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Sieg der neuen "Partei der Macht" bei den Dumawahlen
von Galina Tschinarichina, Politologin am EPIzentr, Moskau
Neben diesen beiden politischen Kräften haben "Vaterland - Ganz Rußland", der "Bund der Rechten Kräfte", der Schirinowski-Block und JABLoko die Fünf-Prozent-Hürde überwunden. Der Kreml wird in der Duma aller Wahrscheinlichkeit nach in Zukunft über eine komfortable Mehrheit verfügen, denn bei den Versuchen der Parteien und Bewegungen, die parteilosen Sieger in den Direktwahlkreisen in ihre Fraktionen und Abgeordnetengruppen einzubinden, verspricht der "Faktor Putin" der Bewegung "Einheit" ebenfalls die besten Erfolgsaussichten.
Die russischen Truppen verzeichnen in diesem Krieg in Tschetschenien immense Verluste, die im Verhältnis größer sind als die im Feldzug von 1994 bis 1996. Die heutigen Verluste sind jedoch eher Ergebnis nichtorganisierten Widerstandes in den sogenannten kontrollierten Gebieten und subversiver nächtlicher Akte. Der richtige Krieg hat noch nicht einmal begonnen. Im vorigen Krieg entwickelte sich die Situation im Prinzip auf die gleiche Weise, nur war die Zeit bis zum Sturm Grosnys diesmal mit etwa zwei Monaten wesentlich kürzer. Der virtuelle Krieg im Fernsehen verläuft jedoch ganz anders. Im Unterschied zum echten Krieg ist er kein Krieg, der sich gegen Frauen und Kinder richtet, sondern eine "antiterroristische" Maßnahme. In diesem Krieg fallen nur sehr wenige Soldaten: die Verluste unter den russischen Militärs werden offensichtlich wesentlich niedriger als tatsächlich angesetzt, die Verluste unter der friedlichen Zivilbevölkerung sogar ganz verschwiegen. Dieser zweite virtuelle Krieg erreicht jedoch fraglos im Unterschied zum realen die Ziele, die sich die Männer, die ihn eingeleitet haben, setzten. Verschiedene Umfragen unabhängiger Institute belegen, daß niemand in Rußland den Journalisten glaubt -es ist einfach unmöglich, dem zu glauben, was berichtet wird. Die Tatsache, daß dieses Kriegsunternehmen nicht gegen Terroristen, sondern gegen das Volk der Tschetschenen gerichtet ist, ist so augenscheinlich, daß beliebige Nachweise überflüssig sind. Hinzu kommt, daß mit der Miliz Krieg gegen die ethnischen Tschetschenen und - noch breiter - überhaupt gegen die Kaukasier in ganz Rußland, insbesondere in Moskau, geführt wird. Die russische Gesellschaft unterstützt auch dies. Bis zu siebzig Prozent der Moskauer Bürger sprechen sich dafür aus, die ethnischen Tschetschenen aus der Stadt auszuweisen. In einer Fernsehsendung wurden die Zuschauer aufgefordert, im Studio anzurufen und auf die Frage "Wer soll aus Moskau ausgewiesen werden?" unter den vorgegebenen Möglichkeiten "Banditen - Tschetschenen - Kaukasier?" zu wählen. Die Anrufer stimmten mit großer Mehrheit für die Ausweisung aller Kaukasier.
Aber die Verfahren und Instrumente, mit denen der Konsens erzielt werden soll, sind wieder etwas ganz anderes. Die Aufgabe, das Prestige der Macht zu heben, entstand in einer Zeit, als die Popularität des amtierenden Präsidenten beim absoluten Nullpunkt lag. Die offensichtliche Handlungsunfähigkeit der Macht, die Probleme nach der Wirtschaftskrise im August 1998, das Durcheinander mit den kurz aufeinanderfolgenden Ministerpräsidenten und die auffallende Unpäßlichkeit Präsident Jelzins führten, wie es ein Politologe treffend formulierte, dazu, daß "die gesamte Gesellschaft in Opposition gegangen ist". Kein einziger aktiver Politiker wollte noch mit der Exekutive in Verbindung gebracht werden: Es schien völlig unmöglich, deren Prestige zu steigern, und völlig unvorstellbar, daß Politiker, die nicht zu Präsident Jelzin in Opposition stehen, bei den Parlaments- und insbesondere bei den späteren Präsidentschaftswahlen gewinnen könnten. Mit der Aufgabe, eben dies zu ermöglich, wurde eine Gruppe politischer Technokraten betraut, die sich bereits mit der Präsidentschaftswahlkampagne Jelzins im Jahre 1996 befaßt hatte. Damals waren sie erfolgreich, weil es ihnen gelang, im Bewußtsein der Öffentlichkeit den Gegensatz "Jelzin oder Kommunismus" zu schaffen. Und auch ihre diesjährige Aufgabe behandelten sie im Prinzip wieder wie eine Wahlkampagne. Die Kommunisten waren als Feind, der die Gesellschaft um die herrschende Macht gruppieren würde, allerdings nicht mehr geeignet. Man brauchte also einen neuen Feind. Nach den Ereignissen in Dagestan, nach den zahlreichen Entführungen und den Bombenanschlägen auf Wohnhäuser, darunter in Moskau, war es unproblematisch, diesen Feind, "gegen den" alle Freundschaft schließen wollten, ausfindig zu machen. Es waren die Tschetschenen. Die Beteiligung der Tschetschenen an den Bombenanschlägen in Moskau und anderen russischen Städten wurde bis heute nicht bewiesen. Die Öffentlichkeit zweifelt jedoch nicht im geringsten daran, wer hinter diesen Sprengungen steht. Diese Ausführungen bedeuten nicht, daß Rußland nicht tatsächlich mit Tschetschenien zusammenhängende Probleme hat. Im Gegenteil. Es gibt Geiselnahmen, es gibt den Diebstahl von Viehherden in den benachbarten Gebieten, es gibt Terrorismus und die Expansion des religiösen Extremismus über die Grenzen der Teilrepublik hinaus. Doch all diese Probleme existieren schon seit langer Zeit und können auch nicht ansatzweise durch Bombenteppiche und massenhafte Ausweisungen gelöst werden. Die tatsächliche Bekämpfung echter Terroristen wurde wohl nicht auf die Tagesordnung gesetzt, denn diese Aufgabe ist komplizierter und müßte mit anderen Verfahren gelöst werden.
Im Unterschied zur kommunistischen Revanche - eine Gefahr, die 1996 real nicht bestand - existiert ein reales Tschetschenien. Das Unternehmen nur auf den Fernsehschirm zu begrenzen, ist nicht möglich - als Nebeneffekt des Wahlkampfes waren die Kriegshandlungen in Tschetschenien unvermeidlich. Sie wurden und werden geführt und haben eine Situation bewirkt, die in Zukunft nur schwer kontrollierbar sein wird. Denn die militärische Komponente des Unternehmens gewinnt eine eigene Logik. Die Generäle betrachten diesen zweiten Krieg als Revanche für den vorherigen und wollen ihn bis zum siegreichen Ende führen. Anzumerken ist, daß ein siegreiches Ende - nämlich die Kontrolle über ganz Tschetschenien und die Ausrottung der Kämpfer - im Prinzip unmöglich ist. Die Tatsache, daß die russischen Truppen eine Stadt nach der anderen "relativ friedlich" einnehmen, ist lediglich Beweis für die Schwäche und Uneinigkeit des Gegners. Gerade die weitgehenden Widersprüche zwischen den tschetschenischen Feldkommandeuren machen es möglich, breite direkte Kämpfe zu vermeiden. Ins Gewicht fällt aber natürlich auch die Müdigkeit der friedlichen Bevölkerung angesichts der endlosen Luftangriffe und der wirtschaftlichen Perspektivlosigkeit.
Im Unterschied zur militärischen Komponente wirken die Handlungen Moskaus in politischer Hinsicht chaotisch und völlig undurchdacht. Als russische Strohmänner für eine Regierung in Tschetschenien werden immer neue Personen vorgeschlagen. Auch die Ideologie der Opposition gegenüber Maschadow verändert sich laufend. Die Moskauer Zentrale sucht und findet, wie auch im letzten Krieg, Anhänger unter Kriminellen, die mitunter speziell zu diesem Zweck aus dem Gefängnis entlassen werden. Es versteht sich, daß diese Männer keine reale Unterstützung in der tschetschenischen Gesellschaft finden werden. Die Taktik, Meinungsverschiedenheiten unter den Kombattanten zu provozieren, führt aber zum Verlust einer noch nennenswerten Subjektbezogenheit des Gegners. Als Teil der Kriegstaktik ist dies vermutlich sogar produktiv - die Tschetschenen sind offensichtlich demoralisiert und geben ein Gebiet nach dem anderen auf. Zudem haben sie das Potential, das sie im vorigen Krieg besaßen, entscheidend eingebüßt. Aber die Dezentralisierung und Schwäche der Feldkommandeure stellt andererseits eine immense Gefahr für die weitere Befriedung dar. Denn es ist unmöglich, die vereinzelten Gruppen in den Bergen zu besiegen. Die Amerikaner haben dies in Vietnam selbst mit dem Einsatz von Napalm nicht geschafft. Die Bevölkerung hundertprozentig aus der Kaukasusrepublik zu vertreiben, ist ebenfalls nicht möglich. Es wird unvermeidlich eine geradezu klassische Situation in den russisch-tschetschenischen Beziehungen entstehen. Die Partisanengruppen bleiben in den Bergen. Die Einwohner in der Ebene werden die Partisanen mehr oder weniger unterstützen. Zusammenstöße, Meuchelmorde, endlose Konflikte werden sich fortsetzen. Die Strohmännerorgane werden die Ordnung nicht aufrechterhalten können. Die russischen Truppen werden ständig in Tschetschenien stationiert und permanente Verluste zu tragen haben. Die tschetschenische Seite braucht für diesen Krieg nicht viele Männer - einige Tausend werden ausreichen. Denn in den Bergen lassen sie sich nicht vernichten. Zudem werden sich die Partisanen reproduzieren, da die Repressalien gegen die friedlichen Einwohner kein Ende nehmen werden. Die ständigen Subversionen der Partisanen verärgern bereits jetzt die Militärs, was wiederum Repressalien gegenüber der Zivilbevölkerung zur Folge hat. Früher oder später, schon bald nach den Wahlen oder in zwanzig Jahren, wird Rußland trotzdem Verhandlungen führen müssen. Dann kann es jedoch passieren, daß niemand Konkretes mehr da sein wird, mit dem man verhandeln könnte. Genauer gesagt wird man mit Dutzenden Feldkommandeuren verhandeln müssen.
Die Wahlen haben stattgefunden. Nach dem Wahlkampf gibt es, wie die Erfahrung von Chassawjurt zeigt, auch wieder den Wahlfrieden. Tschetschenien bleibt jedoch. Rußland schlittert in sein eigenes Ulster. Für Jahrzehnte.
Die Russen sind fassungslos über die fast manische Hartnäckigkeit, mit der der Westen ihnen die Idee von "Verhandlungen" und einem "humanen Krieg" aufzwingen will. Ein "humaner Krieg" ist nach diesen Vorstellungen offensichtlich ein Krieg ohne Artillerie und Luftwaffe. Der erste Tschetschenienkrieg 1994 bis 1996 hat gezeigt, was dies tatsächlich bedeutet: Jedesmal, wenn unter dem Druck des Westens oder diktiert durch die politischen Interessen des im Wahlkampf stehenden Jelzins der Einsatz von Artillerie und Luftwaffe verboten wurde, begann ein Blutbad an den russischen Truppen, denn von den tschetschenischen Kämpfern verlangte ja niemand, den Krieg mit "humanen Mitteln" zu führen. Nimmt man den Jugoslawienkrieg, so erwog die NATO den Gedanken, aus "humanitären Gründen" Soldaten statt Bomben einzusetzen, erst gar nicht.
Vor diesem Hintergrund wirken die in den russischen Medien gezeigten Ausschnitte der Erklärungen westlicher Politiker zu Tschetschenien oder Zitate aus westlichen Zeitungen auf die russische Bevölkerung phantastisch und absurd, beinahe wie "Nachrichten aus dem Tollhaus". Sie versteht nicht, wie die westliche Öffentlichkeit fordern kann, daß sie die Terroranschläge auf Wohnhäuser, die Entführung und Versklavung von Menschen, tschetschenische Kriminelle, die teilweise das russische Geschäftsleben kontrollieren, schweigend und tatenlos hinnehmen sollen. Jeder, der meint, der jetzige Zustand könne durch "Verhandlungen" oder "humane Methoden" verändert werden, ist entweder verrückt oder wünscht den Bürgern Rußlands, auch den friedlichen Bürgern Tschetscheniens, Schlechtes. Insbesondere nach dem Krieg, den der Westen in Jugoslawien geführt hat, ist den Bürgern Rußlands unverständlich, wieso westliche Politiker und die westliche Öffentlichkeit das russische Vorgehen in Tschetschenien derart empört. Die Serben hatten weder Häuser mit Hunderten von Menschen in die Luft gejagt, noch Geiseln genommen oder vor laufender Kamera lebenden Menschen die Köpfe abgehackt. Sie hatten keine Städte und Dörfer in Frankreich, England oder Deutschland überfallen, und auch nicht Tonnen von DM und Dollar gefälscht und in Umlauf gebracht. Dennoch wurden sie mit Bomben beworfen. Ganz abgesehen davon, daß Jugoslawien, im Unterschied zu Tschetschenien, ein souveräner Staat ist. Wahrscheinlich wird es den Russen nie gelingen, die "rätselhafte Seele des Westens" zu begreifen.
Die Zeitschrift "Kommersant" hat ausgerechnet, daß der sogenannte Frieden mit Tschetschenien Rußland mehr kosten würde, als einen Krieg mit dem gesamten Kaukasus und der Türkei zu führen. Faktisch ging der Krieg seit 1996 ununterbrochen weiter. Die öberfälle tschetschenischer Gruppen auf zivile und militärische Objekte, Gefangennahmen und Terror brachen nicht ab. Wenn heute davon ausgegangen wird, daß bei dem Skandal um die Bank of New York etwa zehn Milliarden Dollar "gewaschen" wurden, so ist nach Schätzung des stellvertretenden Premierministers Christenko in Tschetschenien zwei- bis dreimal soviel Geld verschwunden. Zum Beispiel haben tschetschenische Terroristen mehr als zehn Millionen Dollar allein an Lösegeldern eingenommen. Derzeit erorbern die russischen Truppen ein Dorf nach dem anderen, und die Medien zeigen, daß es in fast jedem reichen tschetschenischen Haus eine Grube gibt, in der russische Arbeitssklaven und Geiseln "gehalten" werden. In der Republik Tschetschenien verschwanden gestohlene Autos, Viehherden, Öl, Waffen und Munition. Die Republik war der Hauptproduzent von Falschgeld. Moskau zahlte an Tschetschenien einen unglaublichen Preis - sechzehn Dollar pro Tonne - für die Bewachung der Ölpipeline auf seinem Gebiet. Dennoch wurde allerorts Erdöl aus der Pipeline abgepumpt. Tschetschenien erhielt kostenlos Öl und Gas für den eigenen Bedarf. Renten, Gehälter und Löhne von Lehrern und érzten wurden regelmäßig an Tschetschenien gezahlt, doch verschwanden sie dort genauso regelmäßig, ohne je ihre Empfänger zu erreichen. Eben in den drei "Friedensjahren" warteten die Rentner in Tschetschenien vergeblich auf ihre Renten. Tschetschenien erhielt nach dem Krieg große Summen für den Wiederaufbau des Landes und der Wirtschaft, doch außer Villen für die Feldkommandeure wurde nichts aufgebaut. Dafür wurde Tschetschenien zum größten Drogenumschlagplatz, und nach Angaben des Innenministeriums haben sich über 3600 gesuchte Kriminelle nach Tschetschenien geflüchtet. Tschetschenien forderte von Rußland jedoch noch mehr: die Einschränkungen für Tschetschenen, Banken und Unternehmen in Rußland zu erwerben, sollten aufgehoben werden. Die Aussage, daß Krieg teuer ist, trifft auf Tschetschenien nicht zu. Der Frieden mit Tschetschenien wäre erheblich teurer.
Die russische Presse mußte erst die Erfahrung massenweiser Geiselnahmen von Journalisten nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens erleben, darunter der Teams der beiden größten russischen Fernsehkanäle, und die Terroranschläge auf Wohnhäuser, um genauer darüber nachzudenken, was dieser Teil der Tschetschenen unter Freiheit versteht. Heute unterscheiden sich die Darstellungen der Kriegshandlungen grundlegend von denen im ersten Tschetschenienkrieg. Zwar gab es zu Beginn der Kriegshandlungen in Dagestan auf einem Fernsehkanal ein Interview mit dem "berühmten" Terroristen Schamil Bassajew und dem Jordanier Chattab, doch folgte sofort eine Verwarnung des Ministeriums für Presse und Information, daß es unzulässig sei, in den russischen Medien den Terrorismus zu propagieren. Das war aber der letzte Versuch der zweifelhaften Propaganda dieser Art. Heute hegt kaum jemand in den russischen Medien Zweifel an der Unumgänglichkeit der Kriegshandlungen gegen die tschetschenischen kriminellen Gruppen, die Medien stehen voll und ganz auf der Seite der föderalen Truppen.
Andererseits ist Tschetschenien für derartige "Kräfte" oder "Parteien" von korrumpierten Elementen längst nicht der einzige Weg für ihre Machenschaften. Und vielleicht auch nicht der bequemste. Denn formale und informelle "Offshore-Gebiete", in denen Milliarden Dollar verschwinden, gibt es in Rußland auch ohne Tschetschenien genug. Doch da der Krieg bereits im Gange ist, sehen diese Kräfte es als Sünde, ihn nicht zum maximalen Nutzen für sich auszuschöpfen Optimalen Nutzen konnte auch Wladimir Putin daraus ziehen, das beweist sein "militärischer Sieg" bei den Parlamentswahlen. Er hat diesen Krieg nicht begonnen, hat ihn aber zu hundert Prozent für seine Ziele genutzt. Gut wäre es, wenn er ihn nun beenden würde. Was auch gesagt wird: Ein schnelles Ende des Krieges, die Vernichtung der kriminellen bewaffneten Gruppen und die Wiedererlangung der Kontrolle über das gesamte Territorium Tschetscheniens liegen im Interesse Rußlands. Es fällt auf, daß es in der russischen Presse nicht üblich ist, über die wesentlichen geowirtschaftlichen Gründe des Tschetschenienkrieges und über die Republiken des Transkaukasus zu sprechen. Natürlich hat sich mittlerweile eine Vielzahl von Problemen - ethnische, politische und historische - im "tschetschenischen Knoten" zusammengeballt. Die Tschetschenen gelten gemeinhin als "schwierige Ethnie", manche Wissenschaftler sind der Ansicht, daß solche Ethnien nur schwer oder gar nicht in die modernen gesellschaftlichen und politischen Strukturen integrierbar sind, da weiterhin "Klanstrukturen" dominieren und der jahrhundertealte Haß der Tschetschenen auf die Russen seit dem Krieg im 19. Jahrhundert und wegen der Deportationen unter Stalin schwelt. Dies alles spielt als Grund für den Krieg eine Rolle. Doch es ist nicht ausschlaggebend. Wie "schwierig" auch die Ethnie sein mag, die tschetschenischen Freischärler hätten sich kaum ohne Hilfe von außen über Jahre hinweg so effektiv bewaffnen und vorbereiten können. Wenn ihnen aber so gut geholfen wird, heißt das, daß jemand Nutzen davon hat. Wer? Erst in jüngster Zeit erscheinen in russischen analytischen Zeitschriften Artikel, die die Hauptverursacher der Spannungen in dieser Region beim Namen nennen: die Arabischen Länder, die USA, die Türkei. Der Hauptgrund ist das Öl. Warum gab es früher keine, oder fast keine, Artikel diesen Inhalts? Nach zehn Jahren anhaltender Konflikte und Kriege im Kaukasus und in Zentralasien kristallisiert sich das Öl für eine wachsende Zahl von Analytikern als der einleuchtendste Grund heraus, selbst für die, die dies früher als unwahrscheinlich abtaten. Mittlerweile sprechen darüber sogar einzelne Politiker in der Öffentlichkeit - so der russische Verteidigungsminister und einige Dumaabgeordnete. Spricht man über den Tschetschenienkrieg und die Konflikte im Transkaukasus, so darf man nicht vergessen, daß es um die kaspische Region, die erdölreichste Region der Welt, geht. Früher gehörte dies alles der Sowjetunion und wurde von ihr kontrolliert. Heute kontrollieren Kasachstan, Turkmenistan, Aserbaidschan und Rußland die Region. Die Erdölquellen sind bereits aufgeteilt. Doch etwa achtzig Prozent des Preises für Erdöl entfallen auf den Transport. Den größten Gewinn vom Öl hat aber dasjenige Land, durch das die Pipeline führt, und dieses Land kontrolliert auch die Situation in der Region. In den Analysen zur Frage des Krieges und des Öls werden verschiedene Schemata gezeichnet, wie abhängig die Verschärfung der Konflikte im gesamten Kaukasus von den diversen Plänen und Verträgen der Pipelineführung ist - zum großen Teil sehr überzeugend.ô
Vereinfacht gesagt, geht es hauptsächlich darum, ob die Pipeline für das kaspische Öl in den Westen durch Rußland auf dem Landweg geführt wird (der billigste und sicherste Weg) oder über die Türkei in die US-Tanker im Mittelmeer, die unter dem Schutz der amerikanischen Sechsten Flotte stehen. Und obgleich der Weg über Rußland billiger ist, unternehmen die USA und die Türkei alles, um die "türkische" Pipelineführung durchzusetzen.ô
Eine andere, schon wesentlich ungünstigere Lösung führt entweder über Rußland in den Hafen Noworossisk am Schwarzen Meer - die Pipeline führt über Tschetschenien - eine Umleitung über das Stawropoler Gebiet ist noch im Bau - oder aber über Georgien in den Hafen Batumi. Alle Varianten einer Ölleitungsführung über russisches Gebiet sind für die USA und die Türkei unvorteilhaft, gar nicht zu reden von dem geplanten Euroasiatischen Pipelineprojekt Kuwait-Deutschland über Rußland mit einer Länge von 4500 Kilometern. Dies ist die kürzeste und vorteilhafteste Verbindung zwischen dem erdölreichen Nahen Osten und Europa. Offenbar ist schon der Gedanke an dieses Projekt für die USA unerträglich. Ein Projekt, das all ihre Tanker und Flotten überflüssig machen und diverse politische Intrigen in dieser und in anderen Regionen sinnlos machen würde. Schauen wir zurück zum OSZE-Gipfel in Istanbul. Clintons Auftritt war bezogen auf Rußland wesentlich milder als erwartet. Wieso auch nicht - das Ziel der politischen Intrige war erreicht: während Boris Jelzin noch kriegerische Reden schwang, unterzeichneten die USA, Aserbaidschan und die Türkei ein Dokument über den Bau der Pipeline Baku-Ceyhan. Soll Rußland Krieg führen, so viel es möchte. Hauptsache, es kämpft so lang wie möglich und bekommt die Lage nicht in den Griff. Aus diesem Grunde ruft es in der Weltöffentlichkeit nicht die geringste Empörung und Sorge hervor, wenn in Rußland Wohnhäuser mit unschuldigen Menschen in die Luft gejagt werden, wenn zu Tausenden Geiseln genommen und diese mit mittelalterlichen Foltermethoden gequält werden, wenn friedliche dagestanische Dörfer und angrenzende russische Gebiete überfallen und ausgeraubt werden und die friedliche Bevölkerung terrorisiert wird. Niemand erinnert an die vielen Journalisten unter den Geiseln, an die abgetrennten Köpfe englischer und anderer Geiseln der Terroristen. Sobald jedoch die tschetschenischen Kämpfer umzingelt sind, stellen die USA Rußland ein Ultimatum: die Kämpfer sollen in Ruhe gelassen, Verhandlungen aufgenommen und auf "humane" Kriegsmethoden zurückgegriffen werden. Man braucht Tschetschenien als ständigen Konflikt. Die Konfliktlösung ist nicht im Sinne der USA, denn dann wäre das Gebiet frei für den Bau der Pipeline.
Völlig unverständlich ist die Position der europäischen Länder, die guten Gewissens am Gängelband der USA Jugoslawien bombardierten - entgegen ihren eigenen Interessen - und die nun Rußland für die "inhumane" Kriegsführung in Tschetschenien kritisieren. Diese ist nicht weniger inhuman als der Krieg in Jugoslawien, der Krieg selbst aber unzweifelhaft berechtigter. Generäle, sowohl der NATO wie auch Rußlands, äußern sich im übrigen immer gleich: jegliche militärischen Angriffe sind "punktgenau". Oder ist man im Westen der Meinung, die NATO-Angriffe seien "punktgenauer" gewesen als die russischen? Wohl kaum. Denn in vielen Punkten übertreffen die russischen Waffensysteme die amerikanischen an Genauigkeit, wie zum Beispiel das Luftabwehrsystem S-300 und andere.
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