfolgend, wird seine Kräfte noch lange bündeln, bevor es die einzige verbliebene Supermacht herausfordert.

Das alles heißt aber noch lange nicht, daß Moskau, Delhi und vor allem Peking willenlos im Fahrwasser der amerikanischen Politik schwimmen. Im Gegenteil. Sie werden sich dem Diktat Washingtons stets da widersetzen, wo ihre lebenswichtigen Interessen berührt werden. So wurde während Putins Staatsbesuch in Peking im Dezember 2002 konkret über eine gemeinsame Politik verhandelt, die die USA daran hindert, die alleinige Kontrolle über das Erdöl im Irak zu übernehmen, denn dort verfolgen sowohl China als auch Rußland Ölinteressen. Die Bemühungen Pekings und Moskaus um die Entmilitarisierung der Koreanischen Halbinsel richten sich indirekt gegen die Pläne Amerikas, seine militärische Stärke in Ostasien auszubauen, denn die Elemente des Raketenabwehrsystems, die die USA in Japan und auf Taiwan zu stationieren gedenken, sind offiziell gegen nordkoreanische Raketen gerichtet. Die Wiederherstellung der russischen Militärpräsenz im Indischen Ozean würde nicht nur die geopolitische Stellung Rußlands stärken, sondern auch die Hegemonie der US-Marine im strategisch bedeutsamen Erdölgebiet des Persischen Golfs untergraben. Im Falle eines Konflikts zwischen den USA und dem Iran könnte eine starke russisch-indische Gruppierung an den südlichen Meeresgrenzen den Charakter des Krieges stark beeinflussen.

Die strategischen Beziehungen zwischen China, Indien und Rußland könnten sich zudem intensivieren, wenn die USA ihre Politik der massiven Einmischung in die Angelegenheiten souveräner Staaten unter Mißachtung der internationalen Gemeinschaft, wie im Irakkrieg geschehen, fortsetzen. Dann aber muß sich Rußland in Anbetracht seiner gegenwärtigen politischen und wirtschaftlichen Schwäche mit der Rolle des Juniorpartners zufriedengeben. Doch wäre der Kreml nicht zu totaler Abhängigkeit von Peking verdammt, hätte er eine langfristige Strategie und Taktik für seine Asienpolitik. Sollten eine solche Strategie und Taktik je ausgearbeitet werden, müßten die Konzeption verbesserter Beziehungen zu Japan, ausgehend von beiderseitig annehmbaren Lösungen in der Kurilenfrage, und die Installierung der Achse Moskau-Delhi-Hanoi (mit der eventuellen Erneuerung des Vertrags über die Nutzung des Flottenstützpunktes Cam Ranh) notwendigerweise Berücksichtigung finden. Eine so differenzierte Strategie würde Moskau eine eigenständige Politik in Ostasien erlauben und seinen Einfluß im asiatisch-pazifischen Raum - der wichtigsten Region des 21. Jahrhunderts - stärken.


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Georgien - der Staatsstreich, die Wahl, die Zukunft
von
Tamar Nikuladse, Journalistin, Tbilissi


Präsident Michail Saakaschwili bei seinem Besuch in Deutschland
 
Dem Rücktritt von Präsident Schewardnadse am 23. November folgte ein kurzer Präsidentschaftswahlkampf, den der Führer der sogenannten Rosenrevolution nach Angaben der Zentralen Wahlkommission mit überwältigender Mehrheit gewann. Michail Saakaschwili hat unmittelbar nach seiner Amtseinführung seine ersten Staatsbesuche in Straßburg und Berlin gemacht. Er braucht Geld, um seine Wahlversprechungen einzulösen, zugleich aber formulierte er, in welche Richtung Georgien gehen wird: nach Europa, und mit dem Ziel, Mitglied der EU zu werden.
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Hundert Tage - Aserbaidschan im Zeichen der Waage
von
Irada Agajewa, Journalistin, Baku


Die Bevölkerung ließ sich vor der Wahl zu Demonstrationen mobilisieren - nun wartet sie auf erste Schritte der neuen Macht
 
Präsident Ilham Alijew ist hundert Tage im Amt, doch wartet die Bevölkerung weiterhin auf eine Erklärung, welche Reformschritte zu erwarten sind und wie die neue Führungsriege aussehen wird. Die Lage im Südkaukasus hat sich mit der sogenannten Rosenrevolution in Georgien grundlegend gewandelt. Der neue Präsident könnte seitens des Westens wie Rußlands schneller als gedacht unter Druck gesetzt werden.
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Verfassungsreform in der Ukraine - die Qual der Wahl
von
Juri Durkot, Journalist, Lwiw


Im Oktober soll in der Ukraine ein neuer Präsident gewählt werden, aber noch scheint unklar nach welchen "Regeln"
 
Die Diskussion über die Verfassungsreform in der Ukraine ist in der Sackgasse. Die Arbeit des Parlaments ist blokkiert, ein Kompromiß zwischen den präsidententreuen Fraktionen und der Opposition scheint unmöglich zu sein.
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Visavorhang statt Eiserner Vorhang
von
Dr. Wladimir Miljutenko, Journalist, Moskau


Auf Direktive von Präsident Putin und Bundeskanzler Schröder wurden Visaerleichterungen erarbeitet
 
Lange ist schon die Rede vom "gemeinsamen europäischen Haus", von einem gemeinsamen europäischen Kultur- und Wirtschaftsraum, der weit in den ehemals sowjetischen Raum hineinreicht. Und sollten nicht die Bürger eines "strategischen Partners" unkompliziert in die USA, nach Westeuropa einreisen können? Aber statt Reisefreiheit und Visumerleichterungen werden die Hürden, wie es scheint, immer höher gelegt.
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Deutsch-russisches Abkommen über Reiseerleichterungen
von
Fjodor Chorochordin, Stellvertretender Leiter der Abteilung für das Konsularwesen des Außenministeriums der Russischen Föderation


Am 10. Dezember 2003 unterzeichneten der russische Außenminister Igor Iwanow und der deutsche Innenminister Otto Schily ein Regierungsabkommen über Erleichterungen im Reiseverkehr zwischen Staatsangehörigen der Russischen Föderation und der Bundesrepublik Deutschland. Der Entwurf des Abkommens wurde in kürzester Zeit im Auftrag von Präsident Wladimir Putin und Bundeskanzler Gerhard Schröder von Fachleuten beider Länder erarbeitet. Der stellvertretende Leiter der Abteilung für das Konsularwesen des Außenministeriums der Russischen Föderation Fjodor Chorochordin erläutert die Bestimmungen.

Das Abkommen ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg der weiteren Entwicklung der deutsch-russischen Beziehungen und der Annäherung unserer Völker. Im Auftrag des Präsidenten der Russischen Föderation und des deutschen Bundeskanzlers haben Fachleute beider Länder in kürzester Zeit den gemeinsamen Entwurf des Abkommens ausgearbeitet und ihren Regierungen vorgelegt. In Rußland wurde der Entwurf am 4. Dezember 2003 von der Regierung gebilligt und der Außenminister beauftragt, das Abkommen im Namen der Regierung zu unterzeichnen. Jetzt gilt es so schnell wie möglich, alle notwendigen innerstaatlichen Vorbereitungen zur Umsetzung des Abkommens zu treffen. Denn obwohl das Abkommen in Rußland der Ratifizierung durch das Parlament obliegt, wird es schon seit dem 1. Januar 2004 vorläufig angewendet. Ein Geschenk für viele Mitbürger zum Jahreswechsel. Das Abkommen schafft viel günstigere Rahmenbedingungen für den Ausbau vielfältiger Kontakte zwischen unseren beiden Ländern und deren Bürgern.

Die Erleichterungen betreffen vor allem Schüler, Jugendliche, Wissenschaftler und wissenschaftliche Angestellte sowie Personen, die am Austausch in den Bereichen Kultur, Bildung und Sport teilnehmen. Auf der Grundlage der Gegenseitigkeit werden Visa an diese Personengruppen im Rahmen eines vereinfachten Verfahrens gebührenfrei ausgestellt.

Besonders hervorheben möchte ich den Schüler- und Jugendaustausch. Für junge Menschen auf beiden Seiten werden die bestmöglichen Bedingungen geschaffen. Sie können nun viel leichter und billiger in das andere Land zu ihren Altersgenossen reisen, mit ihnen Kontakte knüpfen und Freundschaften pflegen. In vereinfachter Weise und für eine längere Gültigkeitsdauer sowie in der Regel kostenlos werden Visa für Reisen in das jeweils andere Land an Studierende, Lehrer für Deutsch und Russisch, Amtspersonen und einige andere Staatsangehörige beider Länder ausgegeben.

Das Abkommen sieht unter anderem die Möglichkeit vor, einem Teil der Bundesbürger Visa für Reisen in die Russische Föderation ohne förmliche, von den Behörden des Inneren der Russischen Föderation ausgestellte Einladungen, wie sie vom föderalen Gesetz "Über den Aufenthalt ausländischer Staatsangehöriger in der Russischen Föderation" gefordert werden, zu erteilen.

Das Abkommen betrifft auch Geschäftsleute. Mit vereinfachten Verfahren bei der Visumerteilung können vor allem diejenigen rechnen, die schon lange "im Geschäft" sind und sich erfolgreich am Ausbau unserer bilateralen Handels- und Wirtschaftsbeziehungen beteiligen.

Länger können sich nun Inhaber von Visa für mehrere Ein- und Ausreisen in Rußland aufhalten, dies betrifft auch Geschäftsleute, die auf Einladung der russischen Industrie- und Handelskammer nach Rußland reisen, sowie Praktikanten in deutsch-russischen Gemeinschaftsunternehmen oder hundertprozentigen Tochtergesellschaften deutscher Unternehmen. Zugleich möchte ich aber betonen, daß die Bestimmungen dieses Abkommens nicht das jeweilige innerstaatlich geltende Recht zur Aufnahme einer selbständigen oder abhängigen Erwerbstätigkeit im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien berühren. Nach wie vor sind dafür entsprechende Genehmigungen erforderlich.

Touristen sind von allen diesen Erleichterungen ausgeschlossen. Aus meiner Sicht werden die touristischen Reisen derzeit durchaus zufriedenstellend von den gesetzlichen Normen beider Staaten geregelt. Jedoch wird es demnächst eher weniger Fälle geben, daß Geschäftsleute, die es nicht geschafft haben, sich rechtzeitig um ein Geschäftsvisum zu kümmern, das Problem durch den Erwerb eines Touristenvisums lösen wollen.

Da das Abkommen eine Reihe von Bestimmungen enthält, die mit der innerstaatlichen (russischen) Gesetzgebung nicht übereinstimmen, muß es vom Parlament ratifiziert werden. Darüber hinaus betrifft das Dokument Menschenrechte und Bürgerfreiheiten, und insofern treffen die Voraussetzungen für die obligatorische Ratifizierung zu, die vom föderalen Gesetz der Russischen Föderation über die völkerrechtlichen Verträge des Landes vorgesehen sind.

Abschließend möchte ich hervorheben, daß das Abkommen sowohl den Interessen der Bundesrepublik Deutschland als auch der Russischen Föderation entspricht. Es bringt vielen Bürgern beider Staaten einen spürbaren Nutzen, und es ermöglicht uns, zusammen mit der EU-Kommission in der Perspektive die Einführung eines visumfreien Reiseverkehrs zwischen Rußland und der EU effizienter vorzubereiten. Selbstverständlich halten wir auch für andere interessierte Staaten die Tür für bilaterale Vereinbarungen nach "deutsch-russischem Vorbild" offen.


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Spezial: Moldowa - Land am Dnjestr

Im Mittelpunkt dieser Ausgabe steht ein Spezial zur Republik Moldowa. Mit der weiteren EU-Osterweiterung wird das Land schon bald direkter Nachbar der EU. Das kleine zwischen der Ukraine und Rumänien liegende Moldowa findet kaum in tagesaktuellen Meldungen Beachtung. In den vergangenen Jahren haben auch wir Moldowa in unserer Zeitschrift stiefmütterlich behandelt, aber wir denken, daß wir dies mit unserem Spezial ein wenig ausgleichen können. Das Moldowa- und das Aserbaidschan-Spezial in der letzten Ausgabe können natürlich auch als Sonderdrucke direkt bei uns bestellt oder im Buchhandel erworben werden.



Die Republik Moldowa -
ein auf historischen Paradoxen gegründeter Staat

von
Jurie Colessnic, Journalist, Chisinau


Capriana-Kloster
 
Die jüngere Geschichte Moldowas ist die Geschichte wechselnder Zugehörigkeiten zum Russischen Reich, zu Rumänien und zur UdSSR. Einen kurzen Moment der staatlichen Unabhängigkeit, nämlich von Januar 1918 bis Ende März 1918, kannte das Land zwischen Dnjestr und Prut auch. So oft die staatliche Zugehörigkeit wechselte, so häufig wechselten auch Sprache und Schrift. Seit 1991 ist Moldowa unabhängig, durch den Bürgerkrieg im Jahre 1992 ist das Land jedoch faktisch geteilt in die Republik Moldowa und die Transnistrische Moldawische Republik.
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